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Kultur

Mit Hirschgeweih in den Sarg

Montag, 30. Oktober 2017 | Text: Alida Pisu | Bild: Thomas Balzer

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Sie sehen nicht tot aus und sie sind es auch nicht. Sie haben sich nur vorgestellt, wie es ist, tot zu sein. Und dafür ihr „letztes Hemd“, sprich: die Kleidungsstücke angezogen, die sie dann tragen wollen. Ebenso einen persönlichen Gegenstand ausgewählt, der wichtig genug ist, um mit in den Sarg zu kommen. Mehr als 50 Menschen haben sich am Fotokunst-Projekt „Im letzten Hemd“ beteiligt, das im Bestattungshaus Klemmer-Roth am Karolingerring bis zum 11. November in einer Ausstellung gezeigt wird.

Der Fotograf Thomas Balzer hat von jedem der Teilnehmer/innen  zwei Fotos gemacht. Ein großes, das den „wie tot“ – Moment einfängt. Ein kleines, mit dem Augenblick des ersten Augenaufschlags und wieder lebendig werdens. Leben und Tod hängen untrennbar zusammen, so könnte man es deuten. Die Bilder haben nichts Bedrohliches an sich, sie machen keine Angst vor dem Tod, sie wirken eher so, als wäre der Tod der große Bruder des Schlafs. Und aus dem Schlaf, so weiß man, gibt es ein Erwachen. Die Portraitierten legen sich mit Jägerkleidung und Hirschgeweih in den Sarg. Im schneeweißen Kleid und einer weißen Rose in den Händen. In Jeans mit Staffelei und Pinsel. Oder nur in Bananenblätter eingewickelt. So vielfältig wie die Menschen in ihrem Auftritt sind, so individuell ist auch ihr Abtritt.

Anlässlich der Ausstellungs-Eröffnung sprach „Meine Südstadt“ mit dem Initiator der Ausstelllung, Bestatter und Trauerbegleiter David Roth.  

Meine Südstadt: Herr Roth, wie kamen Sie auf die Idee zum Kunstprojekt?
David Roth: Für viele Menschen ist es schwierig oder makaber, zu dem Thema etwas zu sagen. Wir suchen heute alle nach Garantien, dafür schließen wir Versicherungen ab. Aber mit dieser einzigen Garantie, dass niemand das Versprechen hat, den nächsten Tag zu erleben und das alles, was lebt, irgendwann sterben muss, damit können wir uns nicht befassen. Deshalb wissen wir vielleicht auch nicht, warum heute ein besonderer Tag ist. Was ist gut an diesem Tag, was kostbar, das es uns trotz allem verhältnismäßig gut geht. Bei allem, was wir tut, ist es uns wichtig, dass die Leute anfangen, über das Thema zu sprechen, sich damit auseinanderzusetzen. Viele Leute merken, dass es gar nicht so schwer ist. Da hängen Bilder von entspannt wirkenden Menschen. Keiner von denen ist tot. Aber für die Menschen, die in Beziehung zu den Portraitierten stehen, ist es heftig. Sie sind sich im Alltag manchmal nicht gewahr, dass man sich nicht einfach sagt: „Ich hab dich lieb“. Oder wenn was schlecht läuft, das man dann denkt, irgendwann würde der richtige Moment kommen, an dem man darüber spricht und alles würde sich lösen. Wir schieben ja ganz vieles vor uns her, weil uns die Kostbarkeit der Beziehung nicht bewusst ist. Bis es zu spät ist.

Es schleift sich im Alltag ja auch manches ab.
David Roth: Genau. Wir müssen auch lernen, miteinander umzugehen, besonders mit den nicht so schönen Aspekten. Was man irgendwann mal als störend empfand, wird mit der Zeit nicht unbedingt besser, sondern extremer. Aber vielleicht merke ich nachher trotzdem, dass ich jemanden vermisse. Dass nicht mehr die Socken im Flur sind oder ich möchte jetzt was erzählen, aber es geht nicht mehr.

Wer hat sich denn auf das Projekt eingelassen und mitgemacht?
David Roth: Wir haben erst mal bei uns im Haus angefangen. Man sieht ja hier auch Bilder meiner Mutter, meiner Schwester und von mir. Mit diesen Bildern haben wir Menschen im Kölner Raum angesprochen und ein Freund, Klaus Reichert und Herr Balzer, die auch dabei sind, haben in Frankfurt Menschen angesprochen. Die meisten, weil sie kennen, was wir machen, haben ein großes Zutrauen zu uns gehabt und zugesagt. Aber wir haben uns auch Körbe eingefangen. Manche haben gesagt: „Ich persönlich finde das nicht gut.“ Oder: „Ich habe mit meiner Familie gesprochen und die wollen das nicht. Die wollen sich nicht vorstellen, dass es so sein könnte.“

 

Inge und David Roth in den neuen Räumlichkeiten am Karolingerring.

Was haben Sie denn so alles erlebt bei den Aufnahmen?
David Roth: Es gab z. B. Leute, die sind gekommen, wieder gegangen und haben um einen neuen Termin gebeten. Wie der Herr mit dem Hirschgeweih. Der kam erst in einem nüchternen Business-Anzug, wie viele der Männer und meinte dann: „Ich habe das falsch verstanden oder unterschätzt.“ Er kam dann in seiner Jagdtracht mit seinem größten Hirsch wieder und sagte: „Es ist eigentlich ganz klar, auch wenn wir das nie ausgesprochen haben, geht mein großer Hirsch mit.“ Andere, wie die Dame mit den Bananen-Blättern, was wohl ein costa-ricanischer Brauch ist, haben sich abgedeckt, andere wie meine Schwester, hatten ihre eigene Decke und Kissen mit. Oder der junge Mann, der auf der Seite liegt. Er ist der Einzige, der hinterfragt hat, warum er in einem Sarg auf dem Rücken liegen soll.

Das Kunst-Projekt ist ja nur ein kleiner Aspekt Ihrer Arbeit. Was ist Ihnen als Bestatter wichtig, wenn Angehörige zu Ihnen kommen?
David Roth: Was wir machen, ist ja hauptsächlich eine Haltungs-Sache, die für viele Bestatter vielleicht erst mal schwierig ist. Ich kann jedem innerhalb von 10 Minuten sagen, was so die übliche Beerdigung oder Optionen wären. Aber wir wollen Menschen Zeit geben. Es geht nicht darum: „Was muss ich denn jetzt machen?“, sondern: „Was würde ich gerne machen?“ Die meisten Menschen haben die Hoffnung, dass sie zur Ruhe kommen, wenn sie ganz schnell bestatten. Sie sind ja in einem Riesentrubel, müssen oft weiterarbeiten. Aber man hat ja theoretisch Zeit. Das mit der Zeit habe ich nur in meinem Kopf drin, weil ich glaube, der Verstorbene würde sich so unglaublich schnell verändern, was er in der Regel jedoch nicht tut.

Wir wollen Menschen Zeit schenken, damit sie begreifen, was sie da tun und was für sie wirklich wichtig ist. Dann können sie z. B. zum Pfarrer sagen: „Ich möchte lieber in die Kirche statt auf den Friedhof, weil wir immer in die Kirche gegangen sind.“ Oder vielleicht in den Vringstreff, wo Leute sonst frühstücken. Im Grunde jeder Ort, bei dem ich das Gefühl habe, das ich dort Menschen empfangen kann, Zeit habe und diesen Moment in irgendeiner Form gestalten kann, um mich zu verabschieden. Der Tod ist ja nichts Neues, aber wir begreifen heute nicht mehr, was er mit uns zu tun hat. Das wir es nicht nur für den Verstorbenen tun, was wir tun, sondern viel mehr für uns, die Hinterbliebenen. So wie Mascha Kaleko gesagt hat: „Den eigenen Tod, den stirbt man nur. Doch mit dem Tod der andern muss man leben.“

Meine Südstadt: Wenn ich mich recht entsinne, hat Mascha Kaleko auch gesagt: „Und halte dich an Wunder. Sie sind schon lang verzeichnet im großen Plan. Jage die Ängste fort und die Ängste vor den Ängsten.“ Das wäre doch ein schönes Schlusswort. Vielen Dank, Herr Roth, für das Gespräch!

 

„Im letzten Hemd“ – Fotokunst-Ausstellung
Bestattungshaus Klemmer-Roth
Karolingerring 26, 50678 Köln
Die Ausstellung kann bis zum 11. November 2017 während der Öffnungszeiten oder nach Vereinbarung besucht werden.

 

Text: Alida Pisu

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