Mit Matrosen und Traktor in den Mai
Montag, 2. Mai 2016 | Text: Aslı Güleryüz | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Ihr Schiff fährt nicht auf hoher See, sondern auf Straßen, hat Räder und ist ein Traktor. Sie sitzen auf der Bierbank auf dem Anhänger, tragen Matrosenkleidung und Mützen. Während der Fahrt spielen sie auf ihren Blech-Blasinstrumenten (ein Akkordeon und eine Gitarre sind auch dabei) Mailieder. Willkommen zum außergewöhnlichen Mai-Blasen in der Südstadt mit der Schwarzmeerflotte.
Die Schwarzmeerflotte, das sind am Samstag Ludwig, Johannes, Christoph, Georg, Michael und Michel. Ihr Gefährt ist hübsch geschmückt mit buntem Krepppapier und grünen Ästen. Jojo sitzt am Lenker, neben ihm seine Frau Sonja und zwei ihrer Kinder. Lustig sehen sie aus in ihrer Matrosenkluft. Der Wind weht kalt, aber die Sonne blitzt nochmal kurz vor 19 Uhr durch die Wolken. Hauptsache, es regnet nicht. Dann muss die Aktion nämlich abgeblasen werden. Zum Auftakt gibt es an der Gelateria Cafeteria Süd noch einen Johnny Walker aufs Haus. Das wärmt von innen. Die Musiker danken es mit einem ersten Ständchen.
Ständchen vor der Eisdiele (v.l.n.r. Christoph, Georg, Michel, Ludwig, Michael und Johannes)
Gleich bildet sich eine Menschentraube. Darunter natürlich Groupies, aber auch Passanten bleiben spontan stehen. Ein Kind tanzt zu Der Mai, der Mai, der lustige Mai. Radfahrer beiben stehen, machen Fotos oder nehmen sogar Videos auf. Tuckernd stetzt sich der kleine Zug in Bewegung. Ich muss sehr vorsichtig fahren, es darf nicht ruckeln. erklärt Jojo. Denn später stehen hinten auf dem Boden die ganzen Kölsch-Gläser. Und die dürfen ja nicht umfallen..
Langsam tuckern wir die Alteburger Straße lang in Richtung Chlodwigplatz. Die Brass-Band schmettert ein Azzuro. Mit Saxophon, Euphonium, Tuba, Akkordeon und zwei Trompeten klingt es einfach wunderbar durch die Straße. Unsere erste Station ist das Büdchen am Eierplätzchen. Auch hier werden erst die klassischen Mai-Lieder angestimmt: Der Winter ist vergangen. Die Passanten schauen etwas verwundert. Bleiben aber stehen., nachdem sie begreifen, dass dies ein mobiles Mai-Blasen in der Südstadt ist, und machen Fotos und Video-Aufnahmen. Nach Wie schön blüht uns der Mai und Nun will der Lenz uns grüßen gibt es wieder Applaus.
Johannes singt ein kölsches Lied als Jojo zur Botmühle fährt.
Weiter fahren wir die Alteburger Straße im Schleichtempo bis zum Ende durch. Hinter uns bildet sich eine Autoschlange. Alle hören gebannt und lächelnd der Musik zu. An der Bottmühle biegen wir zum Seniorenzentrum der AWO ab. Ein paar SeniorInnen stehen vor dem Haus. Der Traktor parkt sich und den Anhänger geschmeidig in der engen Straße und das Ständchen geht los. Jojos Mutter wohnt hier. Sie steht mit ihrem Rollator auf der Straße und ist gerührt. Ob sie sich etwas wünschen wolle? fragt Johannes. Vielleicht So ein Tag, so wunderschön wie heute? Ja, das ist eine gute Idee, das will sie. Ein paar weitere BewohnerInnen schauen aus dem Fenster des Hauses und genießen das Konzert.
Jojo umarmt seine Muter vor dem Seniorenheim.
Knatternd geht es weiter zum Chlodwig Eck. Das Repertoire schwingt in Latino-Rhythmen über. Das Besa me Mucho schmiegt sich an die Häuserwände und lockt die Anwohnr ins Freie. Ein paar weitere Groupies kommen hinzu. Und hier gibt es hausgemachte Mai-Bowle und die erste Runde Kölsch für die Musiker.
Angefangen hat all´das schon in der Jugend von Ludwig und Georg. Die haben sich nämlich am alten Brotautomaten in der Vondelstraße kennen gelernt. Der eine hatte ein rot-weiß gestreiftes Akkordeon dabei und der andere einen rot-weiß gestreiften Kontrabass. Kein Quatsch. Da haben sie beschlossen, gemeinsam Musik zu machen.
Auch Johannes kannte Ludwig aus der Vondelstraße. Seine Großeltern hatten da schon seit vor dem Krieg gewohnt. Nach dem Krieg hat seine Oma dort einen Tante-Emma-Laden eröffnet und später betrieb sein Vater in dessen Hinterzimmer einen Kontrabassverleih. Diese Leidenschaft hat er wohl weitergegeben: Johannes spielt heute Kontrabass im Gürzenich-Orchester. Auch Christoph ist ein alter Freund. Viele Urlaube haben sie schon gemeinsam verbracht.
Solo von Christoph bei ‚Besa Me Mucho‘.
Ja, und am Samstag sitzen sie alle zusammen auf dem Anhänger und spielen Komm, lieber Mai, Die Loreley, Caravan, Tiko Tiko oder La Cucaracha auf ihren Blech-Blasinstrumenten. Wieso spielen sie in der Nacht zum Mai zusammen? Das war Georgs Idee, erklärt Ludwig. Er kannte Jojo. Und Jojo hat einen Traktor in der Südstadt.. Wir wollten den alten Brauch des Mai-Blasens wiederbeleben ergänzt Georg, obwohl keiner von ihnen ein Blasinstrument spielen konnte! Jeder hatte nur einfach irgendwann, irgendwie ein Blasinstrument geschenkt oder vererbt bekommen. Aber die Gründungsmitglieder der Schwarzmeerflotte waren schließlich Profi-Musiker und trafen sich also zu einer ersten Probe zum Mai-Blasen vor ungefähr 20 Jahren. Sie einigten sich über Stimmungen, Bläsersätze, Ideen, Akzente und spielten los. Nach der Probe wurden die Instrumentenkoffer alle versiegelt. Keiner durfte zuhause heimlich üben. Und nach 20 Jahren Mai-Blasen klingt das ziemlich gut, inzwischen arrangiert Ludwig die Stücke für die Vielzahl der Bläser. Durch die Mehrstimmigkeit funktionieren ambitionierte Bläsersätze sehr gut. Eine Probe gibt es vor der Nacht in den Mai und dann gehts los, jedes Jahr am 30. April. Wie lange das Mai-Blasen andauert, ist wetterabhängig. Mal spielen sie bis 23 Uhr, mal bis 4 Uhr morgens.
Wie es zu dem Namen Schwarzmeerflotte gekommen ist, möchte ich gerne noch erfahren. Es gab mal in einem Jahr das Karnevals-Motto Colonia ruft die Narren aller Länder. Da kam die Idee auf, dass wir mit den Ahl Säuen vor dem Rosenmontagszug her ziehen und Musik machen und das als Bayern verkleidet. Im Jahr darauf haben wir das wiederholt und haben uns als Matrosen verkleidet. Da ist dann der Name Schwarzmeerflotte aufgekommen. Als ironische Version des Originals, des Matrosenchors der Schwarzmeerflotte im Karneval.
Wir haben also dem Karneval die Schwarzmeerflotte zu verdanken. Merkt Euch schon einmal den nächsten Termin, diese besondere Band live zu erleben: Sonntag, 30. April 2017. Spaß haben die Jungs von der Schwarzmeerflotte und das steckt an.
Eine Runde Kölsch für die ‚Schwarzmeerflotte‘.
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