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Kultur

Mit „Womanpower“ künstlerische Grenzen sprengen

Donnerstag, 7. September 2017 | Text: Jaleh Ojan | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Während einige Besucher*innen noch in die Betrachtung der Exponate oder ins Gespräch vertieft sind, sind andere bereits damit beschäftigt, Klappstühle herbeizuschaffen. Das hat den Charme des Improvisierten. Zugleich wirkt es ein wenig so, als hätten die Veranstalter der IDA, des ersten interdisziplinären Frauenkunstfestivals der GEDOK Köln mit einem solchen Besucherandrang kaum gerechnet. Zur Vernissage am Dienstagabend erschienen sie zahlreich in den Kunsträumen der Michael Horbach Stiftung, unweit der Lutherkirche: Künstlerinnen und Kunstinteressierte, Freunde und Förderer. Die anwesenden Männer lassen sich allerdings an den Fingern beider Hände abzählen.

Bis zum 10. September werden vier interdisziplinäre Produktionen gezeigt, die rund 20 GEDOK-Künstlerinnen aus den Sparten Musik, Literatur, bildende, angewandte und darstellende Kunst gemeinschaftlich in Gruppen à vier bis sechs Personen erarbeitet haben. „Kipppunkte“, „Ein Kinderspiel“, „Paradise. Lost?“ und „Anna spinnt II“ stehen auf dem Programm, das von einer Ausstellung und einem wissenschaftlichen Symposium begleitet wird, für die der Eintritt frei ist. Die Aktionen trügen „banal anmutende Titel, hinter denen sich sehr komplexe Inhalte verbergen“, sagt die Initiatorin und Kuratorin Gudrun Pamme-Vogelsang in ihrer Eröffnungsrede.

 

 

Die Abstracts zu den Kunstaktionen lassen erahnen, dass es sich um ungewöhnliche artistische und personelle Konstellationen handelt. Der Verband GEDOK  bietet kunstschaffenden Frauen die Gelegenheit, sich zu „vernetzen im immer noch männlich dominierten Kunstgeschehen“, wie Pamme-Vogelsang erklärt. Als Mary Bauermeister die Schirmherrschaft übernahm, sei das Herausforderung und Ermutigung gleichermaßen gewesen, sagt Pamme-Vogelsang. Bauermeister schreibt in ihrem in der Festivalbroschüre abgedruckten Grußwort, sie habe damals in den Siebzigern die Einteilung in Männer- und Frauenkunst gestört. Heute sieht sie die Dinge etwas anders, schließlich wird „Frauenkunst“ nach wie vor belächelt. Ein Grund mehr, weshalb die international renommierte Künstlerin für „Solidarisierung“ plädiert. Auf ihre Ansprache müssen die Gäste der Vernissage leider verzichten, denn die Schirmherrin kann an diesem Abend aus gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen.

Vernetzung und Solidarität

IDA sei mehr als eine interdisziplinäre Aktion, meint Pamme-Vogelsang. Im Sinne von Martin Bubers Diktum, alles wirkliche Leben sei Begegnung, stehe IDA auch für „tiefe und ungewöhnliche zwischenmenschliche Begegnungen.“ Das Akronym ist nicht zufällig gewählt, wie mir die Fachbeirätin für Bildende Kunst später bestätigt. Schließlich wird das Frauenkunstfestival anlässlich des 75. Todestags der GEDOK-Gründerin und Frauenrechtlerin Ida Dehmel veranstaltet, die in den Dreißigern als Jüdin verfolgt wurde. Ihre Vision lebt weiter: Für das älteste Künstlerinnen-Netzwerk Europas stehen Vernetzung und Solidarität im Mittelpunkt. Noch immer gilt, wie Pamme-Vogelsang anmerkt: „Künstlerinnen haben einen schweren Stand“.

Das Alleinstellungsmerkmal der GEDOK (Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V.) sei, dass hier alle Kunstgattungen vertreten seien. Die prozesshafte Zusammenarbeit von Künstlerinnen der verschiedenen Sparten sei in diesem Kontext allerdings neu, sagt die Initiatorin. Ihr war es „wichtig, das in der Öffentlichkeit präsenter zu machen.“ Damit hat die Kölner GEDOK als eine von insgesamt 23 deutschen Regionalgruppen etwas Einmaliges auf die Beine gestellt: Etwas Vergleichbares habe es in Deutschland noch nicht gegeben. Eine zweite IDA ist bereits in Planung. Die Kölner Künstlerinnen werden dafür mit den Kolleginnen der Bonner GEDOK kooperieren, präsentiert werden die Arbeiten dann voraussichtlich im Bonner Frauenkunstmuseum.

(Flachs-)Spinnereien, Kindheitserinnerungen und verlorene Paradiese

 

Lebendige Eindrücke von den Aktionen liefern dann die Künstlerinnen selbst. Der kombinatorischen Vielfalt der Kunst scheinen keine Grenzen gesetzt, wie an den Kurzvorstellungen ihrer vier Performances deutlich wird. Dabei lassen die vier Künstlerinnen, die ihre jeweilige Arbeitsgruppe vertreten, ihren einführenden Vortrag teilweise zu einem eigenen kleinen Kunstwerk werden.

In der Performance „Paradise. Lost?“ ist der Name Programm: Wort, Ton und visuelle Zeichen verknüpfend, wollen die sechs Künstlerinnen der Projektgruppe Paradiesvorstellungen darstellen, aufbrechen und hinterfragen. Und „Gegenwelten zu Umwelt- und Naturzerstörung“ entwerfen. „Wir fragen nach den Gärten des Glücks und der Ferne“, sagt Johanna Hansen, die den literarischen Teil beisteuert. Ob das Paradies ein Ort ist, den wir für immer verloren haben, oder eine Heimat, die wir in uns tragen? Die Performance wird möglicherweise Antworten liefern.

Dorissa Lem tritt in rotem Overall und mit roter Clownsnase vor die versammelten Gäste und erklärt mit augenzwinkerndem Humor, worum es in „Anna spinnt II“ geht. Das Projekt bringt vier Künstlerinnen aus den Disziplinen Musik, Literatur und bildende Kunst zusammen. Jede setzt sich auf ganz unterschiedliche Weise mit der Kunstfigur Anna auseinander. Doch Anna ist nie das, was man zu sehen glaubt. Sicher sei nur eins: Anna spinnt – und spinnen sei ein „prekärer Zustand, der nicht leicht zu beschreiben ist“ …

 

Eine darstellerische Kostprobe aus „Kipppunkte“ verrät, was die Besucher*innen der Performance am Freitag erwartet. „Kippmomente“ des Lebens werden akustisch, szenisch und anhand von Objekten ausgelotet und intermediär verflochten. Handlungsspielraum ist ein Kreis, den Veronika Moos aus Schäben zusammenkehrt. Die Künstlerin macht die Zuschauer*innen noch mit ganz anderen Fachbegriffen aus dem Bereich der Flachsgewinnung vertraut. Raufen, Riffeln und Hecheln gehören unter anderem dazu, erfährt der Laie nebenbei.

Dass sich die „inneren Kreise“ der Künstlerinnen für neue Impulse öffnen, wird am Beispiel von Bettina Dorn deutlich, die vor einem Jahr zu einer bestehenden Künstlerinnengruppe stieß und nun mit Rezitationen von literarischen Texten ihrer verstorbenen Mutter „mitmischt“, wie sie sagt. „Ein Kinderspiel“ ist laut Dorn eine Einladung, den „performativen Vielklang“ aus Worten und Geschichten, Installationen und Malerei wahrzunehmen, seine „Sinne auf eine Reise zu schicken.“

Lichte Räume für „Frauenkunst“

Nach den künstlerischen Appetithappen schwärmen die Besucher*innen aus, um die Exponate näher in Augenschein zu nehmen, die allesamt im Rahmen der Projektarbeiten entstanden sind. Sie geben einen Vorgeschmack auf die Aktionen, in denen die verschiedenen Ausdrucksformen zu Gesamtkunstwerken verwoben werden. Man darf gespannt sein, wie zum Beispiel die großflächigen Öl- und Kreidegemälde von Catharina de Rijke zu Anne Dorns Texten finden werden, oder Dorissa Lems Holzskulpturen und Handdrucke zu Melitta Bubalos Musik.

Einige Exponate haben „Wiedererkennungswert“, lassen etwa, wie die echten und die papierenen „Paradiesäpfel“ im dritten von vier Ausstellungsräumen, Rückschlüsse auf die einzelnen Performances zu. Andere, wie die von der Decke herabhängenden Papierstreifen und die abstrakten Kohlezeichnungen, würden sich nicht so klar zuordnen lassen, wäre nicht jeder Arbeitsgruppe ein eigener Raum gewidmet.

Vom Zusammenspiel von Licht und Raum in den weitläufigen Ausstellungshallen schwärmt eine Besucherin, die laut eigener Aussage „auf dem Weg“ zur Mitgliedschaft sei. Ihre Begleitung, bereits Vereinsmitglied, pflichtet ihr bei: „Ich bin begeistert von den Räumen“, sagt sie, und sie zeigt sich von dem Leitgedanken der GEDOK angetan, der im Sinne Ida Dehmels bis heute Bestand hat. GEDOK bietet nach wie vor eine Plattform und einen Begegnungsort „für Künstlerinnen, die ein bisschen weniger Chancen haben, ins Museum zu kommen.“
 

Text: Jaleh Ojan

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