Mörtter und das Schicksal der entführten Flüchtlinge
Dienstag, 18. Februar 2020 | Text: Nina Giaramita | Bild: Judith Levold/Barbara Siewer
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
„Ich kann nicht anders, ich will ihr helfen“, schreibt Pfarrer Hans Mörtter. Im Herbst vor zwei Jahren war das – eine lange dramatische Nachricht setzte Mörtter damals auf Facebook ab. Es ging um die Eritreerin Wehazit und ihren vierzehnjährigen Sohn Hermon.
„Heute abend war Wehazit bei mir“
Schreibt der Südstadt-Pfarrer. „Sie ist Neu-Kölnerin, aus Eritrea geflohen, hat die Sahara und das Mittelmeer überlebt. Sie ist völlig am Ende, kann nicht mehr schlafen, hat ihren Deutsch-Kurs aufgegeben, um Hardcore-Arbeit in einem Kölner Hotel zu machen. Sie braucht Geld, das sie nicht zusammen kriegen wird.“
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ODEON – das SüdstadtkinoFür jeden, der an diesem Abend die Nachricht von Hans Mörtter liest, entfaltet sich mit dem Lesen der Zeilen der blanke Horror. Denn Wehazits Sohn Hermon, der seiner Mutter nach Deutschland folgen wollte, widerfährt das, was unzähligen anderen Flüchtlingen auch widerfährt: Er wird in Libyen entführt – und die Entführer verlangen von den Angehörigen per Handy-Anruf 6.500 Euro Auslöse.
Um das Geld zusammen zu bekommen, setzt Hans Mörtter an diesem Abend einen dringenden Hilferuf ab und bittet um Spenden. Unter dem Beitrag sammeln sich viele skeptische Kommentare, aber er wird auch über 100 mal geteilt. Zwei Jahre später sitzt Mörtter in seinem Büro und erzählt: „Über Nacht kam der gesamte Betrag zusammen.“
Der 14-jährige Hermon wird freigelassen und kann sich zu seiner Mutter nach Köln durchschlagen – eine Art kölsches Happy End. Der Junge ist aber längst nicht der einzige, dem Pfarrer Mörtter auf diese Art und Weise hilft. „In etwas 20 Fällen konnten wir das geforderte Lösegeld über Spenden einsammeln“, erzählt er. Längst nicht alle halten das, was Mörtter macht, für sinnvoll. „Einer meiner Kollegen aus einer gutsituierten Gemeinde sagte mir, dass er nicht helfen würde, weil er das Entführer-System nicht unterstützen wolle“, sagt der Pfarrer.
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BagatelleMörtter kann diese Einwände nicht gelten lassen. „Wenn nichts passiert, dann ist es der Alptraum für alle. Das bedeutet Sklaverei oder Ermordung – dann gucken wir doch, dass wir das Geld zusammen kriegen.“ Tatsächlich sind Entführungen auf den gängigen Fluchtrouten in Afrika bitterer Alltag. Den Menschen, die nicht aus den Fängen der Entführer befreit werden können, droht Schlimmstes: Sie werden auf öffentlichen Sklavenmärkten angeboten, sexuell missbraucht und gefoltert – nicht wenige werden Opfer von Organhandel.
Laut Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International ist das Ausmaß dieser „Geschäfte“ dramatisch angestiegen. Hans Mörtter will sich damit nicht abfinden. „Das Thema findet aber keine Öffentlichkeit“, sagt er. „Ich frage mich immer, warum darüber nicht geredet wird.“ Tatsächlich sind lediglich einige wenige Zeitungsberichte über diese „Entführungs-Industrie“ erschienen. Größere politische Initiativen, den Entführern das Handwerk zu legen, gibt es bislang nicht. „Dabei könnte Europa, wenn es wollte, die Entführer jagen“, sagt Mörtter. „Der Kampf gegen Schleuser ist eröffnet, Entführer spielen aber keine Rolle.“
Zaghafter Beginn
So regelmäßig wieder verzweifelte Flüchtlinge mit ihren Geschichten in Mörtters vollgestopften Büro sitzen, so regelmäßig will dieser sich mit der Situation nicht abfinden. Mit einem Freund aus dem Sudan – gerade dort boomt das Geschäft mit Entführungen geflohener Eritreer – schmiedete er kürzlich die wahnwitzige Idee, in dem Land selbst nach Verbündeten zu suchen „und die Entführer zu jagen“. Die beiden hatten bereits Kontakte zur dortigen Polizei aufgenommen, zwei Bodyguards angeheuert und einen Jeep gemietet.
Am Ende jedoch muss Mörtter einsehen, dass er für dieses Wagnis mit seinen Aufgaben als Pfarrer in Köln zu sehr eingebunden ist. Aber die Idee hat ihn nicht losgelassen. „Wir gehen das jetzt konzentriert und langfristiger an“, sagt er – „und wir suchen Verbündete.“ Immerhin hat Mörtter mit dieser Geschichte inzwischen die Aufmerksamkeit eines Kölner Kriminalbeamten geweckt. „Der will unbedingt mit mir über die Entführungsfälle reden.“ Es könnte der zaghafte Beginn von etwas Größerem sein.
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Kommentare
Pfarrer Hans Mörtter weiß sich wie immer gut in Szene zu setzen.
Aber wie überzeugend ist das und wie stark ist seine Positionierung wirklich? Rechtfertigt der Mix aus persönlicher Empörung, Betroffenheit und grenzenlosem Helfersyndrom dauerhaft die Konsequenzen, die sich nur notdürftig mit der „Rettung“ einzelner Menschen verdecken lassen?
Tatsächlich läßt es sich als ein mehrfaches moralisches Dilemma beschreiben: der vermeintlich gute Pfarrer macht nicht nur sich selbst und andere (besonders die Spender) zu Helfern von Kriminellen, schlimmer noch: er wird ein wichtiger Unterstützer oder wie man in der Geschäftswelt sagen würde, ein Geschäftspartner mit umsatzfördernder Wirkung. Er hilft das Geschäftsmodell auszubauen, indem er durch seine offensive finanzielle Erpressbarkeit Menschenhandel fördert.
Denn warum sollten Kidnapper zukünftig auf diese lukrative Einkommensquelle aus Colonia/Germoney verzichten? Was passiert, wenn sich irgendwann später rausstellt, dass doch nicht für jede/n Entführte/n beliebig viel Lösegeld akquiriert werden kann? Wer übernimmt dann die Verantwortung für angedrohte Sklaverei oder – was Gott verhüten möge – für die mögliche Ermordung der Opfer? Oder geht das die wohltätigen Retter nach Erreichung eines gewissen humanen Saldos nichts mehr an?
Da wirken die beschriebenen Hilfsscheriff-Phantasien ungeachtet der praktischen Umsetzbarkeit geradezu rührend, wenn diese nicht sofort durch den Hinweis auf die Aufgabengebundenheit als Pfarrer (der meines Wissens niemals Teil der Exekutive eines Landes und schon gar nicht eines anderen Staates sein kann) konterkarikiert würde. (Beide Absätze im Text sind absolut kabarettreif!)
Übrigens: weltweit werden ca. 200 Millionen Christen aktiv verfolgt, was bislang beide große Kirchen erstaunlich unbeeindruckt läßt. Wie wäre es, wenn Hans Mörtter seine helfende Hand denen entgegenstrecken würde?
Ist es so, dass hier „Entführer“ das Geld verlangen. Oder ist es so, dass dieses Geld erst die Überfahrt nach Deutschland ermöglicht, weil es keine Entführer gibt sondern nur Schlepper, die gefälligst bezahlt werden wollen? Ich finde es eine hervorragende Idee, dass Herr Mörtter mit der Kripo spricht, denn da kann er sich gleich einlassen und ist dann aktenkundig, nicht als edler Ritter sondern als Unterstützer illegaler Einwanderung und Helfershelfer von Schleppern und Menschenhändlern. Lügen „für die Gute Sache“ bleiben Lügen.
Haben auch Sie einen Angehörigen in Übersee, der kein Geld hat um noch Deutschland zu reisen? Kein Problem: Einfach zu Hans Mörtter gehen und was von bösen Entführern erzählen. Klappt garantiert. Der perfekte Enkeltrick für die Südstadt. Pfarrer Mörtter wird in kürzester Zeit jeden noch so unerschwinglichen Betrag auftreiben. Herr Mörtter legt auch gern das Kirchensilber vor die Tür, wenn falsche Polizisten anrufen und antwortet auf Nigeria-Spam-E-Mails immer mit Angabe seiner Kontoverbindung. Eine unerschöpfliche Geldquelle!