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Gesellschaft

Montags geöffnet!

Donnerstag, 2. Juli 2015 | Text: Aslı Güleryüz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Wir alle haben gelernt: Museen haben montages geschlossen. An verregneten Tagen ist das keine Option, um den Nachwuchs zu bespaßen. Aber Moment mal! Da tut sich doch etwas im Schokoladenmuseum. Da laufen ja auch Gäste an einem Montag herum! Das sind aber nicht irgendwelche Gäste.

An jedem Montagnachmittag öffnet sich eine Tür des Schokoladenmuseums, und eine Horde Kinder im Grundschulalter stürmt in das Museum. Wild sprechen sie in mir unverständlichen Sprachen durcheinander, lachen, strahlen und freuen sich auf die nächsten zwei Stunden.

Anfang Januar hat sich das Schokoladenmuseum an der Aktion “Licht aus für Rassisten” Beteiligt und somit ein Zeichen für ein tolerantes, offenes Köln gesetzt. Das war Gerburg Imhoff, Geschäftsführerin des Schokomuseums, aber nicht genug. Da geht doch noch was. Sie initiierte ein Projekt für Flüchtlingskinder im Museum. Es sollte aber keine Eintagsfliege sein, sondern ein langfristiges Projekt, zunächst auf ein Jahr angesetzt. Schließlich wohnen in der Innenstadt genug Flüchtlingsfamilien mit ihren Kindern. Und an die Kinder im Grundschulalter sollte sich das Projekt wenden. Schnell fand Imhoff ein hochengagiertes Team im Museum, das begeistert die Idee weiterentwickelte.

 

Das Schokoladenmuseum ist eine der populärsten Attraktionen, die Köln zu bieten hat. Projekte im laufenden Betrieb mit 20 Kindern, die kein Deutsch sprechen: Das wäre sehr schwierig. Also machte das Museum die Not zur Tugend: Was ist eigentlich mit dem Montag? Montags ist das Museum für Normalsterbliche geschlossen. Aber hinter den Kulissen tut sich jede Menge. Die Pädagogen des Museums haben Erfahrung mit Kindern und Programmen in ihrem Museum. Jetzt hieß es allerdings, Programme zu entwickeln für Kinder, die die Sprache nicht sprechen, die traumatisiert sind, die vielleicht morgen nicht mehr in Köln sind. Nur für sie ist das Schokomuseum montags geöffnet. Was für ein Luxus: Kein Gedränge inmitten von vielen anderen Gästen, kein Warten vor den Lesetafeln oder den Exponaten, der angelegte Regenwald für einen ganz alleine – und der Blick auf den Rhein ganz ungestört.

Integration erleichtern

Der Fokus liegt auf den Kindern. Sie lernen in der Schule Deutsch, haben aber noch Schwierigkeiten, sich in der hiesigen Gesellschaft zurecht zu finden. Aus ihrer Heimat sind sie eine andere Kultur und Mentalität gewöhnt. Im Schokomuseum werden sie von den Pädagogen sanft in die neue Gesellschaftsstruktur eingeführt. So kann die Integration der Kinder erleichtert und erfolgreich werden: Kinderlieder werden gesungen, die geläufigen Kinderspiele werden gespielt, Hilfe bei Hausaufgaben wird geboten, Gerburg Imhoff liest jeden Montag aus bekannten Kinderbüchern vor, Rallyes durch das Museum werden organisiert und natürlich lernen die Kinder, wie man köstliche Schokolade macht. Über gesunde Ernährung erfahren die Kinder auch jede Menge. Jeden Montag gibt es Obst, Wasser und Fruchtsaft.

Endstation Köln?

Ihr Zick-Zack durch Europa hat die jungen Kinder schon in mehrere Länder gebracht, bevor sie in Deutschland landen. Sie kommen aus Syrien, dem Irak, Serbien, dem Kosovo, Russland, Mazedonien, Bosnien und waren auch in Deutschland schon in Stuttgart, Dortmund, Unna oder Wuppertal. Danijel (10) zum Beispiel. Mit seinem sechsjährigen Bruder Mihajlo ist er seit der ersten Stunde im Schokomuseum dabei. Jeden Montag sind die beiden dabei. Wie lange noch? Das ist ungewiss. Wir dürfen Papa Goran und Mama Sonja in ihrer Unterkunft besuchen, und sie erzählen uns von ihrer Odyssee. Bevor die Familie vor zehn Monaten nach Deutschland gekommen ist, hat sie auch vier Jahre in Schweden gelebt.

Trifft ein Serbe eine Türkin in Deutschland und spricht Schwedisch

So fangen gute Witze an: Trifft ein Serbe eine Türkin in Deutschland und spricht Schwedisch. In unserem Fall ist es skurril, fast absurd: Wir sitzen bei Sonja und Goran und erfahren von dem Schwedenaufenthalt. Da ich einen schwedischen Mann habe, habe ich die schwedische Sprache gelernt. Auf meine Frage, ob wir uns lieber auf Deutsch oder Schwedisch unterhalten sollen, lacht Goran: “Auf Schwedisch”. Er fährt fort: “Unsere Tochter Tijana (11) ist mit ungefähr 15 Monaten erkrankt. Sie konnte plötzlich nicht mehr laufen oder sprechen. Ein Kinderarzt in Serbien hat uns nach Schweden überwiesen, um unsere Tochter dort an einem berühmten Institut untersuchen und behandeln zu lassen. Unsere drei Kinder sind dort in Schule und Kindergarten gegangen. Wir haben in einem schönen Wohnhaus mit schwedischen Nachbarn gelebt. Für Tijana haben wir jede Menge Hilfsmittel für den täglichen Gebrauch bekommen. Einen Rollstuhl, besonderes Besteck, besondere Stifte, ein Korsett, ein Fahrrad, eine Fußprothese, damit sie Fahrrad fahren konnte. Doch nach vier Jahren haben sie uns nach Serbien zurückgeschickt. Das war eine Katastrophe. Schweden zu verlassen war sehr, sehr schwer für unsere Kinder. Sie hatten dort Freunde, sprachen die Sprache, das war ihre Heimat. Sie wollten nicht weg. Sie haben geweint. In Serbien werden Roma diskriminiert und isoliert. Unsere Tochter bekommt in Serbien nicht die gleiche Hilfe. Die Ärzte dort wissen gar nicht, was sie machen sollen. Inzwischen ist ihr auch die Fußprothese zu klein geworden.”.
 

Seit November sind Sonja und Goran mit ihren Kindern in Deutschland. Bevor sie nach Köln kamen, waren sie an mehreren Stationen untergebracht. Inzwischen haben sie eine Diagnose für die 11-jährige Tijana bekommen: Juvenile amyotrophe Lateralsklerose. Die Nervenzellen sind geschädigt oder degeneriert. Dadurch kommt es zu einer zunehmenden Muskelschwäche (Lähmung) und einer erhöhten Spastik. Tijana leidet unter Gang-, Sprech- und Schluckstörungen, eingeschränkter Koordination und Schwäche der Arm- und Handmuskulatur. D.h. die Aktivitäten des tägliches Lebens sind enorm eingeschränkt.

 

Aber sie ist ein lebensfrohes Mädchen und sagt: “Ich mag Köln. Das ist eine Großstadt, hier ist immer etwas los! In Schweden war es langweilig.” Hier besucht sie eine Förderschule, und es wird derzeit geprüft, ob die Familie aufgrund der Erkrankung ihrer Tochter größere Chancen hat, in Köln bleiben zu dürfen. “Die Kinder gehen hier wieder zur Schule und schließen Freundschaften,” erzählt Goran. “Meine Frau und ich besuchen viermal die Woche einen Deutschkurs. Das Kinderprogramm im Schokoladenmuseum ist das Beste, was jemand für meine Kinder getan hat. Das ist nicht gut, sondern super! Es ist mit ein Erziehungsprogramm. Meine Kinder haben dadurch besser Deutsch gelernt.”

 

Text: Aslı Güleryüz

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