Musik im Kinderhospital
Dienstag, 6. September 2022 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Astrid Hage/Reinhard Lüke
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
Wer in der Buschgasse die Hausnummer 2 sucht, wird nicht fündig werden. Dabei gab es unter der Adresse durchaus mal ein Gebäude. Und sogar ein ziemlich imposantes.
Wo heute auf dem Spielplatz An der Eiche die Kids toben, stand einst Kölns erstes Kinderkrankenhaus. Ein stilvolles Gebäude mit mehreren Etagen, die Platz für achtzig Krankenbetten boten. Gestiftet und auch finanziell unterhalten wurde das am 19. Oktober 1883 nach nur zwei Jahren Bauzeit eröffnete Haus von Charlotte von Oppenheim, Witwe des jüdischen Bankiers Abraham von Oppenheim. Das Hospital stand Kindern jedweder Konfession zur kostenlosen Behandlung zur Verfügung.
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Dreiling Orthopädie-SchuhmacherHeute erinnert in der Buschgasse nichts mehr an das Oppenheimsche Kinderhospital, das am 29. Juni 1943 bei einem Bombenangriff zerstört wurde. Auch Franziska Erdle, seit 25 Jahren Leiterin der Klavierschule Süd am Ubierring, hatte nach eigenem Bekunden keine Ahnung von dem Krankenhaus, als sie vor vier Jahren auf dem Gelände in der Nähe der Annostraße das Musikhaus Köln Süd eröffnete. Doch bei den Umbauarbeiten des heruntergekommen, seit Jahren leerstehenden Gebäudes seien Spekulationen aufgekommen, wonach das kleine Haus einmal Teil eines größeren Ensembles gewesen sein müsste.
26 Prozent Kindersterblichkeit
In den letzten Jahren machte sich Carmen Eckhardt, Unterstützerin des Musikhauses, daran, gemeinsam mit Ulla Dietrich die Geschichte der Immobilie zu recherchieren. Die Ergebnisse der Untersuchungen stellte sie zusammen mit dem Historiker Thomas Deres am Sonntag im vollbesetzten Musikhaus Süd vor. Dabei ging es auch um die sozialen Verhältnisse in der Südstadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Unter anderem wurde deutlich, dass in der Schokoladenfabrik Stollwerck vornehmlich Frauen beschäftigt waren, die eine 84-Stunden Woche hatten. Die sozialen und hygienischen Verhältnissen in den beengten Wohnungen, größtenteils ohne fließend Wasser und Kanalisation, waren katastrophal, die Kindersterblichkeit lag bei 26 Prozent. Eine spezielle Kinderheilkunde gab es kaum und ein Arztbesuch war für die meisten Bewohner unerschwinglich. Vor diesem Hintergrund war die Eröffnung des Oppenheimschen Kinderhospitals mit dem Angebot einer kostenlosen Behandlung für die Südstadt eine kaum zu überschätzende Wohltat. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dort auch Säuglingsmilch für Bedürftige ausgegeben und in einem Nebengebäude eine eigene Station für Kinder mit infektiösen Krankheiten eingerichtet. Just dieses Nebengebäude hat die Bombardierung überstanden und beherbergt heute das Musikhaus Süd.
Keine Behandlung von Juden
Doch schon vor seiner Zerstörung setzten die neuen nationalsozialistischen Machthaber dem Oppenheimschen Kinderhospital zu. 1937 tilgten sie den Namen der jüdischen Stifterin und benannten die Einrichtung in „Städtisches Kinderhospital“ um, vier Jahre später dann folgte das Verbot, dort jüdische Kinder aufzunehmen. Unter den Rassegesetzen hatten nicht nur die kleinen Patienten, sondern auch die jüdischen Ärzte zu leiden, die dort arbeiteten. So etwa Max Benjamin, der am Salierring wohnte. Er floh mit seiner Familie nach Amsterdam, wurde dort aber 1943 verhaftet, von seiner Familie getrennt und schließlich nach Auschwitz deportiert. Während der Arzt das Vernichtungslager überlebte, wurden seine Frau und sein Sohn dort ermordet. Wäre also durchaus angebracht, wenn die Stadt Köln nicht nur an das Kinderkrankenhaus, sondern auch an solch tragische Geschichten auf dem Gelände an der Buschgasse in irgendeiner Form öffentlich erinnern würde. Vielleicht mit einer informativen Gedenktafel mit der Hausnummer 2. Und wenn ich das als Anwohner richtig überblicke, macht da bislang auch keine der unzähligen Stadtführungen Station, um über die Geschichte dieses besonderen Ortes zu informieren.
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Filos Köln – et hätt noch immer jot Taverne!Dem Musikhaus Süd kommt das Verdienst zu, durch seine Recherchen diese Südstadt-Geschichte(n) publik gemacht zu haben. Und wie es sich für eine musikpädagogische Einrichtung gehört, wurde auch die informative Veranstaltung am Sonntag von Musik mit hochkarätigen Interpreten begleitet. Begleitet von Christian von Götz an der Gitarre interpretierte Dalia Schächter, Mezzosopranistin an der Kölner Oper, melancholische Lieder des jüdischen Dichters und Komponisten Mordechai Gebirtig (1877-1942), der im Krakauer Ghetto von einem Wehrmachtssoldaten erschossen wurde.
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