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Gesellschaft Kultur

Musik zwischen Straße und Knast (Teil I)

Mittwoch, 6. Oktober 2010 | Text: Betsy de Torres | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Er ist wahrscheinlich der bekannteste Straßenmusiker Deutschlands. Seit über 40 Jahren nennt er die Südstadt sein Zuhause. Wenn man ihn sieht, glaubt man er wäre als „Hippie“ geboren, doch es sollte ein langer Weg werden, bevor Klaus von Wrochem „Klaus der Geiger“ wurde.
In Köln studierte er klassische Musik, wurde von seinem Professor als „interessanter Musiker“ nach Amerika empfohlen. Als Dozent arbeitete er dort in der Musikforschung und hat sogar auf seinen PHD (Doktor) hin gearbeitet: „Beknackt!“, wie er heute lacht, „damals habe ich eben alles gemacht!“ Sein Aufenthalt in Nordamerika prägte ihn: „Es war eine interessante Zeit! Streiks und Demos gegen den Vietnam Krieg. Ein riesiger Aufschrei ging durch das Land“. Wir treffen uns bei ihm zu Hause, in einer schönen Wohnung auf der Mainzer Straße, mit großen Fenstern und Blick auf die Bäume. Eigentlich kennt man ihn als brüllenden, hampelnden, auf der Geige schrammelnden Straßenmusiker „Klaus der Geiger“, einen Musiker der lauten Töne (der zufälligerweise auch noch mein Schwiegervater ist). Doch ich bin dem „Klaus dem Geiger“ der leisen Töne und einem Faible für „laute Farben“ begegnet, mit einer pinken Latzhose (wirklich!), wirrem Haar, einem Lächeln im Gesicht und einem blauen Auge.

Klaus, woher hast du das blaue Auge? Eine Klopperei mit der Polizei?

Klaus von Wrochem (lacht): Nein, nein, das war keine Klopperei mit der Polizei, es war eine Klopperei mit meinem Alkoholkonsum. Ich bin am Rinnstein hängen geblieben und bin übers Rad geflogen. ZACK! BOING! AUTSCH!

Da hast du aber Glück gehabt!

(nachdenklich) Ja, hab‘ Glück gehabt! Ich hab immer Glück! (strahlt und lacht mich an). Nein, nicht immer, doch ich habe eine ganze Menge Glück. Ich bin ganz zufrieden mit meinem Leben! Bei all den komischen Sachen, die da so laufen, gelaufen sind und laufen werden.

Was bist Du von Beruf?
Ich bin Straßenmusiker und Liedermacher. Tausend Lieder habe ich bestimmt schon geschrieben.

Deine Lieder sind wie eine Reise in die Zeitgeschichte unter anderem der Südstadt.
Stimmt! Die Lieder haben einen aktuellen Bezug zur jeweiligen Zeit, in der sie entstanden sind.

Kann man behaupten, dass du als Klaus von Wrochem in die USA gegangen bist, um als Klaus der Geiger zurückzukehren?

Ja. Als ich wieder aus den USA nach Deutschland kam, bin ich Straßenmusiker geworden.

Wer hat die Idee gehabt auf die Straße zu gehen?

Ich. Ich dachte wir müssen als Kulturschaffende unsere Art von Kultur unter die Menschheit tragen.

Hast du politische Lieder gesungen?
Nein! Überhaupt nicht, es war eine rein experimentelle, musikalische  Angelegenheit.

Seit 1970 wohnst du in der Südstadt. Wie war die Südstadt damals?
Hier wohnte man zur Miete. Es gab viele arme Deutsche und jede Menge Gastarbeiter. Es waren Italiener, Spanier, Marokkaner und Algerier, dann kamen die Griechen und zum Schluss die Türken. Das ist alles so gut wie verschwunden. Die Häuser waren nicht so gut saniert, aber die Bäume in der Mainzer Straße standen schon.

Wie hast du gelebt?
Wir haben eine Kommune mit 13, 14 Leuten gegründet. „Tabernakel“ an der Bottmühle. Wir haben meine Kompositionen geprobt und sind auf der Straße gegangen. Die Lieder waren, wie gesagt, eher experimentell. Es war eine wilde, tolle Zeit damals, richtig „freaky“.

Wie definierst du „freaky? (schmunzelnd) Lots of Sex, Drugs and Rock and Roll?

„…Und mit der Liebe, dass ist ja ein Scheiß, weil man ja weiß, dass man nicht weiß, ist das jetzt Liebe, ist das Betrug, ist das auf Dauer, ist es bald genug und ist es dir überhaupt so wichtig? Hör mal Mann, wen meinst du eigentlich? Also, ich meine mich?“ Hör mal, Mann!

 

 

Und dann?
Die Kommune ist kaputt gegangen, alles war auseinander, und ich war im Knast.

Im Knast?
Wir hatten Straßenmusik in Nürnberg gemacht. Die Polizei wollte uns das verbieten.
Es gab eine Massenschlägerei. Da haben sich alle mit allen gekloppt, aber nur drei sind dafür in die Kiste gegangen. Ich war einer von denen (schmunzelnd). Ich war zweieinhalb Monate in U-Haft. Das war sehr „spooky“. Aber ich will Dir mal sagen, dass sind alles so Sachen, da bin ich nicht unglücklich drüber im Nachhinein, das miterlebt zu haben. Es war schon total interessant!

Nach deinem U-Haft-Aufenthalt bist du zurück nach Köln gekehrt und auf die Schildergasse. Warst du da schon der Klaus der Geiger, den wir kennen?
Nein, ich habe alleine herum gefiedelt und englische Lieder gesungen…

Die Wendung?
Ich sollte meine Schwiegereltern in Bünde besuchen. Ich bin mit meinem Sohn Markus, einem kleinen Bengel von 4, 5 Jahren bis nach Essen getrampt. Ich stellte mich auf die Straße und machte Straßenmusik. Ich wollte ein paar müde Mark verdienen und dann mit der Bahn weiter fahren. Das habe ich gemacht, bis die Polizei kam. Es gab einen richtigen Showdown, und sie haben uns beide abgeführt.

Dich und deinen kleinen Sohn?

Ja! Wir saßen im Polizeipräsidium, und sie haben sich unglaublich blöd benommen. Da habe ich es geschnallt! Von da an habe ich nur noch deutsche Texte gemacht. So richtig knallhart. Da bin ich Klaus der Geiger geworden. Das war 1972, 1973.

„…Demokratie , dass ist ja wohl klar, dass das ein Schuss in den Ofen war! Wer seine Stimme abgibt hat nichts mehr zu sagen, und wer will schon für die anderen Verantwortung tragen, jeder ist doch hier für sich. Hör mal, wen meinst du eigentlich? Also, ich meine ja mich?“ (lacht) Hör mal, Mann!  
 

Wurdest du akzeptiert?
Nein, natürlich nicht. Ich hab zu laut gebrüllt, zu schrecklich gespielt und furchtbar brutal herumgehampelt. Entweder sagten sie „Der spinnt!“ oder „Der ist spitze!“. Es gab eine totale Spaltung in der Bevölkerung – die einen haben mich für bekloppt erklärt, die anderen haben mich geliebt, und die dritten haben mich gehasst. Deswegen gab es Polizeieinsätze am laufenden Band…

 

Den zweiten von drei Teilen des Interviews mit Klaus von Wrochem lest Ihr am kommenden Montag auf „Meine Südstadt“.

Text: Betsy de Torres

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