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Gesellschaft

„nachrichtenleicht.de“: barrierefreie Sprache aus der Südstadt

Montag, 1. April 2013 | Text: Gastbeitrag | Bild: Karsten Schöne

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Meine beiden Interviewpartner haben etwas gemeinsam. Beide haben es geschafft, in ihrer journalistischen Arbeit Barrieren zu überwinden. Das Online-Informationsportal „nachrichtenleicht.de“ hat sich genau das zur Aufgabe gemacht. Menschen zu informieren, denen es Probleme bereitet, herkömmliche Nachrichten zu verstehen.

Aller Anfang ist nicht leicht

Es ist mein erstes Interview für „Meine Südstadt“. Die Geräuschkulisse im Café, meine Nervosität und der Wunsch, alles richtig zu machen, verursachen bei mir tatsächlich Wortfindungsprobleme. Unfreiwillig erfahre ich, wie es ist, wenn so eine sprachliche Barriere entsteht und das Verständnis von Informationen für den Geist eine Hürde darstellt.

 

Wie muss sich jemand fühlen, wenn im Fernsehen Nachrichten so kompakt und Schlag auf Schlag kommen, dass man sie schlichtweg nicht versteht? Wenn die Sprache einer Zeitung einem nicht erlaubt, die Geschehnisse der Welt zu begreifen? Allgemein zugängliche Informationen werden dann exklusiv – und man nimmt nicht mehr Teil an dieser Welt.

An diese Zielgruppe richtet sich das Angebot von „nachrichtenleicht.de“. Menschen mit einer Lernschwäche etwa, geistig benachteiligte Menschen, Migranten, ältere oder demente Menschen. Alle eben, die sich Informationen in leichter Sprache wünschen. Meine Interviewpartner sind Clemens Boisseree – er studiert im fünften Semester an der FH Köln den Studiengang Online-Redakteur und war an dem Projekt beteiligt. Und Dr. Tanja Köhler: sie arbeitet für den Deutschlandfunk, und im Laufe des Gesprächs merkt man, dass ihr das Schreiben für die Seite eine Herzensangelegenheit ist: „Es gibt mehrere Millionen Menschen in Deutschland, die Schwierigkeiten haben, konventionelle Nachrichten zu verstehen. ‚Nachrichtenleicht.de‘ richtet sich an solche Menschen. Keiner darf ausgeschlossen werden.“

 

So leicht wie nur möglich

„Nachrichtenleicht.de“ bedient sich der Regeln der einfachen Sprache, hält sich aber nicht ausschließlich daran. Es werden einfach verständliche Sätze gebildet, die aus Subjekt, Prädikat und Objekt bestehen. Auf Nebensätze wird verzichtet, und es werden Bindestriche benutzt, um zusammengesetzte Wörter zu trennen. Zusätzlich werden Wörter, Begriffe und Bezeichnungen erklärt.

 

Kritiker bemängeln die Benutzung des Bindestrichs und halten der Seite vor, sie würde die Rechtschreibung nicht beachten. Doch der Bindestrich wie in „Staats-Bürgerschaft“ zum Beispiel dient – den Regeln leichter Sprache zufolge – als weiteres Instrument, um die sprachliche Barriere so niedrig wie möglich zu halten.

Der Entstehungsprozess

Studenten des Bachelor-Studiengangs Online-Redakteur der Jahrgänge 2010 und 2011 konzipierten und gestalteten die Seite in ihren Grundzügen. Das Ganze war ursprünglich als zeitlich begrenztes Projekt angelegt, das bis September 2012 auf Eis lag. Die Seite sollte erst dann wieder online gehen, wenn eine langfristige Betreibung des Angebots gesichert war. Prof Dr. Werner, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Informationswissenschaft der FH Köln, gewann den Deutschlanfunk für das Projekt. Die Studenten bildeten die Grundlage, und nach Semesterende sollte der DLF es in Eigenregie betreiben. „Öffentlich-rechtliche Qualität, die das Ganze absichert. Besser hätte es das Projekt nicht haben können.“ sagt Clemens Boisseree.

Unter der Federführung von Dr. Marco Bertolaso, des Leiters Zentrale Nachrichten beim Deutschlandfunk und Prof. Dr. Petra Werner wurden von zehn Studenten die Inhalte aufbereitet, und es gab technische und optische Verbesserungen. Neue Funktionen kamen dazu, und die Audiobeiträge, die es ermöglichen, Texte mitzuhören und gleichzeitig zu lesen, wurden auf ein höheres Niveau gehoben.

Für Clemens Boisseree war die Art der Berichterstattung in leichter Sprache etwas Neues. Es erforderte einen neuen Umgang mit der Sprache, und die Diskussionen mit den DLF-Redakteuren über die Verwendung von Wörtern waren, so erzählt er, sehr lebhaft. Für ihn war es äußerst interessant, einen Einblick in die Arbeit des Deutschlandfunks zu bekommen, und selbst während parallel laufender Prüfungsvorbereitungen war die Motivation der Studenten hoch. Mit einem Jahresrückblick im Dezember 2012 wurde die Seite relauncht, die Klickzahlen stiegen jede Woche, und es gab immer mehr positiveres Feedback. Für Clemens Boiserree war das Ganze eine sehr lehrreiche Zeit, er hätte gerne weitergemacht – und umso schwerer fiel es ihm, das Projekt abzugeben.


In richtigen Händen

Seit Ende Januar betreut der DLF das Projekt komplett selbstständig. Zusammen mit Dr. Marco Bertolaso erarbeiten Dr. Tanja Köhler und Rita Vock die redaktionellen Inhalte der Seite. Jeden Samstag wird ein Wochenrückblick ins Netz gestellt. In vier verschiedenen Rubriken werden Themen aus Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport und Gesellschaft aufgearbeitet und präsentiert. Die Texte für die Audiobeiträge werden vom DLF-Sprecherensemble in Studios professionell aufgenommen.

 

Dr. Tanja Köhler betont, dass es in der Themenauswahl keine Differenzierung gibt zwischen normalen Nachrichten des DLF und den Nachrichten in leichter Sprache. Egal ob Nahost-Konflikt, Sexismus-Debatte oder die Wahl des neuen Papstes – die wichtigsten nationalen und internationalen Themen werden vermittelt.

 

Doch so leicht, wie sich die Nachrichten lesen lassen, sind sie nicht zu schreiben. „Wenn Komplexität reduziert wird, besteht die Gefahr, dass Sachverhalte falsch dargestellt werden. Man muss den Dingen noch mehr auf den Grund gehen, um Nachrichten die in leichter Sprache formuliert werden, nicht zu verfälschen“ stellt Dr. Tanja Köhler fest. Sie unterstreicht, dass die Nachrichten in leichter Sprache einem ebenso hohen journalistischen Standard genügen wie die konventionellen Nachrichten des Deutschlandfunks. Das trifft auch auf die formale Darstellung der Sachverhalte zu. Sie liefern kurze Informationen und erheben dabei keinen Anspruch zu analysieren oder zu kommentieren. Des Weiteren will Dr. Tanja Köhler auf keinen Fall mit der Boulevardpresse verglichen werden und distanziert sich davon. Hat man die Hintergründe und die Zielsetzung der Seite verstanden, leuchtet es einem ein, dass dieses Informationsangebot im Grunde genommen genau das Gegenteil ist.

 


 

Gute Aussichten

Mit „nachrichtenleicht.de“ baut der DLF sein seit vielen Jahren bestehendes barrierefreies Onlineangebot aus. Bereits 2010 wurde das Onlinemedienportal Deutschlandradio Dradio Wissen mit der goldenen BIENE ausgezeichnet. Ein Preis für besonders barrierefreie Online-Angebote, verliehen von der Aktion Mensch und der Stiftung Digitale Chancen.

Dass die Sprache keine Barriere darstellen darf, das betont auch Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Ende Februar gab er eine Pressemitteilung heraus, in der er das Informationsportal lobt und erfreut ist, dass Informationen jetzt mehr Menschen erreichen. Diese Pressemitteilung ist auch in einfacher Sprache verfasst worden – eine kleine Geste, die dennoch so viel Würdigung beinhaltet.

Machen Sie sich selber ein Bild, ein leichter Klick genügt: www.nachrichtenleicht.de
 

Text: Gastbeitrag

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