Nord-Süd-Stadtbahn erst im Jahre 2019?
Montag, 27. August 2012 | Text: Wassily Nemitz | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Am sichtbarsten war die Situation Mitte des Monats: Am Chlodwigplatz wurden in mehreren, spektakulären Aktionen nachts die Rolltreppen für die U-Bahn-Eingänge installiert.
Im schlimmsten Fall bleiben sie zehn Jahre lang ungenutzt. Denn: Nach derzeitigem Erkenntnisstand soll die Nord-Süd-Stadtbahn im Jahre 2019 in Betrieb gehen, inzwischen scheinen die KVB aber selbst daran zu zweifeln. Welchen Zweck hat es also, jetzt schon Rolltreppen einzubauen, die in zehn Jahren vermutlich generalüberholt werden müssen? Warum sollen die fertigen Stationen über einen so langen Zeitraum ungenutzt bleiben?
Das fragen sich viele Südstädter und genau diesen Tenor trifft auch eine neue Petition, die eine Teilinbetriebnahme für die neue U-Bahn im Süden fordert: Eine neu zu schaffende Linie 17 soll dem Konzept zufolge von Rodenkirchen Bahnhof zur Severinstraße fahren. Aus Rodenkirchen kommend führen die Bahnen ab Schönhauser Straße durch den neuen Tunnel.
Initiiert wurde die Petition neben anderen Gruppierungen von der Interessengemeinschaft Severinsviertel (IGS). Deren Vorsitzender Dr. Thorsten Fröhlich sprach im Interview mit Meine Südstadt von einer Technikruine, die entstehe, sollte die Teilinbetriebnahme nicht kommen. Die Anwohner haben bereits zehn Jahre unter dem Bau gelitten, meint er, unsere ganzen Bemühungen zur Revitalisierung würden ad absurdum geführt.
Die KVB hatten bereits im März gegenüber Meine Südstadt erklärt, sie könnten bis 2015 die Teilstrecke befahren. Die zusätzlichen Kosten belaufen sich nach einer Verwaltungsvorlage auf einmalig 7,8 Millionen Euro, unter anderem für die Installation eines komplizierten Signalsystems, zusätzlich kämen jährliche Betriebskosten von 8,32 Millionen Euro hinzu. Würde hingegen auf eine vorzeitige, teilweise Betriebsaufnahme verzichtet, fielen nach Angaben der Verwaltung nur 1,69 Millionen Euro jährlich an.
Thorsten Fröhlich zieht die Seriosität dieser Berechnungen jedoch in Zweifel zahlreiche weitere Kosten, die erst später entstünden, seien einfach außer Acht gelassen worden: Die Gewährleistung ist dann abgelaufen und Baumängel können wegen der fehlenden Nutzung nicht festgestellt werden. Seiner Auffassung nach würden so Kosten lediglich in die Zukunft verschoben.
In der Politik wird über die Teilinbetriebnahme bereits seit einiger Zeit diskutiert; auch die rot-grüne Ratskoalition ist uneins: Während die Grünen uneingeschränkt für die Inbetriebnahme sind, ist die SPD in sich zerstritten: Der Südstadt-Ortsverein ist für die Eröffnung, ebenso die Kölner Jusos, die Ratsfraktion ist in Teilen dagegen.
Susana dos Santos-Herrmann, die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Rat, sieht den Streit als transparente Diskussion, die bei den Bürgern gut ankäme: Bei den Summen, um die es hier geht, sich direkt auf ein `Wir machen es auf jeden Fall` festzulegen, wäre nicht seriös.
Sie persönlich gehöre zu den Skeptikern, erklärte sie im Gespräch mit Meine Südstadt: Es ist bei der derzeitigen Lage der Stadtfinanzen sehr schwierig, bei so etwas bedingungslos zuzustimmen. Außerdem sei der verkehrliche Nutzen einer Teilinbetriebnahme sehr gering; eine Entlastung des Innenstadttunnels gebe es nicht und auch die Verbindung Südstadt-Hauptbahnhof wäre mit der Nord-Süd-Stadtbahn nicht umsteigefrei zu erzielen, so lange am Waidmarkt die Strecke unterbrochen sei.
Anders sieht das Bettina Tull, die verkehrspolitische Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen im Stadtrat: Konservativ gerechnet kommen täglich 2000-2500 Fahrgäste hinzu, das sagt selbst die KVB, sagte sie im Gespräch mit Meine Südstadt. Es werde viele Umsteiger geben, die an der Severinstraße auf die Ost-West-Achse, vor allem ins Rechtsrheinische, wechselten.
Angesichts dieser Zahlen und der Tatsache, dass die U-Bahn bereits seit 10 Jahren im Bau ist, sei es großer Blödsinn, die neue Trasse nicht zu nutzen.
Zu den Kosten der U-Bahn-Inbetriebnahme behauptete Tull, diese würden vollständig durch die KVB übernommen. Die Kosten sind in deren Haushaltsplan eingerechnet, im Wesentlichen werden sie durch die Einnahmen aus den enormen Fahrgaststeigerungen der letzten Jahre gedeckt.
Wenn die Teilinbetriebnahme angeblich komplett gratis zu haben ist, warum sollte sich die SPD dann in Teilen noch dagegen wenden? Tull meint: Das habe ich selber noch nicht verstanden, da die Maßnahme mit dem Haushalt nichts zu tun hat.
Naturgemäß anders sieht das SPD-Frau dos Santos-Herrmann: Wir haben in den kommenden Jahren bis 2016 allein bei der KVB einen Sanierungsrückstau von jährlich 39,1 Millionen Euro. Außerdem bedürften drei Rheinbrücken einer dringenden Sanierung. Wir können den Euro nur einmal ausgeben, und wenn der Bund auch weiterhin nicht den Erhalt von Infrastruktur fördert, wird es schwierig, alle wichtigen Verkehrsprojekte umzusetzen.
Dos Santos betonte, sie habe großes Verständnis für die Situation der Anwohner, müsse aber eine Entscheidung für die gesamte Stadt treffen und das sei Abwägungssache.
Bettina Tull hingegen sieht das vollkommen anders: Es ist den Anwohnern nicht länger zu vermitteln, dass sie jahrelang unter einer Baustelle gelitten haben und jetzt nichts davon haben. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass der Zeitpunkt für die Gesamtinbetriebnahme noch vollkommen in der Schwebe hänge: Das wissen wir ja wirklich gar nicht, meinte Tull, anhand der Verzögerungen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen am Waidmarkt könne man erkennen, dass das Ganze wohl eher noch ein paar Jahre länger dauern könnte.
Thorsten Fröhlich, Vorsitzender der IGS, lässt daher keinen Zweifel daran, dass er und seine Mitinitiatoren, darunter die Aktionsgemeinschaft Bonner Straße/Chlodwigplatz (ABC) und die SPD-nahe Lobby für die Südstadt die Inbetriebnahme auf jeden Fall wollen. Die Aussichten dafür stehen gut: Die anderen Parteien im Stadtrat haben bereits ihre Zustimmung signalisiert, einzig die SPD hadert noch mit sich. Susana dos Santos-Herrmann wird jedoch nicht müde zu betonen, dass die SPD nicht gegen die Teilinbetriebnahme sei, sondern sich noch nicht entschieden habe.
Droht der Rot-Grünen Koalition an diesem Beispiel ein neuer Streit? Kommen beide Parteien in der Verkehrspolitik nach dem Godorfer Hafen jetzt beim zweiten, großen Projekt nicht zusammen?
Tull und dos Santos wiegeln ab: Es handle sich vielmehr um eine offene Diskussion. Bettina Tull glaubt gar, dass es hier weniger um Verkehrs- als um Haushaltspolitik gehe. Und Susana dos Santos-Hermann holt den alten Spruch hervor: Eine Koalition ist keine Liebesheirat.
Eine Entscheidung im Stadtrat ist noch in diesem Jahr vorgesehen.
Die IGS hat unterdessen online bereits etwa 340 Unterschriften gesammelt, außerdem liegen Listen in zahlreichen Geschäften aus. Wer auch mitmachen will, kann online unterzeichnen.
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