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Politik Wahlen

Demokratie ist anstrengend!

Donnerstag, 15. Oktober 2015 | Text: Gastbeitrag | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Henriette Reker und Jochen Ott sind die aussichtsreichsten Kandidaten für die OB-Wahl am 18. Oktober. Wir haben mit beiden lange Gespräche geführt. Beide haben wir dazu ins Gebiet der zukünftig rund um den Großmarkt entstehende Parkstadt Süd eingeladen. Warum? Weil wir finden, dass sich am Beispiel dieses über die nächsten Jahre zu entwickelnden Stücks neuer Stadt die wichtigsten Themen eines -in allen Vierteln und Bereichen- zukunftsweisenden Köln behandeln lassen.
Henriette Reker saß mit uns eine gute Stunde lang in der Werkstatt von Stadtwaldholz-Schreiner Wilfried Nissing. Lest und hört hier, was sie zu sagen hat.

 

Meine Südstadt: Hier, mitten in der aktuell geplanten Parkstadt Süd, konkret auf dem Gelände der ehemaligen Dom Brauerei, soll ja die erste Landesunterkunft auf Kölner Stadtgebiet entstehen – die Flüchtlinge, die aktuell auf einem Parkplatz in Chorweiler leben, werden umgesiedelt, immer neue kommen hinzu –

Wie reagiert eine Stadtverwaltung dann? Wenn da die eigene, dezentrale Idee konterkariert wird? In einer Einrichtung tausend Leute, da muss man ja drauf reagieren, oder?
Henriette Reker: Also, ich hab mich ja in den vergangenen Jahren und auch Monaten immer gegen eine Landeseinrichtung in Köln ausgesprochen. Also in dieser Größenordnung. Mir geht es nicht darum, dass nicht auch die Kommunen dem Land in dieser Situation helfen müssen, aber: Wir können nicht für uns selber sagen, wir wollen die Flüchtlinge dezentral unterbringen und das Land macht dann bei uns eine so große Einrichtung auf. Wir wollen ja nach unseren Leitlinien nicht mehr als 80 Leute gemeinsam unterbringen. Das hat sich aufgebrochen, daran hab ich als Sozialdezernentin im Nachhinein viel zu lange festgehalten. Jetzt haben wir gesagt, knapp das Doppelte kann es schon sein. Aber 1000 Personen an einer Stelle sind nochmal was ganz anderes.
Man muss aber auch unterscheiden, dass es sich bei den Flüchtlingen in Landeseinrichtungen ja nicht um Menschen handelt, die sofort bei uns integriert werden sollen, sondern die Menschen sollen erst mal aufgenommen, untersucht und registriert werden, um dann von dort aus in andere Städte verteilt zu werden. Das ist der Unterschied zu unseren städtischen Einrichtungen, wo die Menschen dann leben, wenn sie Köln zugewiesen sind.

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Was uns interessiert ist, was machen wir hier als Anwohner aus verschiedenen angrenzenden Vierteln, wenn hier tausend Menschen untergebracht sind, was oder wie kann da eine Kooperation mit der Stadt laufen?
Mit der Stadt kann gar keine Kooperation laufen. Die Stadt kann als Mediatorin auftreten, und das sollte sie auch tunlichst. Es ist eine Landeseinrichtung, sie wird vom Land komplett betreut, und ich finde, die Stadt muss Mediatorin sein zwischen den Hilfsangeboten aus der Nachbarschaft und dem Land.

Sie haben, auch im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen, gesagt: „Der Dreh- und Angelpunkt in Köln für die Entwicklung in der Stadt ist die Schaffung bezahlbaren Wohnraums.“ Wie können Sie als OB dafür sorgen, dass da, wo in wirklich nennenswertem Umfang neu gebaut wird, flächendeckend bezahlbarer Wohnraum entsteht?
Also, wir sagen ja immer, wir, das sind jetzt der Baudezernent und die Sozialdezernentin: Die Parkstadt Süd soll das inklusive Viertel werden. Dazu gehört, dass unterschiedliche Wohnformen da sind, auch in unterschiedlichen Modellen, also etwa generationsübergreifendes Wohnen und barrierefreies Wohnen. Bezahlbarer Wohnraum ist in Köln eins der politischen Themen. Weil wir jetzt schon zu wenig Wohnraum haben, der bezahlbar ist und weil die Stadt ja wächst. Berechenbar wächst. Das merken wir an unseren eigenen Geburtenzahlen, im vorigen Jahr sind 11.000 Kinder geboren worden, 1000 mehr als sonst. Das ist eine aufsteigende Kurve. Was kann die Stadt machen? Die Stadt kann erst mal selbst städtische Grundstücke zur Verfügung stellen und zwar zu einem Preis, der auch zum Beispiel dem Studentenwerk ermöglicht, zu bauen. Weil das Studentenwerk ja keine Maschine ist, die Geld produziert, sondern das Studentenwerk hat ja eine Rechnung, die bei einer schwarzen Null aufhört, die müssen kein Geld verdienen. Aber die können natürlich auch nicht solche hohen Grundstückspreise zahlen. Und da muss eine Stadt, die ja nun auch daran denken muss, wie wichtig die Studierenden sind, wie wichtig Universität ist, erwägen, mal ein Grundstück auch unterhalb des Verkehrswertes abzugeben.

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Die Befürchtung vieler Bürger ist ja, so zumindest haben wir es bei den Veranstaltungen zur Bürgerbeteiligung Parkstadt Süd erlebt, dass die Stadt mit den Grundstücken hauptsächlich Kasse machen will, um den Grüngürtel zu bezahlen.
Ja. Wenn man Flächen auch im Erbbaurecht vergeben würde, könnte man diese Befürchtung ein Stück weiter zerstreuen. lch finde, man kann beides machen. Man kann sowohl Investoren damit holen, dass man Grundstücke lukrativ verkauft und dadurch mischfinanzieren, dass man auch zum Beispiel an das Studentenwerk Grundstücke unterhalb des Verkehrswertes gibt oder auch im Erbbaurecht.

 

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Vielleicht kann man ja auch eine andere städtische Wohnungsbaugesellschaft gründen?
Oder so. Das würde uns ja auch helfen bei den Flüchtlingseinrichtungen. Wir haben ja gefühlt vor zwei Jahren schon mal darüber gesprochen.
Da waren Sie ja die Erste, die an mich die Frage stellte, wie das jetzt sei mit den Neubaugebieten, ob ich da jetzt immer Flüchtlingseinrichtungen plane. Und dann habe ich gesagt ,Ja, würde ich am liebsten tun‘, aber das ist ein ganz schwieriger Prozess in der Stadt, weil natürlich diejenigen, die andere Interessen haben, dann sofort sagen ,Da schreckt man die Investoren ab‘. Ich finde, das ist zu wenig Selbstbewusstsein, was Köln da entwickelt. Man schreckt doch keine Investoren, die in Köln was werden wollen, damit ab, wenn man das sagt.

Was können Sie denn als Oberbürgermeisterin tun, um in Sachen Flüchtlingspolitik preiswerten Wohnraum zu schaffen? Was können Sie da, was Sie als Sozialdezernentin nicht konnten?
Na ja, ich bin ja vom Oberbürgermeister beauftragt worden, die Task Force zu leiten. Und er hat mir seine Kompetenzen nach der Gemeindeordnung übertragen. Also formal könnte ich jetzt alles, was der Oberbürgermeister auch kann. Aber es ist natürlich ein ganz großer Unterschied, ob Sie da mit Amtsleitern aus einem anderen Dezernat sitzen, was eigene Interessen hat, oder ob Sie da als Oberbürgermeisterin sitzen und da sehr deutlich artikulieren, was jetzt das Ziel ist. Und sehr deutlich artikulieren, welche Aufgaben die Einzelnen haben, um dieses Ziel zu erreichen. Im Moment kann ich immer nur darum bitten, dass man daran mitarbeitet. Aber letztlich kann ich nicht sagen, ,Sie legen mir nächsten Freitag um 8.30 Uhr zehn städtische Grundstücke vor, auf die wir jetzt Flüchtlingswohnungen bauen. Und zwar in jedem Stadtbezirk ein Grundstück und in einem sogar zwei.‘ Das ist dann einfach eine Frage des Einflusses. Das ist ja das Problem. Man muss ein gemeinsames Ziel haben, und einer muss das vorgeben. Und bei meinem Hintergrund: Es ändert sich ja nicht der Mensch, weil er das Amt bekommt.

Ja, wir wollten nur wissen, was ist die Stellschraube, an der Sie als Oberbürgermeisterin drehen können, an der Sie als Dezernentin nicht drehen konnten?
Formal gibt es keine, aber es ist ja ein ganz anderes Auftreten.

Als OB, also Verwaltungschefin, sind Sie aber dann auch Chefin aller Amtsleiter.
So ist das.

Und vor allem dezernatsübergreifend.
Im Moment habe ich nur eine abgeleitete Position.

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Eine Verwaltung funktioniert nur, wenn der Rat ihre Vorlagen absegnet. Es gibt ja auch politische Entscheidungen, die umgesetzt werden müssen.
Es braucht immer politische Entscheidungen. Aber die Oberbürgermeisterin hat ja einen ganz großen Vorteil: Die schlägt dem Rat vor, was er entscheiden kann. Dem muss er dann zwar nicht folgen. Aber sie kann überhaupt mal was vorschlagen, was nicht ideologisch schon in eine Richtung strebt. Bei mir geht es ja darum, in einen Wettbewerb einzutreten um die besten Ideen.

Das hört sich ziemlich anstrengend an.
Das ist auch anstrengend. Demokratie ist überhaupt anstrengend.

Aber noch mal zurück zu dem großen Projekt Parkstadt Süd. Da soll, heißt es ja immer -und jeder bemüht diese Phrase- ein gemischtes, lebendiges Viertel entstehen, von inklusiv und ökologisch nachhaltig mal ganz abgesehen. Ein gemischtes, lebendiges Viertel, was nicht durch reine Wohngebiete zu erreichen ist und auch nicht durch reine Gewerbegebiete. Auch mit so kleinem, produzierenden Handwerk – das taucht aber in dem Plan gar nicht mehr auf. Wie gemischt wird es dort tatsächlich? Also wird man aus Ihrer Sicht etwa so eine Schreinerei wie diese hier dort wiederfinden?
Ja, wir müssen zumindest die Möglichkeit dafür bieten. Also wir können ja nur dafür werben, dass wir dann auch solche Gewerbe bekommen. Das halte ich schon für gut und für wichtig, weil sonst wird es nur eine reine Wohnstadt und die Lebendigkeit ist ja gerade wichtig: Wohnen, Arbeiten und auch Angebote mit Freizeitmöglichkeiten und Gastronomie..

So einen Rheinhauhafen 2.0 wollen und sehen Sie in der Parkstadt Süd also nicht?
Nein, sicher nicht. Ich glaube, das will überhaupt keiner mehr. Es reicht schon, wenn wir das da haben. Aber daraus hat man ja sicherlich auch gelernt.

Sie sind ja auch Umweltdezernentin. Welche umweltpolitischen Ziele sollte man in so einem neuen Viertel verfolgen?
Na ja, dass vernünftig geheizt wird.

Es gibt ja Stadtviertel, die versuchen, dass überhaupt kein Müll mehr nach außen dringt. Soll man das so radikal hier umsetzen? Mehr Kreislaufwirtschaft?
Man muss das sicherlich auch mit denen besprechen, die da hinziehen wollen. Der Versuch einer sehr frühen Bürgerbeteiligung wird ja gerade hier gemacht, und daran sehen ja an allen Beteiligten, dass man das ernst nimmt. Da muss natürlich Begrünung möglich sein in allen Facetten.

Auch auf Fassaden und Dächern? Da gibt es ja tolle Beispiele aus dem internationalen Bereich. Die ziehen kommerziell Gemüse auf den Dächern in Chicago und New York. Das müssen wir doch hier, wenn wir Metropole sein wollen, auch haben.
Ja und vor allem in so einem neuen Gebiet, wo das alles möglich ist.

Wie pushen Sie das als Oberbürgermeisterin?
Durch Öffentlichkeitsarbeit und dadurch, dass ich viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter gewinne. Es muss begriffen werden, dass das was damit zu tun hat, was unsere Stadt auf Dauer lebenswert macht. Und ich glaube, dafür ist jetzt auch die Zeit. Der Wunsch nach einer „essbaren Stadt“ zum Beispiel taucht ja in vielen Stadtteilen von selbst auf. Nicht nur hier in Bayenthal oder in der Südstadt, auch in Ehrenfeld oder Kalk. Da musste die Stadt ja keine große Öffentlichkeitsarbeit machen und sagen, ich will jetzt essbare Gärten. Das machen die Menschen ja von selbst. Da muss man sich jetzt die Richtigen suchen, die, die ohnehin von dem Gedanken begeistert sind und dann kann man auch die anderen überzeugen.

 

Frau Reker, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.

 

 

Das Interview führten Judith Levold und Stefan Rahmann.
 

Text: Gastbeitrag

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