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Gesellschaft

Operieren in Nalerigu

Dienstag, 21. Februar 2017 | Text: Gastbeitrag | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Der Alltag im februargrauen Deutschland hat ihn wieder – und zwischen seinen Behandlungsterminen nimmt sich der Chirurg Dr. Karl-Heinz Moser in seiner Praxis am Karolingerring Zeit für ein Gespräch mit uns, um von seiner Mission in Ghana zu berichten. Denn gerade erst ist er zurückgekehrt.

 

„Für mich ist Operieren Entspannung“, sagt er, und man glaubt es ihm unbesehen. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb ihm kaum anzumerken ist, was für arbeits- und ereignisreiche Tage hinter ihm liegen. Denn der Hernienspezialist, Experte für auch so genannte Bachwand-Brüche (die nach-außen-Stülpung des Bauchfells mit Folge eines Hervortretens der inneren Organe, Anm. der Redaktion) reiste in Begleitung seiner Frau, der Fotografin Marion Koell, und einer Krankenschwester Ende Januar erneut ins nord-ghanaische Nalerigu, um honorarfrei Menschen zu behandeln, die sich medizinische Behandlung nicht leisten könnten – selbst wenn sie Zugang dazu hätten.

Einsatz in Nordghana

Doch die medizinische Versorgung im Niemandsland an der Grenze zu Burkina Faso ist äußerst mangelhaft, und die Zahl derjenigen, die zum Teil seit vielen Monaten auf eine Behandlung ihres oft lebensgefährlichen Eingeweidebruchs warten, ist groß. Das von Dr. Moser und dem Team des von ihm gegründeten Vereins „Operation Hernia Köln e.V.“ zu bewältigende Arbeitspensum hat es in sich.

 

Gleich am Tag der Ankunft wird der Chirurg gebeten – nach einem 16-stündigen Flug, wohlgemerkt – sich um ein Kind zu kümmern, dessen Bruder ihm beim Öffnen einer Kokosnuss zwei Finger abgeschlagen hatte. Die Behandlungsmethode klingt für den Laien ungeheuer kompliziert – doch die Operation verläuft erfolgreich. Dr. Moser nennt das lapidar einen „typischen Anfang“.

Dann gilt es, sich wieder an den eng getakteten Zeitplan zu gewöhnen, der das Team in den kommenden Tagen auf Trab halten wird. Nach dem obligatorischen Gemeinschaftsgebet wird im Baptist Medical Center pünktlich um 8 Uhr mit der Arbeit begonnen. Bereits kleine Verspätungen würden von den Krankenhausmitarbeitern gerügt, erzählt Dr. Moser lachend. „Es gibt Afrikaner, die sind preußischer als die Preußen. Das ist ganz anders, als man es sich so vorstellt“.

 

OP bei Stromausfall / Foto: Marion Koell/Operation Hernia Köln.

 

Wenn der Chirurg von „Wahnsinns-Wechselzeiten“ im ghanaischen Krankenhaus spricht, bedeutet das konkret, dass zwischen den einzelnen Operationen kaum Zeit zum Verschnaufen bleibt. 10 bis 14 Menschen werden täglich operiert, angefangen bei den Kleinsten bis hin zu den Ältesten, „dann sind wir meistens fertig zwischen 6 und 7 Uhr abends“.

 

Die Patienten reisen häufig aus dem Nachbarland an und nehmen teils lange Fußmärsche auf sich, um ihren Bruch (Hernie) operieren zu lassen: Eine Erkrankung, die hier nicht annähernd so bekannt ist wie Malaria, für viele afrikanische Familien jedoch ein großes Problem darstellt. 15 Millionen Menschen auf dem gesamten Kontinent warten auf eine Behandlung ihrer Hernie. Gerade auch Ghana leidet unter dem sogenannten Braindrain, also der Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften. Zwei Drittel der ghanaischen Ärzte verlassen nach ihrer Approbation ihr Heimatland.

Schweres Gepäck

Doch selbst in so entlegenen Orten wie Nalerigu gibt es noch genügend Menschen mit medizinischem Knowhow. Dr. Moser lobt die Kompetenz des Personals im Medical Center: „Ich würde jeden nach Deutschland mitnehmen“, sagt er – auch weil er beeindruckt ist von der Fähigkeit seiner afrikanischen Kollegen, mit den Widrigkeiten des Krankenhausalltags zurechtkommen. Mittlerweile haben sich alle gut aufeinander eingespielt.

 

Ein wenig Improvisation half am Anfang, der etwas chaotischen Lage im Krankenhaus Herr zu werden. „Dadurch, dass ich nun schon zum dritten Mal da war, weiß ich, worauf ich mich einstellen muss und was ich mitnehmen muss.“ Stets im Gepäck hat sein Team die obligatorischen Netze, die bei Operationen von Bauchwandbrüchen zur Verstärkung des Gewebes eingesetzt werden. Wie immer hatte das Kölner Team auch beim letzten Flug nach Ghana reichlich Übergepäck, allerdings war diesmal auch noch ein Überwachungsmonitor für das Krankenhaus dabei.  

„Keiner, der Schmerzen zeigt“

Den Kölner Arzt haben seine mehrfachen Einsätze in Westafrika offensichtlich sensibel gemacht für die Missstände, angefangen von der Schere zwischen Arm und Reich in der ghanaischen Hauptstadt Accra, über die Gefahren, ausgehend von der giftigsten Müllhalde der Welt, bis hin zum ganz konkreten Elend im Krankenhaus Nalerigus, in dem Frauen oft auf dem Boden schlafen müssen und Kinder an Malaria sterben.

Wir wollen wissen: Gibt es im Vergleich zu Deutschland einen grundlegenden Unterschied im Umgang mit Krankheiten? „Der erste Unterschied ist schon mal, dass wir (hier) als Dienstleister angesehen werden.“ In Afrika hingegen nehme man nicht nur lange Wartezeiten in Kauf. Manche Patienten legten zu Fuß große Distanzen zurück, um das Krankenhaus zu erreichen. „Der große Unterschied ist: Es macht keiner Mucken“, fährt Dr. Moser fort. „Es gibt keinen, der Angst hat. Keiner, der irgendwie Schmerzen zeigt; das kenne ich nicht.“

 

Sind die Kinder in Deutschland oft aufgeregt und unkonzentriert, werde dort weder geschrien noch getobt. „Die Ruhe dieser Kinder, das beeindruckt mich am meisten“, sagt er. „Ich habe mal gefragt, wieso das so ist, und da haben sie gesagt, den Kindern wird beigebracht: ‚Wenn du schreist, dann kommt der Löwe an.‘“ Offensichtlich herrschen andere Erziehungsmethoden im Norden Ghanas, wo es noch einen König, „witch doctors“ und sogar ein Hexendorf gibt und wo Rituale mit geköpften Hühnern durchgeführt werden, um die Identität einer wahren Hexe zu „bestimmen“.

Der Ruf der Ferne

Ein krasserer Kontrast zu seinem Arbeitsumfeld in der Nähe des Chlodwigplatzes ist kaum vorstellbar. Und doch ist die jährliche Mission jetzt sozusagen Pflichtprogramm, denn Direkthilfe von Bürger zu Bürger ist Dr. Moser eine Herzensangelegenheit. Für den Wahlkölner ist es nun schon der siebte Einsatz gewesen, und wenn man ihn so enthusiastisch von seinem Engagement reden hört, dann weiß man, dass es nicht der letzte war.

 

Kind mit replantierten Fingern wird bei Handy-Licht untersucht. / Foto: Marion Koell

 

Dabei hat es den Mediziner bereits in seiner Studien- und Ausbildungszeit in die Ferne gezogen, also lange vor den ersten humanitären Einsätzen, die ihn neben Westafrika auch nach Ecuador und in die Mongolei führten. Seine Abenteuerlust wurde aber vor allem 1990 bei einem UNO-Einsatz in Mittelamerika angefacht. „Da wurde ich gebeten, dass ich einen Einsatz begleite, drei Monate lang, zur Entwaffnung der Contras in Nicaragua“, berichtet Dr. Moser. Die Camps lagen in entlegenen Gegenden mitten im Dschungel und bereiteten ihn vor auf die Herausforderungen, denen er jetzt in Ländern wie Ghana begegnet.

Moskitonetze aus Indien

Eine glückliche Fügung wollte es, dass sich der ausgebildete Unfallchirurg im Jahr 2009 auf dem Hernien-Weltkongress in Berlin als einziger Deutscher in einer Sitzung zum Thema Hernienoperationen in der Dritten Welt wiederfand. „Als erstes kam ein Inder und sprach darüber, dass man nicht die teuren Netze wie hier in Deutschland kaufen muss, sondern dass man auch Moskitonetze verwenden kann“, erzählt Dr. Moser. Der indische Mediziner zeigte ihm dann ein Bild mit verschiedenen Netzen, die bei Hernienoperationen zur Verstärkung des Gewebes eingesetzt werden.

 

Frauenstation in Krankenhaus im Nalerigu / Foto: Marion Koell.
 

„Und er hat mich gleich gefragt: ‚Was glauben Sie ist das Original für 70 Dollar und was ist das für 0,01 Cent?‘ Die waren gleich, das konnte man nicht entscheiden.“ Dass beides seinen Zweck erfüllt, ist einleuchtend; der Kölner Chirurg ist von dieser so genialen wie einfachen Idee angetan. „Dann hatte sich Operation Hernia vorgestellt und in dem Rahmen hat sich herausgestellt, dass noch keine deutsche Gruppe gefahren ist. Da habe ich gesagt, gut, ich werde ein Team zusammenstellen.“ Gleich die erste Mission im Jahr 2010 führte das Team nach Nalerigu, wo Dr. Moser und seine Frau inzwischen alte Bekannte sein dürften.

Keine Angst im Entwicklungsland

Es braucht mehr als Abenteuerlust, um für die Arbeit in der Entwicklungshilfe startklar zu sein. Wer sich ernsthaft dafür interessiert, sollte nach Dr. Mosers Ansicht körperlich gesund sein, sich um Prophylaxe kümmern und sich auf Essen und Räumlichkeiten einstellen, die nicht unseren Standards entsprechen. Vor allem aber dürfe man keine Angst haben. „Wenn Sie Angst haben, sind Sie in einem Entwicklungsland verloren“, meint der Chirurg.

 

Was im Laufe des Gesprächs auch deutlich wird: Vor religiösem Eifer sollte man ebenfalls keine Scheu haben, denn häufig sind sowohl die Volunteers aus den USA als auch die einheimischen Fachkräfte überzeugte Christen. Wie Dr. Moser anerkennend feststellt, gibt ihnen der Glaube „eine unglaubliche Stärke“. Die ist sicher vonnöten, um den Alltag im Baptistenkrankenhaus zu bewältigen.

Unterstützung für die gute Sache

Angesichts der Materialkosten ist das Kölner Team auf Unterstützung angewiesen. Zwischen 4.000 und 5.000 Euro kostet so ein rund zehntägiger Einsatz, der über Spenden finanziert wird. Das Team freut sich nicht nur über Großspenden, sondern über jeden einzelnen, der beispielsweise eine Operations-Patenschaft übernimmt. „Wenn jemand eine Patenschaft übernimmt à 75 Euro, der kriegt dann eine Spendenquittung und natürlich auch ein Bildchen von dem, den wir operiert haben“, sagt Dr. Moser. „Dann weiß man auch: Ah, da ist das Geld hingegangen. Und das finde ich eigentlich immer ganz nett.“

Auf der Website www.operation-hernia-koeln.de erfährt man übrigens nicht nur allerhand Wissenswertes über den Verein. In wenigen Sekunden hat man sich dort auch für den Newsletter angemeldet, der unter anderem über anstehende Charity-Veranstaltungen in Köln informiert. Anderen etwas Gutes tun – das geht also auch auf eine bequemere Art.

 

Die Autorin: Jaleh Ojan war ein waschechtes Südstadtkind, bis sie dem Stadtteil in den späten 80ern dann wieder untreu wurde. Heute zieht es sie immer wieder in das alte Heimatveedel – vor allem auch wegen der großartigen Theater. Seit 2002 schreibt sie als freie Kritikerin/Journalistin für diverse Medien.

Text: Gastbeitrag

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