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Kultur

„Orlando“ – Premiere im Freien Werkstatt Theater (FWT)

Sonntag, 23. Oktober 2011 | Text: Roger Lenhard | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: eine Minute

Der geschichtliche Handlungsrahmen der semi-biographischen Romanvorlage „Orlando“ von Virginia Wolff umfasst ungefähr 350 Jahre. Die Geschichte beginnt im blühenden elisabethanischen Zeitalter im Jahr 1588, als der „junge, reiche und gut aussehende“ Aristokrat Orlando 17 Jahre alt war. Nach einer enttäuschenden Beziehung zu der russischen Prinzessin Sascha zieht er sich auf seinen prächtigen Landsitz zurück, versucht sich als Literat und lädt den Schriftsteller Nicholas Greene ein, dessen Gönner er wird. Die mäßige Dankbarkeit Greenes findet Ausdruck in einer satirischen „Verhohnepipelung“ der künstlerischen Ambitionen Orlandos.
Orlando wird Diplomat in Konstantinopel, verheiratet sich mit einer spanischen Tänzerin und fällt während einer Ordensverleihung in  eine mehrtägige Ohnmacht. Aus dem Koma erwacht Orlando als Frau, wird von Zigeunern versteckt und kehrt zurück ins prüde England des 19. Jahrhunderts. Auf der Suche nach „Leben, Liebe und einem Ehemann“ heiratet sie einen Seemann, Soldaten und Orientforscher, der am liebsten um das Kap Horn herumsegelt. Zum Ende der Geschichte wird Orlando die Mutter eines Sohnes und begegnet ihrem Ehemann wieder, der 1928 aus einem Flugzeug fällt. Orlando ist 36 Jahre alt.

 

Diesen großen Zeitrahmen mit den verschiedenen Orten und Personen auf die Bühne zu bringen, gelingt der Regisseurin Diana Anders durch strenge Komprimierung des Geschehens und einen Trick. Orlando tritt nicht selbst in Erscheinung, sondern ein Conférencier führt uns in die Geschehnisse ein, der analog zur Wandlung Orlandos im ersten Teil als Frau und im zweiten Teil als Mann auftritt. Die Erzählung wird beglaubigt durch das Aufrufen von sieben Zeitzeugen. Erzähler und Zeitzeugen werden dargestellt durch die wunderbar souveräne Barbara Kratz, die der Versuchung widersteht, durch eitle Expressivität über den Text hinweg zu spielen. Denn die Sprache der Bühnenfassung ist stilistisch großartig. Klar, präzise, anschaulich wird das Leben vor des Publikums Augen ausgebreitet. Dass die Romanvorlage feine Literatur ist, schimmert auch in der Bühnenfassung durch. Hier zeigt sich ein Vorteil kleiner Bühnen. Der Vortrag der Schauspielerin ist ganz ohne Anstrengung gut zu verstehen. Ein anderer Höhepunkt der Inszenierung ist das Bühnenbild, in dessen Mittelpunkt eine metallene Faltwand steht, die als Kulisse und Umkleidekabine dient. Mit kleiner Veränderung – dem Aufstecken eines Minaretts – wird aus dem Schattenumriss Londons Konstantinopel und durch Verschachtelung aus Konstantinopel das Landhaus Orlandos.

Ein Nachteil der Bühnenfassung ist, dass historische Zeit und die Figur Orlandos recht vage bleiben. Das erdrückende Problem der Rolle einer selbstbewussten, freizügigen Frau im verklemmten 19. Jahrhundert wird allenfalls anekdotisch angerissen. Bei verändertem Blickwinkel vielleicht ein Vorteil? So können die Zuschauer ein eigenes Bild von den Zuständen und der Person(en) Orlandos vor ihrem inneren Auge entstehen lassen. Auch fiel der zweite Teil der Aufführung nach der Pause etwas ab, wirkte unausgereifter und mit den Videoeinspielungen ein wenig gewollt.

 

Am guten Gesamteindruck ändert dies freilich nichts. Es war ein schöner und unterhaltsamer Theaterabend.
 

Text: Roger Lenhard

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