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Kultur Südkids

„Papa, das ist kein Fernsehen“

Montag, 17. Oktober 2011 | Text: Stephan Martin Meyer | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Bist du schon auf der Sonne gewesen? – Ein RingelnatzTanzTheaterStück für Menschen ab 6 Jahren.
In Begleitung von Fachpublikum ist ein Theaterbesuch ungleich viel spannender als allein. Samstag Nachmittag. Kleingedankstraße. Theaterpremiere. Draußen tobt der Kampf der großen Jungs um die Banken auf dem Chlodwigplatz. Drinnen warten zwei Dutzend Kinder gespannt darauf, was sich ihnen auf der kleinen Bühne des Hochkellers bieten wird. Zwischen ihnen: Lotta und Stephan.

Koffer. Überall auf der Bühne. Gestapelt, abgestellt, aufgebaut. Der Deckel des einen bewegt sich leicht. „Da ist jemand drin“, stellt Lotta schnell fest. Und tatsächlich öffnet sich der Koffer, als das Licht herunter gefahren ist. Heraus steigt eine junge Frau, die ins Publikum guckt und grinst. Der große Reisekoffer im Hintergrund bewegt sich ebenfalls. Auch ihm entsteigt eine Frau. Gelenkig und artistisch bewegen sie sich mal allein, mal zusammen über die Bühne.

Kerstin Kramer und Anna Städler nehmen die Kinder im Publikum mit auf eine Reise um die Welt. Im Gepäck haben sie einen bunten Blumenstrauß an Ringelnatz-Gedichten, die den gesamten Text des Stückes ausmachen. Gedichte, die die Zuschauer irritieren, zum Nachdenken bringen. Zum Teil sind sie in Fragmente zerlegt oder in eine neue Reihenfolge gebracht. Und doch immer der Intention des Dichters treu.

Die Koffer. Jeder verbirgt in sich ein Ziel, eine Idee, einen Anreiz zum Spielen. Sprachlich so schön, so plastisch, immer verwirrend, nie langweilig. Die Koffer werden herum getragen, umsortiert, ineinander gestellt. In einem: Die Sonne. In einem anderen: Das Meer. In einem dritten: Die Antarktis. Wenn Seifenblasen aus einem anderen herauswallen, ist die Freude im kleinen Publikum groß. Zwei Pullover, über die Beine gezogen, sind das einzige Requisit, das die Schauspielerinnen benötigen, um sich in Pinguine zu verwandeln. Die riesige Plastikplane aus dem Meereskoffer funktioniert die gesamte Bühne binnen Sekunden in die unendlichen Weiten des Meeres um, in dem sie schwimmen und tauchen, aber nicht, wie das eine oder andere Kind iim Publikum befürchtet, ertrinken.

Die ersten beiden Reihen gehören fast ausschließlich den kleinen Gästen. Selbst bei einer Premiere gehört dieses Stück den Kleinen, die im Theater der Keller die Chance haben, Theater hautnah zu erleben. Kein Graben, keine überhöhte Bühne, kein Vorhang trennt sie von dem Geschehen.

Die große Erkenntnis kündigt sich zur Mitte des Stückes durch den Mund eines Jungen in der ersten Reihe an: „Papa, das ist gar kein Fernsehen!“ Ja, wenn ein Kind das entdeckt, dann ist es an der Zeit, mehr mit ihm ins Theater zu gehen. Denn die Aktion auf der Bühne ist etwas völlig anderes, als vor der Glotze. Hier reagieren die Schauspieler auf die Zurufe der Kinder, sprechen sie an, beziehen sie mit in das Geschehen ein. So werden die Kinder zum Teil des Erlebens und nicht nicht in die passive Aufnahme leichter Fernsehkost reduziert. Für Lotta ist das nichts Neues. Schließlich schleppt ihre Mutter sie überall mit hin. Und doch ist jeder Theaterbesuch ein großes Erlebnis für sie.

Das Stück ist eine aufregende Anregung für Kinder, mit wenigen Dingen neue Spiele zu erfinden. Eine phantastische Mischung aus Tanz, Gedichten und Spiel, die in der Fassung und unter der Regie von Anja Schöne umgesetzt wurde. Allein die Gelegenheit, die Kinder noch mehr in das Stück einzubinden, wurde nicht wahrgenommen. Vielleicht war sie nicht intendiert. Und leider haben nicht alle Kinder den Zusammenhang zwischen den Koffern und der Reisethematik verstanden. Für Lotta blieb bis zum Ende unklar, was die beiden Schauspielerinnen auf der Bühne machten. Vielleicht ist das Metier des Kindertheaters auf der Bühne des Theaters der Keller noch zu jung, muss sich erst noch aus der Umklammerung der Stücke für Erwachsene befreien. Ein Anfang ist zumindest gemacht: Nach dem Jugendstück Till Eulenspiegel in der letzten Spielzeit geht das Theater jetzt auch auf die Jüngsten zu.

Und Kindertheater lebt natürlich auch vom Verhalten der Großen. Wenn Eltern und Großeltern nach Ende des Stücks fast schon fluchtartig den Saal verlassen, die Kinder hinter sich her zerrend, die sehnsüchtigen Blicke ihrer Kinder und Kindeskinder ignorierend, dann bringen sie sie um einen wichtigen Bestandteil des Theaters, der dieses vom Fernsehen unterscheidet: Den Applaus. Vor der Glotze ist mit dem Ende einer Sendung Schluss. Im Theater wird dem Schauspieler für seine Leistung Dank gespendet. Auch das sollten Kinder lernen: Danke sagen.

Die großen Kinder auf der Straße spielen auch nach dem Stück noch. Ihr Spiel heißt jetzt jedoch: Mitten auf dem Chlodwigplatz herumstehen, Bier trinken, Autos anhalten und rumschreien. Ein wenig mehr Theater, Kreativität und konstruktives Umsetzen bereits bestehender Ideen hätte ihnen gut getan. Wären ihre Eltern doch früher mal mit ihnen ins Theater gegangen, anstatt sie vor der Glotze lernen zu lassen, dass der Konsum alles ist und einfache Parolen zum mitmachen animieren. Die Ideen waren da: Bücher sollten vorgelesen werden. Den undurchsichtigen Machenschaften der Finanzwelt und der deutschen Politik hätte mit kreativer Darstellung von Kulturgut begegnet werden können. Die Chance wurde am Samstag in Köln vertan.

 

Termine
29./30.10. jeweils 15 Uhr
11./18./19.11. jeweils 15 Uhr

Link zum Theater

Link zu den Ringelnatzgedichten

 

Text: Stephan Martin Meyer

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