„Prall voll“
Freitag, 7. September 2012 | Text: Elke Tonscheidt | Bild: Barbara Siewer
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
– Eine Studie über den seniorenfreundlichen Dschungel im Kölner Süden.
Auf den ersten Blick scheint es paradox – „richtig prall voll“ sei der Kölner Süden mit Angeboten für und von Senioren, sagt Karin Scholze. Und doch: Sie werden nur schlecht genutzt, ja, sind sogar vielen gänzlich unbekannt. Das kann eine Verantwortliche in der Seniorenarbeit schon bedrücken, in jedem Fall anreizen, nachzufragen.
Die Koordinatorin des SeniorenNetzwerkes Neustadt Süd vom Caritasverband für die Stadt Köln ging deshalb auf die FH Köln zu. Deren Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften führte eine umfangreiche Befragung von Senioren in der Südstadt durch: 16 Studierende sprachen mit 381 Menschen ab 55 Jahren. Also mit etwa 5 Prozent der rund 7.500 älteren Personen, die hier zwischen Rheinufer und Aachener Straße statistisch erfasst sind.
Karin Scholze, Koordinatorin des SeniorenNetzwerkes Neustadt Süd.
Und jetzt hat Frau Scholze noch mehr zu tun. Nicht nur in ihrem Netzwerk – mittlerweile gibt es in Köln ganze 37 Netzwerke, ihr Standort ist das Internationale Zentrum in der Stolzestraße – wird nun überlegt, wie man die vielen Anregungen und Empfehlungen aufgreifen kann, damit das Angebot die Zielgruppe auch erreicht. Jetzt versteht Frau Scholze auch viel besser, warum 61 Prozent der Befragten noch nie ein Angebot besucht haben und besonders die Männer fern bleiben. Und kennt Gründe dafür, warum potentielle Teilnehmer einfach nicht kommen.
Klar ist: Die Angebote, die mit 33,5 Prozent noch am besten bekannt sind, sind Gymnastik und Sport, gefolgt von Musik und Gesang (24,14 %) und Seniorenclubs mit rund 21 Prozent. Die ‚üblichen Verdächtigen‘, wenn man so will, denn es gibt so viel mehr: Malkurse, Tanz, Theater, Wanderungen, Reiseangebote oder auch spezielle Begegnungen für ältere Lesben und Schwule – um nur einige zu nennen. Und klar ist auch: Wenn ein Senior aktiv geworden ist, dann kommt er oder sie auch gern wieder oder sucht ein weiteres Angebot. Die Bereitschaft sich länger zu engagieren, etwas Neues kennenzulernen, ist absolut da. In Zahlen ausgedrückt: Fast 63 Prozent der Befragten gaben an, gerne regelmäßig teilnehmen zu wollen wenn die 1. Hürde einmal genommen worden sei.
Aber was heißt hier eigentlich Senior? Als ich bei der Präsentation der Studie, zu der Karin Scholze ins Herz-Jesu Seniorenheim eingeladen hatte, den Begriff und speziell die Altersgruppe ab 55 Jahren in Frage stellte, ernte ich heftiges Kopfnicken. Schwieriges Terrain, aber ja. Sonja Schlegel, in der Südstadt bekannt durch ihre Angebote wie ‚Solotanzen für Golden Girls‘ oder die Großelterngruppe ‚Zwischen Karriere und Enkel hüten‘, sitzt mit am Tisch, hört sich die Ergebnisse der Studie an. Und gibt gern zu: „Ich bin selbst erst nach einem Bandscheibenvorfall zum Seniorenyoga gegangen – und hängen geblieben, weil es passte. Aber der Begriff Senior ist eigentlich schrecklich.“ Und der Leiter des Herz-Jesu Heims, Wolfgang Dyck, schließt an: „Wir brauchen nicht nur neue Begriffe, der Generationenwandel mit zunehmend postmodernen Familienstrukturen wird auch ganz andere Angebote erfordern.“
Was ist eigentlich Alt?
Was die Südstadt mit ihren zahlreichen und attraktiven Angeboten aber zunächst vor allem braucht, um das, was es schon gibt, an die Frau und den Mann zu bringen – das erläutern die beiden Professorinnen, die das FH-Projekt durchgeführt haben. Zwei junge Damen: Die eine, Prof. Dr. Dagmar Brosey, vom Institut für Soziales Recht, die andere, Prof. Dr. Sigrid Leitner kommt vom IMOS: Institut für angewandtes Management und Organisation in der Sozialen Arbeit. Zwei Expertinnen also, und sie appellieren: Nötig seien mehr Angebote für Familien – alleine trauen sich zu wenige oder sie haben z.B. als Großeltern Kinder im Schlepptau. Ratsam sei auch eine stärkere Zusammenarbeit mit Pflegediensten, um Angehörige zu betreuen. Nicht selten scheitere es auch an Fahrdiensten, die neu installiert oder gezielt beworben werden müssten.
Insgesamt stellt die Studie an vielen Stellen heraus: Es fehlt an gezielter Werbung. Was da ist, muss ins Licht der Öffentlichkeit, nur so könne die Zielgruppe es überhaupt wahrnehmen. Und auch hier haben die Professorinnen forschen lassen: Wie erfahren Senioren davon, dass es etwas Interessantes vor ihrer Haustür gibt? Die Mundpropaganda ist laut Studie immer noch das wirksamste Mittel. Medien sind wichtig, immer mehr erwartet man auch die Nutzung des Internets; die effizienteste Werbeform sei jedoch noch eine „positive Mund-zu-Mund-Propaganda über bereits bekannte Nutzerinnen und Nutzer“. Als Beispiel wird ganz konkret eine Werbung mit „Bonus für jeden neu gewonnene Klienten empfohlen“.
Wie schwierig und zeitaufwändig die Befragung war, das geben die Professorinnen auch gern zu: Die meisten Befragten „reagierten unaufgeschlossen“, in der Studie steht sogar: „teils mit eindeutig unfreundlicher Ablehnung bis hin zu herablassenden Abfälligkeiten.“ Passt so gar nicht ins Bild des kommunikativen Kölners. Das mag zum einen daran liegen, dass man sich mit Ende 50 einfach noch nicht als Senior fühlt. Viele sahen sich laut Studie aber „trotz eindeutig hohen Alters nicht angesprochen nach dem Motto: ‚Alt sind nur die anderen!'“
Karin Scholze ist sehr froh, die Studienergebnisse jetzt peu a peu aufzugreifen. Sie hat jetzt auch die vielleicht banale Erkenntnis, dass der Nachmittag die beliebteste Tageszeit ist. Denn vormittags, interpretieren die Fragesteller, werden lieber Besorgungen oder Arztbesuche gemacht und der Abend schließt noch schlechter ab. Als erstes verteilt das SeniorenNetzwerk Neustadt Süd deshalb den neuen, sehr informativen Ratgeber „Leben im Veedel“ (wir werden berichten). Der entstand parallel zur Studie und in ihm findet man die ganze Palette der Südstadt-Aktivitäten für ältere Menschen. Und eins weiß man nach Sichtung der Studienergebnisse auch: Karin Scholze hat keinen einfachen Job, Licht in den seniorenfreundlichen Dschungel Neustadt Süd zu bringen…
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