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Kolumne

Rindfleisch stört Familienruhe

Montag, 9. April 2012 | Text: Kathrin Rindfleisch

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Neulich beim Feiertags-Brunch, zwischen schwäbischem Kartoffelsalat und türkischen Weinblättern mit Reisfüllung, wollte ich mal auf die Pauke hauen: „Gibst Du mir bitte noch was vom Salat und übrigens, wenn ich mit zur Taufe von Cousine Heikes Söhnchen komme, frage ich Onkel Peter, warum er eigentlich den Kontakt zu uns abgebrochen hat.“

Neulich beim Feiertags-Brunch, zwischen schwäbischem Kartoffelsalat und türkischen Weinblättern mit Reisfüllung, wollte ich mal auf die Pauke hauen: „Gibst Du mir bitte noch was vom Salat und übrigens, wenn ich mit zur Taufe von Cousine Heikes Söhnchen komme, frage ich Onkel Peter, warum er eigentlich den Kontakt zu uns abgebrochen hat.“
Große Augen, schrilles Lachen – mein Bruder. Betretenes Schweigen – meine Eltern. Und ich, ich  hatte es einfach mal gestreift. Eines unserer Familientabus. Der Onkel, der vor Jahren von heute auf morgen den bis dahin sehr intensiven Kontakt abgebrochen hat. Ohne Nennung von Gründen seinerseits, ohne nachhaltigen Versuch seitens meiner Eltern, die Geschichte zu klären. Es wurde nicht drüber gesprochen, stattdessen wurde geredet. Darüber, dass der Onkel immer schon schwierig gewesen und jetzt vollkommen von Sinnen sei. Von da an war die Legende , der spinnt, und unklar bleibt bis heute, warum. Und diese Unklarheit, entstanden aus Unausgesprochenem, verhalf dieser Episode zu einem Topplatz auf der wohl unrühmlichsten aller familialen Eigenheiten, der Familientabuliste.

 

Ach Gott  ja, die Familientabuliste. Die ungekrönte Kaiserin der Kommunikationslosigkeit, die Herrscherin über alles Nichtgesagtem. Sie ist eine Blenderin, gibt sie doch vor, ihre Lieben zu schützen. Kein böses Wort soll verletzen, unbequeme Wahrheiten bloß nicht den gemütlichen Fernsehabend stören. Nichts aufwirbeln, was auf dem Grund so viel besser  aufgehoben ist. Und hat sie nicht auch recht? Eine angebrannte Bolognese ist schließlich doch auch noch essbar, solange man nicht anfängt, mit dem Löffel das Schwarze vom Topfboden zu kratzen. Stimmt, aber jeder, der diesen zweifelhaften Genuss mal hatte, kennt auch den rauchig angekohlten Geschmack, mit dem die Bolognese zwar durchaus noch verzehrbar bleibt, nicht jedoch lecker. Zumindest mir schmeckt das nicht! Und genau so wenig schmeckt mir, über Hinz zu erfahren, dass er Kunz betrogen hat, statt über eigene Sorgen zu sprechen. Ja, das ist es, was ich der Familientabuliste vorwerfe: statt vor Verletzung zu schützen, bringt einen die ihr innewohnende Schweigepflicht um die Möglichkeit, schmerzhafte Gedanken zu teilen und sie so zu verkleinern, Dinge anzusprechen und sie so aus der Welt zu schaffen. Stattdessen wächst nur der Bodensatz unguter Gefühlen durch Nichtansprechen und verursacht nur immer mehr  schlechtes Gefühl.“Schlechtes Gefühl“ ist unpräzise, ja, aber genau das ist das Wesen des Tabus, es verschweigt, spricht nicht an, klärt nicht auf. Es schafft Unklarheit. Das Tabu ist von Hause aus nicht interessiert an der Wahrheit, ganz im Gegenteil, es nutzt seine blendend funktionierende Stillhalteübereinkunft , um eben die Wahrheit keinesfalls ausfindig zu machen. Dafür nämlich müsste man Fragen stellen, Gefühle äußern, miteinander sprechen.

 

Stelle ich nun Onkel Peter die Frage, die für alle Betroffenen ein wildes Schaben mit dem Kochlöffel am Topfboden bedeute, wäre das Weiteressen augenblicklich nicht mehr möglich. Aber, kann man eigentlich wirklich vermissen, was so verkohlt schmeckte? Doch wohl nicht und so scheint das auch gar nicht die eigentliche Frage, ein harmonisches Miteinander wünschen sich am Ende doch alle. Der Tabubruch sorgt an einem ganz anderen Punkt für Wirbel. Indem man nämlich nach der Wahrheit fragt, muss man damit rechnen, kritisiert zu werden. Und das muss man aushalten.  Andersherum, in dem Moment, wo man gefragt wird, muss man zu seinen Gefühlen stehen,  auch wenn das bedeutet, den anderen zu verletzen. Und auch das muss man aushalten können. Spricht man erst mal miteinander, ist der Ausgang des Gesprächs im Übrigen zweitrangig. Ein Gespräch, durch das man wieder zueinander findet, ist wünschenswert, aber auch ein Gespräch, bei dem jeder seine Fronten klärt und damit ein Aufeinander zugehen vielleicht unmöglich macht,  ist allemal besser, als den Konflikt zwar am Leben, aber konsequent unlösbar zu halten. Ob nun wiedervereint, oder für immer getrennt, nach einem Gespräch herrscht in jedem Fall Klarheit.

 

Also, ich weiß nicht, was Ihr macht, ich gehe jetzt los und besorge mir einen neuen Kochlöffel. Einen großen, aus weichem Holz, zum Schaben, nicht Kratzen. Man kann ja mal vorsichtig anfangen…

Text: Kathrin Rindfleisch

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