Robert Wilson: ein nachdenklicher Weltstar besucht Köln
Montag, 20. Januar 2014 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Es gibt Momente, in denen spürt man intuitiv: Das hier, das ist große Kunst. Der Anfang von „The CIVIL warS“ ist so ein Moment. Zwei Astronauten schweben in Zeitlupe an langen, dünnen Leitern auf die Bühne. Die Musik pulsiert, eine abfallende Tonfolge, wiederkehrend, raumfüllend.
Die beiden Astronauten beginnen zu sprechen, ernsthaft, getragen, immer wieder unterbrochen von Funkgeräuschen. Aus einzelnen Wörtern entstehen Sinn-Fragmente, Bedeutungssplitter, es könnte ein Dialog sein zwischen Mann und Frau, eine Kontaktaufnahme, eine Abrechnung: Viele Deutungen sind möglich.
Sehr intensiv ist dieser Moment, auf der dunklen Bühne, mit diesen unglaublich langsamen, streng choreographierten Bewegungen, bis zur kleinsten Geste minutiös austariert: Das ist die Bildsprache von Robert Wilson, einem der berühmtesten Regisseure der Gegenwart.
Der Mann sitzt gerade im Odeon-Kino mitten in der Südstadt, und auf der Leinwand läuft die Fernsehfassung eines historischen Projektes, und zwar auf den Tag genau 30 Jahre nach der Uraufführung am Schauspiel Köln, am 19. Januar 1984. Den Film für den WDR hat Jürgen Flimm gemacht, damals Intendant des Schauspielhauses.
„The CIVIL warS“ war geplant als Oper in fünf Akten für die Olympischen Spiele in Los Angeles 1984. Vorher sollten die einzelnen Episoden in Städten erarbeitet werden, darunter Rom, Rotterdam – und Köln. „The CIVIL warS“ erzählt Geschichten vom Krieg, aber das Wort Krieg ist in seiner weitesten Bedeutung zu verstehen.
Hannelore Lübeck, eine der Schauspielerinnen von damals, sagte „Meine Südstadt“: „Es geht um Konflikte, die in allen Zeiten und allen Schichten schwelen, im Kleinen wie im Großen, oft ohne nach außen zu dringen.“ Sprich: Krieg auf dem Schlachtfeld ebenso wie Kleinkrieg in der Familie. Militärische Gewalt, häusliche Gewalt, verbale Gewalt. Was hat denn Hannelore Lübeck an der Arbeit mit Robert Wilson am meisten beeindruck? „Es war so zwingend, wie er seine Ideen erklärte, was er haben musste und wollte. Das hat uns in den Bann gezogen. Er ist eine ganz große Persönlichkeit.“
Wenige Minuten vor Beginn der Vorführung schaffen wir es, für ein paar Minuten mit diesem Mann zu sprechen – der inzwischen an allen großen Theatern und Opernhäusern der Welt inszeniert hat: von der Pariser Bastille-Oper über die Mailänder Scala bis zum Berliner Ensemble. Ganz ruhig sitzt er da, fast ein wenig versunken, auf den Kinosesseln im Foyer. Wie schafft man es, Menschen zu berühren? Als Antwort erzählt Robert Wilson eine Geschichte.
„Ich habe einmal mit der Sopranistin Jessye Norman die ‚Winterreise‘ von Franz Schubert inszeniert, in Paris, wenige Tage nach dem 11. September 2001. Und sie hat zwischendrin aufgehört zu singen, weil sie weinen musste. Sie stand dort, zehn Minuten lang, ganz still, und weinte. Dieser Moment hatte mehr Schönheit als alle Worte. Das Publikum hat damals auch geweint.“
„The CIVIL warS“, Cologne section, 19. Januar 1984: Eine Kooperation von Robert Wilson mit Heiner Müller, noch so einem Schwergewicht. Mit Musik von Hans Peter Kuhn, Philip Glass, David Byrne (Talking Heads). Mit der Schauspielerin Ingrid Andree als Friedrich dem Zweiten. Und mit vielen Komparsen, unter ihnen das Kölner Urgestein Cornel Wachter (er hat das 30-jährige Jubiläum im Odeon organisiert) und der Filmemacher Martin Szafranski (früher erfolgreicher Zehnkämpfer). Fast 20 Darsteller aus der Crew von 1984 kamen gestern ins Odeon, das bis auf den letzten Platz gefüllt war.
Ich frage Robert Wilson, ob man sein Stück 2014 noch einmal auf die Bühne bringen könnte. Er verneint. „It was not meant to be repeated“, sagt er. Nicht gedacht zum Wiederholen. Es sei vielmehr ein Stück für einen Moment gewesen, „like a shooting-star“, wie eine Sternschnuppe. Also kein zeitloser Klassiker wie Goethes ‚Faust‘? Genau, sagt Wilson. Goethe könne man wiederholen. Oder sein eigenes Stück „Einstein on the beach“ (das gerade wieder in Berlin lief). Aber die CIVIL warS, die seien für die damalige Zeit erschaffen worden.
Und was ist mit der Arbeit eines Regisseurs heute? Berühren Kriege wie in Syrien sein Schaffen? „Das ist ein Teil unserer Zeit“, sagt er, und es klingt weder altklug noch abgedroschen. „Das spiegelt sich in uns, das kann man nicht verhindern. Wir sind uns alle dessen bewusst, was passiert.“
Robert Wilson im Odeon: Auch im Kinosaal sagt er noch ein paar Worte, anmoderiert von Ann Christin Rommen, die 1984 das erste Mal mit ihm arbeitete, als „zweite Assistentin der Regie“, wie sie berichtet – und sie fragt ihn: Was fühlt er heute im Rückblick auf 1984? Er nimmt das Mikrofon, dreht sich zum Publikum – und seine Worte sind wieder so klar, so einfach, so geerdet. Robert Wilson, ein Weltstar, der die Bodenhaftung nicht verloren hat:
„Dieses Projekt war ein sehr wichtiger Moment in meiner Karriere. Ich habe Ann Christin getroffen, mit der ich bis heute arbeite. Es war meine erste Arbeit mit Heiner Müller, und wir wurden enge Freunde bis zu seinem Tod. Und es war das erste Mal, das ich mir der deutschen Kultur und Geschichte bewusster wurde. Das Projekt hier in Köln gab mir ein Zuhause.“
Lesen Sie morgen ein Interview mit dem Filmemacher Martin Szafranski, dessen aktueller Film „Traumwärts“ auch von Robert Wilson inspiriert ist. Martin Szafranski spielte bei den „CIVIL warS“ einst als Komparse mit, traf Robert Wilson später in den USA wieder, wohnte fünf Wochen bei ihm und war eigentlich… Zehnkämpfer.
Und noch ein Link zu einem Spiegel-Bericht über „The CIVIL warS“ von Januar 1984.
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