Rückgrat zeigen!
Dienstag, 12. September 2017 | Text: Alida Pisu | Bild: Meyer Originals
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Die rot gestrichenen Regale versperren den Blick auf die Bühne. Ein einziges Buch steht in all den Schubladen. Irgendein X-Beliebiges? Oder eines mit dramatischem, gar existentiellem Inhalt? Während der Zuschauer noch rätselt, steht auf einmal François (Marc Fischer), Literaturprofessor an der Sorbonne und Protagonist des Abends, vor den Regalen, nimmt die Pose Jesus am Kreuz ein und die Sache ist klar. Was auch immer in dem Buch steht, hier geht es um nichts weniger als den Untergang des christlichen Abendlandes. Und damit, so könnte man es deuten, auch um die beiden Bücher, die nicht in den Regalen stehen: um die Bibel und den Koran und um die Religionen Christentum und Islam.
Seit islamistische Terror-Anschläge Angst und Schrecken verbreiten, greift die Angst vor Fremden und Islamisierung immer mehr um sich. Nicht nur in Frankreich, in dem Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung spielt, dessen Adaption im Theater Der Keller Premiere hatte. Auch in Europa, das seine Mauern immer höher zieht, um die abzuhalten, die draußen vor der Tür stehen und Einlass begehren.
Kein angenehmer Blick auf die Gesellschaft
Zur traurigen Geschichte des Romans gehört, dass er in Frankreich an dem Tag erschienen ist, an dem der Anschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion verübt worden ist. Auf dem Titelbild der am selben Tag erschienenen Ausgabe war Michel Houellebecq als hellsichtiger Zauberer abgebildet. Heftigst wurde darüber debattiert, ob Unterwerfung nun tatsächlich eine hellsichtige, politische Analyse der westlichen Gesellschaft ist oder nur ein islamfeindliches Machwerk. Ein brisanter Stoff also, an den sich Regisseur Heinz Simon Keller gewagt hat. Und, so viel kann man sagen, es ist ihm gelungen, den Fokus auf das Eigentliche zurückzuführen: auf das Porträtieren unserer Gesellschaft. Der Blick auf sie ist allerdings nicht angenehm.
In der Fiktion, die Houellebecq entwirft, ist von Terror keine Rede, der Untergang der westlichen Kultur vollzieht sich unerwartet. Die Muslim-Bruderschaft, die Frankreich im Jahr 2022 regiert, wurde demokratisch gewählt, der Präsident heißt nun Mohammed Ben Abbes.
Ambivalenter Charakter
Wie es dazu kam und wozu es führte, darüber monologisiert François alias Marc Fischer eher beiläufig, sachlich und emotionslos. Währenddessen arbeitet er sich an den rot gestrichenen Regalen ab, verstellt und verschiebt sie, baut sie auf, ab und um. Er erklettert sie, findet seinen Platz in ihnen, benutzt sie als Werkzeug, versteckt sich hinter ihnen oder baut auch schon mal eine Art Barrikade, als er im Fernsehen von Tumulten hört. Man könnte seinen Umgang mit den Regalen durchaus als Kommentar zu seinem eigenen Monolog verstehen. Eine reizvolle Idee, die nachdrücklich unterstreicht, was erzählt und auch, was nicht erzählt wird.
François alias Marc Fischer. / Foto: Meyer Originals
François ist ein ambivalenter Charakter, ein im Grunde zutiefst einsamer, mit sich selbst Beschäftigter, dessen zynische Plaudereien Ausdruck seiner inneren Leere und Haltlosigkeit sind. Er entpuppt sich als Opportunist, Egozentriker und Macho. Seine Erzählungen kreisen ebenso um die politischen Ereignisse wie um seine Libido, seine Bindungsunfähigkeit und seine Beschäftigung mit diversen Zipperlein.
„Bescheiden, aber robust“
Als Professor hat er eine große Auswahl unter seinen Studentinnen, er schleppt jedes Jahr eine Neue ab, kann sich zwar noch an ihre Namen erinnern, aber sie sind bedeutungslos. Einzig seine momentane Flamme Myriam vermag so etwas wie Liebe in ihm aufkeimen zu lassen, ihre sexuellen Fähigkeiten stimulieren seine latente Lustlosigkeit. Mit derben Worten, die sicherlich nicht jedermanns Sache sind, beschreibt er detailliert, wie er den Beischlaf mit ihr vollzieht. Über seinen Penis äußert er sich: Bescheiden, aber robust.
Die Übernahme der Regierung durch die Muslim-Bruderschaft bedeutet für François den Verlust seiner Professur, denn die Universität wird islamisch und François ist (noch nicht) konvertiert. Die Szenarien, die François vorhergesehen und lakonisch beschrieben hatte, beginnen schleichend und enden damit, dass die Frauen aus dem Arbeitsleben gedrängt und zum Verfügungsobjekt der Männer werden. Polygamie ist nicht verpönt, sondern die Frage, wie viele Frauen MANN sich leisten kann, wird vom Gehalt des Mannes beantwortet.
Ein Männertraum wird wahr.
François gewöhnt sich an die Verhältnisse, leistet sich gelegentlichen Escort-Service durch muslimische Ladys und kann dem Angebot Robert Redigers (Josef Tratnik) des Rektors der Sorbonne, nicht widerstehen, der ihm eine neue Stelle anbietet. Zu verlockend ist das Geschäft, nicht nur verdreifachtes Gehalt, sondern quasi mitgeliefert, mindestens eine muslimische Gattin, ausgesucht unter den hübschesten Studentinnen, natürlich. Ein Männertraum wird wahr! François muss dafür nur zum Islam konvertieren, doch was solls. An irgendetwas geglaubt hatte er sowieso nicht. Da dürfen es gerne neue Freunde sein!
So ist denn auch das Schlussbild, in dem die Regale wie Gestalten aufgebaut sind, die hinter François stehen, bezeichnend. Hat sein Hemd doch beinahe dieselbe Farbe wie ihre Rückwände. Und hat er, der kein Rückgrat hat, nun die Macht in seinem Rücken. Ein beeindruckendes Bild, das jede Menge Gesellschaftskritik in sich birgt, unabhängig von sämtlichen Debatten über den Islam. Rückgrat zu zeigen, entschieden entgegen zu treten, schon den Anfängen zu wehren, das steht jeder Gesellschaft und Jedem gut zu Gesicht.
Es wäre mehr als interessant zu sehen, wie dasselbe Szenario aus weiblicher Perspektive aussehen würde. Denn während François die Rolle des Angepassten einnimmt, bliebe den Frauen doch nur die Rolle der Unterdrückten. Oder der Rebellinnen.
Faszination und Abscheu
Marc Fischer in der Rolle des François holt aus der Figur heraus, was er kann, um den Niedergang der westlichen Kultur als eine schlüssige Konsequenz erscheinen zu lassen. Keine Werte, kein Glauben, es gibt nichts, was seinen François prägt und trägt. Ganz klar, dass François kein Sympathie-Träger ist, er kann sich selbst kaum ertragen und ist auch kaum zu ertragen.
Dennoch, auch wenn es paradox klingt, sieht man ihm mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu zu. Und mit einem Hauch von Bewunderung, die Verwandlung in einen Wendehals kann sich wirklich schnell und problemlos vollziehen, wie wir übrigens aus der deutschen Geschichte ja nur zu gut wissen. Doch, seien wir realistisch: das passiert immer und überall.
Heinz Simon Keller, der François so nachdrücklich in Szene gesetzt hat, ist eine Inszenierung gelungen, die zur Positionierung zwingt. Der lebensmüde François ist zwar eine Vorlage, doch sie darf nicht zum Vorbild werden. Sie ruft geradezu nach einem Gegenentwurf. Wer den Ruf hört
Unterwerfung von Michel Houellebecq
Regie: Heinz Simon Keller
Bühne: Thomas Garvie
Mit: Marc Fischer, Josef Tratnik
Theater der Keller, Kleingedankstraße 6, 50677 Köln?
Weitere Termine: 23., 30. September, 19., 22., 28., 31. Oktober 2017
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