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Kultur

Schachtelsatz auf der Bühne

Dienstag, 11. November 2014 | Text: Alida Pisu | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Das Theater der Keller feierte im September Uraufführung und Premiere von „Vierzig Leben“, der höchst sehenswerten Bühnenfassung von Navid Kermanis gleichnamigem Erzählband. Kermani, einer der bedeutendsten Intellektuellen in Deutschland und mit zahlreichen Preisen wie etwa dem Kleist-Preis ausgezeichnet, las am vergangenen Sonntag nun auch persönlich aus diesem Erzählband. Dabei wurde er unterstützt von den Mitgliedern des Theater Der Keller-Ensembles sowie von Intendant und Regisseur Heinz Simon Keller.

Dem Regisseur ist das Kunststück gelungen, aus den „Vierzig Leben“ des Erzählbandes (man könnte auch sagen: vierzig Geschichten, überschrieben mit großen Begriffen wie „Von der Tugend“, „Von der Weisheit“ etc.), vier Personen mit ihren jeweiligen Geschichten herauszukristallisieren. Wenn sie miteinander kommunizieren und agieren, erzählen sie sich. Nicht von sich selbst, sondern was sie von anderen wissen oder gehört haben. Dabei könnte man ihnen hingerissen stundenlang zuhören.

Das hat makaber-witzige Züge,  wie in der Eingangsszene am Grab von Torsten, dem mit Kölsch in der Hand ein Ständchen gesungen wird: „Überall gibt es Fans vom FC Kölle“. Oder in der Episode, in der man Mitleid für den Mann empfindet, der sich in Gedanken an die geöffneten Schenkel der jahrelang umschwärmten, endlich eroberten Angehimmelten, vor dem Urinal des Cafe Schmitz versehentlich einnässt. Dieses Missgeschick hemmt ihn dermaßen, dass er schließlich nur noch an die nasse Hose denken und nicht mehr seinen Mann stehen kann, trotz ihrer und seiner „Handarbeit“.  Grenzerfahrungen, denen wohl jeder Mensch im Verlaufe seines Lebens einmal begegnet…

Nach der Lesung im Theater der Keller hatte „Meine Südstadt“ noch Gelegenheit, sich mit Navid Kermani zu unterhalten.

 

Meine Südstadt: Herr Kermani, wie kamen Sie auf die Geschichten, wie und wo haben Sie die gefunden?
Das Buch ist ja schon vor zehn Jahren erschienen. Am Anfang war auch noch nicht klar, dass es ein Buch wird. Erst nach ein paar Texten hat es sich ergeben, dass es auf ein Buch hinausläuft. Es gibt eine Kneipe, „Das Durst“, in der Weidengasse am Eigelstein, in der ich viele dieser Geschichten oder Ideen zu Geschichten aufgeschnappt habe. Ich habe Vieles beobachtet, gesehen, gehört und dann weitergesponnen. Zu der Zeit war es auch so, dass ich bewusst lange in der Kneipe blieb, die besten Geschichten kommen erst ab 1.00 oder 2.00 Uhr.

Das ist aber sehr zeitaufwändig…
Ich hatte ja einen beruflichen Grund, in der Kneipe zu sein. Das habe ich danach aber auch nicht mehr gemacht, denn der nächste Tag ist natürlich gelaufen. Die Art der Geschichten ist eine Mischung aus Motiven, die ich in ganz alten, religiösen Texten gefunden habe und dem, was so durch den Raum schwirrte. Was jemand erzählte von jemandem. Ich bin in Kneipen ein ziemlich schweigsamer Mensch. Das heißt, ich sitze da, höre links und rechts und wenn ich mal in ein Gespräch komme, bin ich eher der Fragende. Es ist der Erzählgestus, der für das Entstehen der Geschichten eine Rolle spielt, denn keine dieser Geschichten hat der Erzähler ja selbst erlebt. Der Erzähler führt offenbar ein recht langweiliges Leben.   

Es gibt Texte, die nur aus zwei oder drei Sätzen bestehen. Woher kommt Ihre Liebe zu diesen Endlos-Sätzen?
Es gibt sogar einen Text, der nur aus einem einzigen Satz besteht! Und das gibt auch so etwas wie eine Einheit. Es hat zum einen damit zu tun, dass ich stärker geprägt bin von der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts. Ich habe Nachkriegsliteratur nur so am Rande mitbekommen, zwar gelesen und gemocht, aber ich lebte eher in den Texten, in denen Nebensätze und lange Sätze ja gar nicht so ungewöhnlich sind. Nun sind nicht alle meine Bücher so geschrieben, das hier hat schon zu tun mit meiner indirekten Erzählweise. Ich erzähle in meinem Buch immer von einer Unmittelbarkeit, wo jemand etwas erlebt, was ihn ganz unmittelbar betrifft. Momente, man könnte sie jetzt „heilige Momente“ nennen, wo sich sein Dasein verdichtet. Und diese großen Begriffe wie Würde oder Güte, von denen war auch nicht in einer simplen Sprache zu sprechen, sondern in Verschachtelungen.

Wie ist das, wenn ein Buch, das ja einen Guss bedeutet, verändert wird?
Ich glaube, für mich und die meisten Autoren ist das eine schwierige Sache, weil man natürlich am Text klebt und es ja so sein sollte, wie es da steht. Die Freiheit also, die der Leser hat und die auch der Regisseur und ein Ensemble haben müssen, sollen alle haben, nur ich kann sie nicht haben. Und wenn ich das Stück jetzt anschaue, bin ich eigentlich ganz ungeeignet als Zuschauer, weil ich eben nicht die Freiheit habe wie die anderen, sich das Stück einfach nur anzusehen. Denn ich sehe ja immer die Distanz zum Text. Das geht dann nur über den Akt der völligen Weg-Gabe, das man sagt: „Sie sollen es machen, wie sie es für richtig halten und das ist auf jeden Fall die Lesart, die zu diesen Menschen passt und die angemessen ist.“ Dann geht das auch. Und wenn ich das Stück nicht wertschätzen und mich auch darüber freuen würde, wäre ich gar nicht hier.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

„Vierzig Leben“ von Navid Kermani im Theater der Keller
Die nächsten Termine: 21. und 30.11., 4. und 18.12.2014
Kleingedankstraße 6, 50677 Köln
 

Text: Alida Pisu

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