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Gesellschaft

Südstadt Cowboys go Stunk

Sonntag, 3. Februar 2013 | Text: Aslı Güleryüz | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Im Februar 1984 konnten Kölner die erste Stunksitzung in der Alten Mensa der Uni Köln sehen. Gegründet worden war die alternative und kabarettistische Sitzung von Studenten der Kölner Fachhochschule in der Südstadt. Der Name der neuen Sitzung spielt auf die konventionelle „Prunksitzung“ an und mit ‚Stunk’ soll auch Gestank und Streit assoziiert werden. Beliebte Themen der Stunksitzung sind Politik rund um den Globus im Allgemeinen sowie die kölsche im Besonderen, die katholische Kirche, Fußball, Düsseldorf und gesellschaftliche Missstände.

Der Südstadt-Elferrat
In Karnevalssitzungen ist es üblich, einen sogenannten „Elferrat“ zu auf der Bühne zu haben. Elf „Würdenträger“ sitzen an einem erhöhen Ort und beobachten wohlwollend die Sitzung. Eine richtige Aufgabe hat der Elferrat nicht. Seine Mitglieder sollen „Stimmung machen“ und gut aussehen! Die Narrenzahl Elf hat eine besondere Bedeutung im Karneval und außerdem sagt man, dass der Elferrat ursprünglich auch eine Anlehnung an die Französische Revolution und ihre Parole  „Egalité, Liberté, Fraternité“ (Gleichheit, Freiheit & Brüderlichkeit) bedeutete.
Die Stunksitzung lädt jeden Abend einen neuen Elferrat auf die Bühne ein. Das können Gruppierungen aus verschiedenen Stadtvierteln sein oder unkonventionelle Karnevalsvereine.
Am Freitag (25.01.) war ein Südstadt-Elferrat „dran“ und „Meine Südstadt“ durfte die Jecken begleiten – beim Kostümieren, Schminken, Einsingen und natürlich während des ganz großen Auftritts bei der Stunksitzung selbst.

 


Kostümieren, Schminken, Einsingen

 

Der Südstadt-Elferrat trifft sich bei Annette & Christian zu Hause in der Titusstraße, bereits um 14 Uhr. Ich betrete das Haus und sehe als erstes eine kleine Trommel im Treppenhaus liegen. “Hier bin ich richtig”, denke ich. Ich weise Annette auf die einsame Trommel hin, damit sie nicht “aus Versehen” verloren geht. “Ach, nein, die gehört nicht zu uns! Wir haben hier noch eine Samba-Truppe im Haus,” erklärt sie mir. Na, das scheint ja eine recht karnevalistisch geprägte Hausgemeinschaft zu sein!
Die Stunksitzung beginnt an dem Abend um 19:30 Uhr, da bleiben der Truppe schlappe fünfeinhalb Stunden, um sich vozubereiten. Annette erklärt: “Wir machen das schon seit 22 Jahren! Wir sind schon lange mit ein paar Stunkern befreundet und sind so damals als Elferrat dazu gekommen. Früher waren wir an drei oder vier Tagen auf der Bühne. Inzwischen ist es so populär geworden und so viele Elferräte wollen auf der Bühne sein, dass jeder nur noch einen Abend bekommt.”
Im Hausflur türmen sich die Jacken aufeinander, Federboas, Cowboyhüte und Hosen liegen herum. Das Wohnzimmer wird von einem großen Tisch dominiert. Zwischen Bier, Sekt, Berlinern, Pfannekuchen, Würstchen, Tomaten, Fruchtgummi und Crackern liegen hier Luftschlangen, Konfetti und Schminke. Aus der Musikanlage schlägt mir Karnevalsmusik entgegen, der Elferrat kommt in Stimmung! Textsicher sind sie alle.

 


Immis für den Elferrat

Wer kommt denn alles mit, frage ich Annette: “Sabine & Werner, Rachel & Bernd, Susi & Jörg, Jojo und unsere Newcomerin Katja.” Mit Annette & Christian zähle ich zehn, wo ist der Elfte im Elferrat? Annette lächelt milde über meine Unwissenheit: “Na, die Präsidentin, Biggi Wanninger!”
Rachel steht gleich neben uns und ich frage: “Wie kommt ihr immer auf das Motto? Da habt ihr ja in 22 Jahren bestimmt schon viele Ideen gehabt.” Annette holt ein paar Fotoalben, um mir die Themen zu zeigen und Rachel antwortet: “Ja, waren schon Indianer, Hippies, Märchenfiguren, Rot-Weiß, Raumschiff Enterprise, Cirque du Soleil, der Wilde Westen mit Can-Can. Und am meisten Applaus haben wir für Multi-Colour bekommen. Jeder hat sich eine Farbe ausgesucht und von Kopf bis Fuß in diese Farbe gekleidet, auch das Gesicht so geschminkt! Wir treffen uns locker einen Monat vor unserem Auftritt und überlegen spontan ein Motto. Dieses Jahr haben wir uns für Cowboys entschieden. Es ist auch das 50-jährige Jubiläum von Bonanza.” Rachel spricht mit einem feinen britischen Akzent, der mich neugierig macht: “Ich stamme aus Cambridge und kam als Au-Pair nach Köln. Das ist aber mehr als 20 Jahre her und nun führe ich mit meinem Mann Bernd ein Textilgeschäft in Rösrath. Unsere Tochter ist seit ihrem vierten Lebensjahr jedes Jahr bei der Stunksitzung dabei.” Wow, zwei aus dem Südstadt-Elferrat sind gar nicht aus der Südstadt, auch nicht aus Köln. Werner sieht meine Überraschung und lacht: “Wir sind fast alle Immis hier! Wir stammen aus Wuppertal,, Dortmund,  Hamminkeln und der Eifel! Einige von uns wohnen in der Südstadt, andere von uns haben  irgendwann in Köln gelebt, aber andere auch gar nicht.” Dieser Elferrat repräsentiert die Südstadt wie sie eben ist: fast alles Immis!

Inzwischen wird auf Hochtouren geschminkt und kostümiert. Vor mir stehen zehn Südstadt-Cowboys mit viel braun & rosa. Katja, die Newcomerin hat sogar eine Knarre dabei. Das Pistolenhalfter hat sie sich zusammengebastelt: Ein Palomino-Pferd, eine Blume und quer darüber steht ‘Südstadt’. Sie erzählt mir, wie sie in den Elferrat kam: “Ich kenne Susi gut und hatte ihr mal erzählt, dass es mein Wunschtraum wäre, mal bei der Stunksitzung im Elferrat dabei zu sein! Als plötzlich ein Mitglied des Elferrates ausfiel, rief Annette mich vor fünf Tagen an und fragte, was ich am Freitagabend machen würde. Ahnungslos antwortete ich, dass ich nichts vor hätte. Da fragte sie dann, ob ich mit dabei sein wollte! Und ob ich wollte! Ich konnte kaum mehr schlafen und bin seitdem mit der Herstellung meines Kostümes beschäftigt. Ich habe alles selber genäht.”
Katja geht in die Küche und beginnt, ihre Pistole mit Alufolie zu umwickeln: “Wir kommen ja schließlich aus der Südstadt! Wir haben uns hier gegen den Waffenladen stark gemacht, da können wir ja nicht mit Waffen zur Stunksitzung gehen!” Auch zwei Jungs aus der Truppe haben Waffen dabei, die sie nun umwickeln. Sieht sehr gut aus!

 


Farbprobe und Sitzordnung

Die Spannung steigt! Annette ruft zur Farbprobe auf. Wer soll neben wem stehen, welche Farben sehen neben welchen gut aus? Wie wird einmarschiert? Und wie ausmarschiert? Wer sitzt auf der Bühne neben wem? “An die Sitzordnung hält sich später eh keiner, aber es ist gut, eine zu haben,” sagt Sabine.
Es ist 17:15 Uhr. Es klingelt! Sind die Taxen schon da? Nein, es ist der Ersatzcowboy. Christian klärt mich auf: “Falls einem von uns irgendetwas passieren sollte, ist es gut, einen Ersatz dabei zu haben.” Der Ersatzcowboy Markus kommt bereits kostümiert und wird noch ein bisschen geschminkt.
17:30 Uhr: Die Taxen sind da! Jeder schnappt sich noch ein Reisebier und los geht’s in Richtung E-Werk!
18:00 Uhr: Pünktliche Ankunft im E-Werk. Rachel ist erleichtert: “Wir sind fast zu früh. Aber letztes Jahr waren wir erst auf den letzten Drücker da. Da waren alle schon ganz hektisch. Das mögen die Stunker nicht.” Wir gehen nach oben, hinter einem Vorhang ist die Technik, gleich daneben ist ein Biertisch mit zwei Bierbänken aufgebaut. Auf dem Tisch stehen belegte Brötchen und ein DIN A4-Zettel: “10 Gebote für den 11er Rat”. Ein paar Regeln gibt es doch noch. Zum Beispiel: Kölschgläser in die dafür vorgesehenen Löcher stellen.
18:15 Uhr: Auftritt Maki, der Verfolger. Maki verfolgt die Künstler auf der Bühne mit dem Scheinwerfer und weist die Elferräte noch ein: “Ihr wisst ja schon alles! Aber diesmal gibt es keine steile Treppe hoch zum Elferrat. Ihr geht rechts vor der Bühne, geht dann hinten links, lauft dann von hinten nach rechts und dann nach oben. Habt ihr auch zugehört, wie ihr auf die Bühne kommt? Oben dürft ihr nach links winken. Das haben bis jetzt alle falsch gemacht! Stellt euch nie auf die Stühle! Das ist lebensgefährlich! Wenn Biggi spricht, seid ihr still. Wenn die Musik spielt, dürft ihr aufstehen und tanzen. Und wie heißt ihr dieses Jahr? Wie sollen wir euch vorstellen?” Die Wegbeschreibung habe ich auch nicht verstanden und bin froh, dass ich die mir nicht merken muss! Das mit dem Winken war auch verwirrend! Aber Maki ist nett: “’Stalker’ nennen sie uns Verfolger auch gerne.”
18:30 Uhr: Einlass. Die ersten Gäste nehmen ihre Plätze ein.
18:40 Uhr: Letzter Blick in den Spiegel. Das Kostüm wird zurecht gerückt. Sitzt die Perrücke?

 


18:50 Uhr: Alle trinken noch ein Kölsch im Foyer und warten.
19:00 Uhr: Einer der Organisatoren kommt und begrüßt den Elferrat. Er freut sich, dass der Elferrat da ist: “Ja, es gab schon zwei Pannen. An zwei Abenden hatten wir keinen Elferrat. Da war in der Organisation etwas schief gelaufen. Da wurde der Elferrat spontan aus dem Publikum geholt!”
19:20 Uhr: Der Elferrat geht zur Seitentür und stellt sich vor der verschlossenen Tür auf. Das Warten auf Biggi verbringen sie mit tanzen und singen. “Habt ihr die Handys ausgeschaltet?” “Ich freue mich schon auf die Fritten mit Mayo am Chlodwigplatz nachher. Nach der Sitzung feieren wir immer hier noch ein bisschen und gehen dann in der Südstadt weiterfeieren. Irgendwann lädt Bernd uns dann schick essen ein. Dann gibt es Döner mit Fritten!”

 


19:30 Uhr: Biggi kommt im fünf Minuten, wird uns mitgeteilt. “Stellt euch schon mal in Zweierreihe an der Tür auf.” Wer geht vor wem, wer neben wem? Wie war das noch? Eine Zweierreihe ist das auch nicht. Mein Kollege Dirk bemerkt: “Das ist die breiteste Reihe, die ich je gesehen habe.”
19:35 Uhr: Biggi kommt. Sie stellt sich an den Anfang der Reihe und sieht Dirk und mich: “Wer seid ihr denn?” Wir erklären wer wir sind und in welcher Mission wir anwesend sind. “Ach, sagt sie, ‘Meine Südstadt’! Den Lunch-Newsletter habe ich auch abonniert!” Den Elferrat fragt sie: “Habt ihr das verstanden mit dem Winken? Das haben alle falsch gemacht. Ich schwöre euch, die machen alles genau so falsch wie alle anderen auch!”
19:40 Uhr: Die Türen öffnen sich. Einmarsch des Elferrats “Südstadt-Cowboys”
Südstadt Alaaf! Das wird eine lange Nacht…

 


 

Text: Aslı Güleryüz

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