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Kultur

Tanzen im Kinosaal:

Montag, 5. September 2011 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

„Little Bob“ aus Le Havre rockt das Odeon beim Preview von Aki Kaurismäkis neuem Film.
Er braucht keine fünfzehn Minuten, der weißhaarige, ziemlich kleine Mann am Mikrofon. Schon beim vierten Song stehen die Südstädter von ihren Kinositzen auf und klatschen und tanzen mit. Die Band „Little Bob“ aus Frankreich hat an diesem Abend im „Odeon“ zwei Auftritte: Den ersten auf der Leinwand, im Film „Le Havre“ von Aki Kaurismäki. Den zweiten vor der Leinwand, live, mit einem energischen Set von grundsoliden Rocksongs. Ein klasse Film, ein klasse Konzert.

„Ich singe auf Englisch, weil das Französische nicht swingt“, sagt „Little Bob“ vorher im Interview. Wir sitzen im Innenhof des „Odeon“. Die Sonne scheint, seine Frau Mimie ist immer in der Nähe, die Band sitzt am Nachbartisch, und Roberto Piazza, wie er eigentlich heißt, erzählt uns sein Leben. Es ist die Geschichte seines Vaters, der in Italien erfolglos versucht, Papierhändler zu werden wie der Großvater – und der dann in den Fünfziger Jahren kurzerhand nach Le Havre auswandert, die Hafen- und Industriestadt am Ärmelkanal. Libero Piazza findet Arbeit in der Metallbranche, die Mutter und die Kinder kommen nach – und die Sippschaft hat Le Havre nie wieder verlassen.

Le Havre? „Ein finsteres Loch, vom Wind gebeutelt“, heißt es auf „Little Bobs“ Internetseite. „Aber die Stadt hat Herz“, meint Roberto Piazza. „Und in einem meiner Lieder singe ich, dass der Wind die Unterschiede zwischen den Menschen wegbläst“. Tatsächlich? „Nein, das stimmt nicht, aber ich bin eben Utopist“. Roberto lacht, das tut er oft, und wenn er erzählt, springt er zwischen Englisch und Französisch hin- und her und mischt auch mal ein paar Worte Italienisch in die Sätze.

Beruflicher Werdegang: Der kleine Roberto lernt in Le Havre Gitarre und gründet die erste Band („Die Apatschen“). Er liebt den Rock, und seine Eltern unterstützen ihn. Eines Tages – er hat gerade irgendeinen Job in einem Büro – beschließt er, professionell Musik zu machen. Er gründet eine neue Band („Little Bob Story“), nimmt in Paris die erste Platte auf und geht auf Tournee. „Wir haben allein in den ersten vier Jahren mehr als 300 Konzerte in Großbritannien gegeben“, sagt er. „Little Bob Story“ wird zum Geheimtipp und zur Vorgruppe von Eric Burdon und Joe Cocker. Auf den Festivals lernt man sich kennen, er begegnet den Sex Pistols und Motörhead. Dass er Rock macht, steht für ihn nicht zur Debatte. „C’est la vibration, la rébellion“, meint er. „Wir haben nie Zugeständnisse gemacht.“

13 Alben, 5 Live-Alben und bald 40 Jahre Karriere: Nur in Deutschland war „Little Bob“ noch nie auf Tour. Dafür musste Aki Kaurismäki erst den Film „Le Havre“ drehen: Ein ruhiger, würdevoller und witziger Film über ein afrikanisches Flüchtlingskind und „die Solidarität der kleinen Leute“, wie Roberto es nennt. Wie kam der Kontakt mit Kaurismäki zustande? „Über seinen Assistenten in Frankreich, Gilles Charmant. Kaurismäki suchte eine Rockband, und Gilles hatte alle unsere Platten“, erzählt Roberto. „Das Lustige ist, dass Kaurismäki uns ganz früher sogar auch mal gesehen hat, in Tampere in Finnland, im Sommer 1978.“ Man merkt es schnell: Roberto schätzt Aki Kaurismäki sehr. „Das ist ein großartiger Typ, und er macht das Gegenteil des amerikanischen Kinos.“ Und so tourt „Little Bob“ nach all den Jahren endlich auch einmal durch Deutschland, im Schlepptau des Films – und findet es gut: „We have a good reaction in Germany“, sagt er, mal wieder auf Englisch.

Im Film „Le Havre“ tritt „Little Bob“ bei einem Benefizkonzert auf, mit dem Geld für den afrikanischen Jungen gesammelt wird, damit der nach London zu seiner Mutter gelangt. Der Film ist ein Kleinod, ein abgeschlossenes kleines Universum, voller Anspielungen auf das alte französische Kino der Dreißiger Jahre. Die Menschen reden wie auf der Theaterbühne, sie bewegen sich nur wenig und wenn, dann meistens langsam. Die Requisiten sind bis ins kleinste Detail altmodisch, so dass es besonders auffällt, wenn der Bösewicht plötzlich ein Mobiltelefon aus der Jacke zieht (zuhause benutzt er indes, wie alle anderen, ein Gerät mit Wählscheibe). Streng genommen kommen in dem Film nur Dinge vor, die im Laufe des Films auch benötigt werden. Und das Le Havre im Film ist nicht gerade eine farbenfrohe, geschweigedenn eine fröhliche Stadt. „Kaurismäki hat sich die übelsten Ecken ausgesucht“, kommentiert Roberto Piazza. „Ganz so schlimm ist Le Havre in Wirklichkeit nicht. Aber es hat schon diese Stimmung, die zum Blues passt.“

 

Kaurismäki und „Little Bob“: Vor den Dreharbeiten hat sich der Regisseur alle Alben der Band angehört und am Ende den Song „Libero“ für seinen Film ausgewählt. „Libero“, das heißt „frei“, und es ist der Vorname von Roberto Piazzas Vater. „Libero“ ist auch der erste Song von „Little Bob“ an diesem Abend im „Odeon“ in der Kölner Südstadt: Das Konzert als akustische Verlängerung des Films, eine tolle Idee. „Ich singe selbst viel über solche politischen Themen, über Immigration zum Beispiel“, hatte Roberto Piazza vorher noch gesagt – und ein Geständnis abgelegt, das sehr schön zur guten alten Südstadt passt: „Ich bin eben links. Mein Großvater war Anarchist, mein Vater ein sanfter Anarchist, und heutzutage, mit Berlusconi und Sarkozy, da hast Du keine Wahl, da kannst Du nur links sein.“

Mehr von „Little Bob“ auf www.littlebob.free.fr/
 

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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