„Tel Aviv“ – ein unmögliches Stück?
Sonntag, 17. April 2011 | Text: Stephan Martin Meyer | Bild: Meyer Originals
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Ein Theaterstück mit dem Namen Tel Aviv setzt sofort eine Kette von Assoziationen frei: Es muss natürlich um den palästinensisch-israelischen Konflikt gehen. Doch wie kann man das auf der Bühne dramatisch darstellen? Darf Theater überhaupt in einem Konflikt Stellung beziehen, der seit Jahrhunderten schwelt, der die Gemüter erhitzt, zu dem sich jeder politisch denkende Mensch, der etwas auf sich hält, meint positionieren zu müssen?
Katharina Hacker schrieb die Buchvorlage eines Theaterstücks, das von Krystian Lada zu der jetzt im Theater der Keller gespielten Fassung umgearbeitet wurde. Der Text erzählt von einer jungen Deutschen auf ihren Streifzügen durch Tel Aviv. Sie lebt und arbeitet in einer Stadt, die im ständigen Ausnahmezustand existiert, die sich zugleich als eine der offensten und partyfreudigsten am Mittelmeer präsentiert. Wie heißt es so schön in einem israelischen Sprichwort: „Jerusalem betet, Haifa arbeitet, Tel Aviv feiert“.
Wer tagtäglich mit der drohenden Gefahr eines Anschlags konfrontiert ist, muss dennoch irgendwie sein normales Leben weiterführen. Die Angst darf das Leben nicht in Beschlag nehmen. Die Menschen gehen also in Cafés, sie verlieben sich, kochen und treffen Freunde. Berichte über Attentate führen zwar zu einer kurzzeitigen Lähmung des Lebens, doch dann muss es weiter gehen, koste es was es wolle. Man darf sich nicht von dem Konflikt unterkriegen lassen, der noch weit von einer Lösung entfernt ist
Die Protagonistin, dargestellt durch Ileana Tautu, ist eine Schriftstellerin, die ihre Figuren nach ihrem Gusto agieren lässt. Sie lässt sie lieben und Backgammon spielen, in Cafés sitzen und miteinander schlafen. Doch so wie der Konflikt der Region die Autorin nicht kalt lässt, so wie sie sich der realen Lebenssituation in Tel Aviv nicht entziehen kann und sie von der Umwelt in ihrer heilen Welt eingeholt wird, so verändert sich auch die Arbeit mit den Figuren.
Es ist das Dilemma vieler Schriftsteller: Da liegt ein perfekter Plan für eine geradlinige Handlung vor, an der er lange gearbeitet hat, doch die Figuren halten sich nicht an die Regeln. Mit einem Mal rebellieren sie und tun etwas völlig anderes als man ihnen zubilligte. Sie bekommen ein Eigenleben, das sie in eine völlig andere Richtung gehen lässt, als sie sollten. Mit einem Mal verliert der Autor die Macht über seine Figuren.
Eben dies geschieht der Protagonistin in Tel Aviv. Ihre Figuren übernehmen die Macht über sie. Sie steigen aus den ihnen zugewiesenen Rollen aus und bestimmen nun ihrerseits über die Autorin. Eine Konstellation, die zu absurden Situationen führt. So sicher die Autorin zunächst war, dass ihre Figuren ihren Wünschen folgen, so selbstbewusst treten diese in der Folge auf und scheuchen die machtlos Gewordene durch die Gegend. Tanja Haller und Anton Weber übernehmen diesen Part auf faszinierende Weise.
Tanja Haller, Ileana Tautu, Foto: Meyer Originals
Es ist dies zugleich auch der Konflikt der Bewohner einer Stadt, die sich einer Auseinandersetzung, die sie permanent umgibt, nicht dauerhaft entziehen können. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, dass der Konflikt ein Teil ihres Lebens ist. Sie werden nach und nach in die Politik und ihre Folgen hinein gezogen und können ihm nicht länger entgehen. Schließlich bestimmt er, allen eigentlichen Plänen zu Trotz, das eigene Leben vollständig. Der Konflikt schreibt den Menschen nun doch vor, was sie zu tun und zu fühlen haben.
Dieses Theaterstück verwirrt den Betrachter. Über lange Strecken erschließt sich der Sinn nur mühsam, die Hauptfigur agiert oft wenig nachvollziehbar und die wieder einmal eingesetzte Kamera, die offenkundig eine Beobachterposition einnehmen soll, bleibt bin zum Ende als dramatisches Element unklar. Die Grundidee, Figuren die Macht über ihren Schöpfer übernehmen zu lassen, ist nicht neu und es bleibt offen, ob diese Metapher auf den Nahost-Thematik übertragbar ist. Die Frage nach der Darstellbarkeit internationaler Konflikte auf einer Theaterbühne steht zwar im Raum, wird jedoch nicht abschließend geklärt. Da sitzen die Darsteller am Ende des Stücks am Bühnenrand, um miteinander über die Umsetzbarkeit der Thematik zu diskutieren und kommen dabei zu dem Schluss: Wir haben hier keine dramatische Lösung.
Den Konflikt der arabisch-jüdischen Welt kann das Theater tatsächlich nicht lösen. Das soll es auch nicht. Die Regiearbeit von Tobias Herzberg umreißt ihn jedoch nicht annähernd. Er versucht, Bilder für das zu finden, was in Israel geschieht. Doch diese Bilder werden lediglich angerissen, ohne in die Tiefe zu gehen. Neue Erkenntnisse kommen dadurch nicht zustande. Und so bleibt die Frage im Raum stehen, ob die Quintessenz eines Stückes sein kann, dass man etwas darstellen will, es aber nicht kann.
Weitere Termine:
19., 20., 21., 29., 30. April 2011
01., 03., 10., 11., 26., 27. Mai 2011
Das Theater der Keller im Netz.
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