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Kolumne

Traum und Trauma

Montag, 25. Februar 2013 | Text: Wassily Nemitz

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Wir verriegeln die Türen unseres Ford Ranger-Mietwagens von innen und halten an der Ampel in Soweto. Ein Straßenhändler wedelt mit Sonnenbrillen, ein anderer mit Uhren, ein dritter sammelt Müll ein – gegen Entgelt. Wir stieren geradeaus. Wir, das sind meine Eltern, meine Schwester und ich. Endlich, grün.

Wir verriegeln die Türen unseres Ford Ranger-Mietwagens von innen und halten an der Ampel in Soweto. Ein Straßenhändler wedelt mit Sonnenbrillen, ein anderer mit Uhren, ein dritter sammelt Müll ein – gegen Entgelt. Wir stieren geradeaus. Wir, das sind meine Eltern, meine Schwester und ich. Endlich, grün. Wir kurven herum, unser Ziel ist der Hector-Pieterson-Square, wo in den 1960er Jahren Proteste der Township-Bevölkerung gegen das Apartheid-Regime brutal niedergeschlagen wurden.

Dort treffen wir Jonas, meinen ehemaligen Stufen-Kollegen und Freund aus Köln, der in Soweto sein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Jonas zeigt uns Kliptown, seinen Einsatzort. Es ist der wohl ärmste Ort, den ich je gesehen habe: Links und rechts der Wege Blechhütten, es stinkt nach Fäkalien, und leere Plastikflaschen, Taschentücher und Blechbüchsen fliegen auf der Erde herum. Regelmäßig begegnen uns Menschen mit Trikots deutscher Bundesliga-Vereine, vor allem Hannover 96 fällt mir auf. Jonas: „Da haben wir mal eine große Spende bekommen aus Deutschland“.

In einem kleinen Laden kaufe ich eine Fanta. Der Laden liegt im Halbdunkeln, auch die Kühlschränke erfüllen ihren Zweck nicht. In Kliptown gibt es keinen Strom – wenn doch, dann haben die Menschen illegal Leitungen angezapft. Ab und zu kommt es dabei zu schweren Unfällen, Menschen sterben oder ziehen sich Verbrennungen zu. Immerhin gibt es seit einiger Zeit einige öffentliche Wasserhähne, zuvor war selbst die Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten eine täglich neue Herausforderung.

Jonas arbeitet in einem Zentrum, das von jungen Bewohnern des Townships vor einigen Jahren gegründet wurde. Mit der Zeit erlangte es immer größere Popularität, inzwischen gehören vor allem deutsche und US-amerikanische Touristen-Gruppen zum Alltag im „Kliptown Youth Program“. Kinder spielen, jüngere Frauen arbeiten in einer top-modernen Küche, Männer sitzen herum und unterhalten sich.

Die Kinder kommen her, um zu essen, Hausaufgabenbetreuung zu bekommen oder Fernsehen zu schauen. Die Gebäude wirken modern, regelmäßig laufen Spenden vor allem aus dem Ausland ein. Gerade ist der Mitbegründer und Direktor des Programms mit einigen Kindern in den USA; noch unterwegs konnte er 60.000 US-Dollar an Spenden einnehmen, rund 800 000 südafrikanische Rand. Von solchen Summen sind wir bei uns in Kgautšwane weit entfernt.
Wir verabschieden uns von Jonas und fahren zurück ins Hotel. Es liegt in Johannesburg-Midrand, direkt neben dem Nobel-Vorort Sandton. Einmal war ich dort im Einkaufszentrum – unbestätigten Angaben zufolge des größte im südlichen Afrika. Die Läden waren schon für mich unerreichbar teuer; von den Menschen in Kliptown war vermutlich noch nie jemand hier.

Im Hotel ruft mich Jonas an: „Wassily, mir ist gerade etwas unfassbar Dämliches passiert“, erklärt er. Auf dem Weg zum Kino in Johannesburg überfiel ihn eine Gruppe, drückte ihn mit Messer an die Wand und verlangte sämtliche Wertsachen. Sein Zweit-Handy, ein altes Samsung, gaben sie ihm nach einem kurzen Blick darauf wieder zurück.

Ich fahre zu ihm, zwei meiner Mitfreiwilligen sind durch Zufall auch gerade in „Jozi“. Wir treffen ihn an der Park Station, gehen zusammen feiern. Jonas legt gleich Wert darauf, dass er sich trotz seines negativen Erlebnisses nach wie vor „sicher und zu Hause“ fühlt in Soweto. Unterstützt wird er durch den Abend: Im Club sind Schwarze und Weiße gleichermaßen, amüsieren sich gemeinsam friedlich. Auch das ist Johannesburg.

Der nächste Morgen, ich komme mir vor wie in Berlin-Mitte: In einem ungenutzten Parkhaus unweit des Clubs von gestern findet ein „Feinschmeckermarkt“ statt. Anwesend sind fast nur Weiße, an weiß gedeckten Tischen werden kulinarische Spezialitäten zu stolzen Preisen verkauft. Da gibt es echtes Graubrot! Da gibt es Deluxe-Burger! Ich gehe am Tisch einer Schokoladen-Manufaktur vorbei: Ein Mann kauft für 500 Rand Schokolade (ca. 43 Euro). So viel verdienen die Kochfrauen bei mir in der Schule in einem ganzen Monat.

Auf einer Terrasse sitzt die weiße Yuppie-Schicht und verspeist zu lockerer Unterhaltungs-Musik einer Live-Band (allesamt Schwarze) Delikatessen. Eine Etage darüber wird Designer-Mode verkauft, es erinnert an Ehrenstraße und Manufactum („Es gibt sie noch, die guten Dinge!“) Wir gehen raus. Es gibt sie noch, die schlechten Dinge: In einem versifften Taxi-Parkhaus zwei Blöcke weiter grillen Leute in abgewetzten Klamotten Würstchen und bereiten Pap. Dazu der Gestank einer wilden Müllkippe. Eine Frau trägt einen ganzen Kasten Getränke (Glasflaschen!) auf dem Kopf. Ich habe Mühe, so ein Ding zu zweit weiter als 200 Meter zu befördern. Wahrscheinlich kann sie den Transport nicht bezahlen. Dabei kostet er innerhalb Johannesburgs nur ein Fünfzigstel des Schokoladen-Einkaufs: 9,50 Rand.

Zurück im Hotel: Ich gehe in Klimaanlagen-gekühlter Luft ins Bett, meine beiden Mitfreiwilligen feiern mit Freunden in Pretoria. Am nächsten Tag geht es zurück nach Kgautšwane. Meine Eltern und ich wollen sie an ihrem Hostel abholen, doch sie sind nicht da. Ich frage den Mitarbeiter, er hat sie nicht gesehen. Wenig später kommen sie an, in einem Polizeiwagen. Am gleichen Morgen wurden sie ebenfalls überfallen, in einer noch ganz anderen Dimension als Jonas ein paar Tage zuvor.
Sie müssen den Schock noch verarbeiten, meine Eltern fahren zu einer Sehenswürdigkeit ein paar Kilometer von Johannesburg entfernt. Vor ein paar Wochen habe ich von den Kontrasten berichtet in Südafrika – es gibt wohl kaum einen Ort, an dem sie sichtbarer sind als in Johannesburg: Slums und Luxus-Viertel, Kriminalität und Frieden zwischen Schwarz und Weiß, Absolute Armut und absoluter Reichtum. Für manche ist es ein Traum, wie die vielen Einwanderer aus Simbabwe, die hier ihr Glück versuchen und finden, für manche ein Trauma – wie für meine beiden Mitfreiwilligen.

Text: Wassily Nemitz

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