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Gesellschaft

Unklare Lage vor den „Occupy Cologne“-Protesten am Chlodwigplatz

Freitag, 14. Oktober 2011 | Text: Wassily Nemitz | Bild: D. Shankbone, Barcex/ Fotocollage

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Seit Wochen bewegt die USA eine neue Protestbewegung, die sich inzwischen über die gesamte westliche Welt ausbreitet: Unter dem Motto „Occupy Wall Street“ besetzen derzeit etwa 1.000 Demonstranten den Zucotti Park nahe der Wall Street und fordern einen radikalen Umbau der Finanz- und Sozialpolitik. Sie prangern unter anderem an, dass einem Prozent der Bevölkerung 99% aller Vermögen und Güter gehören. Auch in zahlreichen Städten Lateinamerikas haben sich Occupy-Camps gegründet. Überall stellen vorwiegend Jüngere, gut vernetzte Protestler derzeit das bestehende Wirtschaftssystem in Frage und diskutieren alternative Systeme – gut vernetzt via Facebook, Twitter und andere Internetkanäle.

?Jetzt scheint sich die Bewegung auf Europa, unter anderem auf Deutschland  auszudehnen.  In einigen deutschen Städten sind für den morgigen Samstag Demonstrationen geplant. Zentrum des Protests in Köln ist die Südstadt: Ab 11 Uhr soll auf dem Chlodwigplatz eine Veranstaltung stattfinden. Nach Angaben der Polizei wurde sie erst am Mittwoch angemeldet. Trifft der Geist von Occupy hier auf fruchtbaren Boden? Immerhin: Auf einer Facebook-Seite haben bislang rund 500 Personen ihr Kommen angekündigt.

 

Programm unklar

Was dort genau passieren wird, ist im Moment unklar. Seit einigen Tagen werden seitens der Veranstalter (darunter die Anti-Globalisierungs-Organisation „Attac“) Flugblätter mit der Aufschrift „Occupy Cologne“ verteilt. Mit Ausnahme der Zeit und dem Ort sind darauf keinerlei Informationen zu finden.

 

Auf der Pinnwand der Facebook-Seite finden derzeit zahlreiche Diskussionen statt, wie die Demonstration am sinnvollsten gestaltet werden soll. Die Seitenadministratoren (wer sich dahinter verbirgt, lässt sich nicht erkennen) haben „Drei einfache Regeln“ für die Veranstaltung propagiert:

„1. Keine Partei bei Occupy, 2. Occupy ist LEGAL, 3. Occupy Together.“

 

Mit der letzten Regel ist gemeint, dass Teilnehmer sich nicht untereinander anfeinden sollen, weil sie verschiedenen Gruppierungen entstammen. Diese Regel scheint aber bereits im Vorfeld gebrochen: Benutzer Eduard Gotwig erklärt, die „Zeitgeist Bewegung“ Köln werde auch vertreten sein. Daraufhin entgegnet User Stefan Fricke, von der Bewegung halte er „gar nichts“, da diese „geschichtsverfälschende Filme“ publizieren würden.

 

Luftballons und „99%“-Flut

Aber auch über die Ausgestaltung des Protests am Chlodwigplatz sind sich die Teilnehmer, gerade einmal einen Tag vor der Veranstaltung, nicht einig. Hauptsorge scheint es zu sein, dass politische Parteien oder andere Organisationen keine Werbung in eigener Sache machen. Die Seitenadministration meint dazu: „Es gehen open minded people dahin, da muss also keine werbung gemacht werden.“

Es sind bereits verschiedene Vorschläge vonseiten der verschiedenen Organisationen eingegangen. Ideen sind u.a.: eine Luftballon-Aktion, die Flutung von Facebook mit Profilbildern, auf denen nur der Schriftzug „99%“ zu sehen ist und das Vorlesen von Büchern auf dem Chlodwigplatz, egal zu welchem Thema: „Das kann alles sein“.

 

User Jan Hergesell schlägt darüber hinaus vor: „Vielleicht wäre es auch sinnvoll die Fernsehstudios von außen zu beschallen.“  Womit, das ist unter den Teilnehmern allerdings umstritten: „Wir wissen grob, was uns stört, aber würden wir ernsthaft darüber diskutieren, was eine Alternative ist, würden wir schnell feststellen, dass wir in unterschiedliche Richtungen tendieren“, schreibt ein Facebook-User.

 

Politik-Journalist Überall: Eine Bewegung für Omas wie für Jugendliche

Trotz zahlreicher inhaltlicher und organisatorischer Mängel (Administrator „Anja“ weiß zwar, dass Flyer gedruckt wurden, aber nicht wo und von wem) dürfe man die Veranstaltung nicht unterschätzen, meint Frank Überall. Der Politikwissenschaftler und Journalist äußerte im Gespräch mit „Meine Südstadt“, dass die Gesamtbewegung eine gesellschaftliche Missstimmung wiedergebe: „Aus meiner Sicht heraus ist eine allgemeine Unzufriedenheit da, die nicht nur einzelne Gruppierungen empfinden“, sagt Überall. Diese Unzufriedenheit sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Bürger in der Finanz- bzw. Bankenkrise gar nicht zu Wort kämen, „die Banken haben eine große Lobby, die Bürger haben eigentlich gar keine Lobby.“

Politikwissenschaftler und Journalist Frank Überall. Foto: Manfred Wegener

 

Wichtig für ein langfristiges Bestehen der Bewegung sei es, dass ein breites gesellschaftliches Bündnis geschlossen auftrete – ansonsten drohe die Gefahr, dass „es Linksradikalen überlassen wird.“ Derzeit sieht Überall jedoch eine diversifizierte Bewegung, die sich aus verschiedensten Gruppierungen zusammensetze: „Hier geht es nicht um Fun-Demonstrieren einer einzelnen politischen Sparte.“ Vielmehr kämen inzwischen aus allen politischen Parteien kritische Stimmen zur Rolle der Banken, „sogar aus der CDU, wo man das ja überhaupt nicht gedacht hätte.“

Für Überall hängt viel von der Frage ab, wie viele Menschen tatsächlich zur Auftaktkundgebung kommen – wenn es viele seien, habe die Bewegung eine Chance, sich gesamtgesellschaftlich zu etablieren. Er zieht hierbei einen Vergleich zu „Stuttgart 21“, wogegen sich „sowohl die konservative Oma als auch der ökologisch orientierte Jugendliche“ gewandt hätten.

 

Protestcamper am Chlodwigplatz sind nicht informiert

Nicht zu vergessen ist, dass auf dem Chlodwigplatz bereits eine Dauer-Protestkundgebung existiert. Das Protestcamp zog Anfang des Sommers vom Rudolfplatz hierher, lockt inzwischen aber weit weniger Menschen an als zuvor. Inzwischen sitzen dort meist nur noch zwei bis vier Leute, ergänzt durch einige Obdachlose, für die das Zelt ein willkommenes Dach darstellt.

 

Auf Nachfrage erklärten die Protestcamper, sie riefen zwar zu der Demonstration mit auf, was genau dort passieren werde, darüber sei man allerdings nicht im Bilde.
Auf Facebook geht die Diskussion unterdessen heiter weiter: Derzeit wird über die aktuelle Ausgabe von „Maybrit Illner“ im ZDF virtuell gesprochen, darin gingen „die Bankster unter“, erklärt die Seitenadministration.

Außerdem solle jeder, der darüber verfüge, am Samstag Instrumente mitbringen – laut soll es also auf jeden Fall werden.

 

Text: Wassily Nemitz

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