„Unser Wohnwagen ist immer das große Plakat, das wir mitnehmen“
Donnerstag, 3. November 2016 | Text: Antje Kosubek | Bild: Privat
Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten
Köln ist als Universitäts-, Wirtschafts-, Kultur- oder auch Medienstadt sehr beliebt. Die Stadt erwartet in den kommenden Jahren einen Bewohnerzuwachs um etwa 100.000 Menschen (bis zum Jahr 2025, Quelle: Stadtentwicklungskonzept Wohnen/Prognose 2014). Und Menschen, die nach Köln als Geflüchtete kommen oder hier schon in Turnhallen leben, sind in dieser Statistik noch gar nicht erfasst. Bezahlbarer Wohnraum ist allerdings schon jetzt extreme Mangelware. Auf dem Kölner Wohnungsmarkt gibt gerade mal 7,5% günstigen Wohnraum. „Preisegdämpft“, wie die Politik Kaltmieten bis 10 nennt. Also: Wo wollen wir alle in Zukunft in Köln wohnen, wie wollen wir leben?
Damit beschäftigen sich nicht nur Willkommensinitiativen. Zahlreiche Kölner Gruppen haben sich nun zusammengetan, um auf das Problem des fehlenden bezahlbaren Wohnraums erneut und mit Nachdruck und kreativen Ideen aufmerksam zu machen. Denn das problemm betrifft die gesamte Stadtgesellschaft, neben den geflüchteten Menschen auch alleinerziehende Mütter und Väter, junge und /oder kinderreiche Familien, Studierende und ökonomisch Schwache wie HartzIV-Emüfänger oder altersarme RentnerInnen.
Mit einem Wohnwagen wird ab jetzt das Projekt Wohnen Wagen die einzelnen Stadtteile bereisen, Aktionen vor Ort anschieben und ins Gespräch kommen.
Seit drei Monaten beackert eine Kern-Gruppe der Aktiven das Thema. Sie kümmern sich um Recherchen, Flyer, eine Web-Seite und Veranstaltungen. Wir trafen einen von ihnen, den Südstädter Walter Harings. In seiner Küche auf einen Kaffee. Er war zusammen mit der Filmregisseurin Vera Schöpfer, die in der Willkommensinitiative Nippes aktiv ist, einer der Hauptakteure bei der Organisation des Wohnwagens.
Meine Südstadt: Wie kommt man mal eben zu einem Wohnwagen? Hattest Du den übrig oder sogar im Schuppen stehen?
Walter Harings (lacht): Nein. Aber ich bekam mit, dass ein Wohnwagen für das Projekt gesucht wurde. Verschiedene Flüchtlingsinitiativen in Köln hatten sich ja zusammengesetzt und gesagt, wir müssen endlich etwas gegen den Wohnungsmangel für Flüchtlingen tun. Dazu kam dann das Wortspiel, es geht ums Wohnen und man muss auch mal etwas wagen. Klaus Adrian (Initiative ,Willkommen in der Moselstraße) hatte dann die Idee, dass wir dafür einen Wohnwagen brauchen. Dabei geht es ja nicht nur um Wohnungsmangel Flüchtlinge betreffend, da gibt es auch Studenten, Alleinstehende, einkommensschwache Menschen usw.! Wir wollten das auf breiter Front organisieren. Also rief mich Klaus Adrian an und sagte: Wir brauchen einen Wohnwagen. Ich hatte den Auftrag und naja, zwei Tage später war der Wohnwagen da.
Wie jetzt? Innerhalb von zwei Tagen?!
Walter Harings: Ja! Mein Bruder in der Eifel hat mich da unterstützt, er hat den Wohnwagen über ebay gekauft. Und ich hab´ihn dann in der Eifel abgeholt. Für uns war am wichtigsten, dass der Wohnwagen TÜV hat. Wir hatten viel Unterstützung. Zum Beispiel, als der Wohnwagen dann in Köln war und wir dringend einen Stellplatz suchten. Ziemlich schnell haben sich die Niehler Schützen (ein Schützenverein, der aus der Willkommensinitiative Nippes bekannt ist) bereit erklärt, uns einen zur Verfügung zu stellen.
In welchem Zustand war der Wohnwagen?
Walter Harings: Naja, er war ein wenig heruntergekommen, der Vorbesitzer ist damit auf Festivals gefahren, um da zu übernachten. Wir haben den Wohnwagen mit den Mitgliedern der Fahrrad AG des „Hotel Mado“ in der Moselstraße gesäubert, repariert und vorbereitet für die Künstler. Jetzt gibt es innen eine Sitzgruppe für schlechtes Wetter, Bierbänke und Tische und einen Pavillon für draußen sowie Prospekte und Informationsmaterial zu Wohnen Wagen. Ganz wichtig für die kommenden Monate: Der Wohnwagen hat eine funktionierte Heizung und einen Gaskocher, mit dem man sich Tee machen kann. Seit letzter Woche sorgen nun die MittwochsMaler aus dem Lucky Haus in Bilderstöckchen für den tollen Außenanstrich.
Die Mittwochsmaler hatten auch gerade Zeit?
Walter Harings: Das ging über Vera, sie hatte den Kontakt zu den MittwochsMalern. Ich war auch erstaunt, wie die das gemacht haben. Letzten Mittwoch hatte ich den Wohnwagen erstmals dorthin gebracht. Die Jungs kamen mit ihren Sprühdosen und einem Plan aus Fotos, die ich ihnen geschickt hatte, und legten sofort los. Wie die Künstler das mal eben aus der Hand heraus machten, mit den vielen Schatten und Reflexionen – Wahnsinn! Und hinterher denkst du, sie machen gar kein Geld damit, sondern arbeiten ehrenamtlich und sind dennoch mit vollem Engagement dabei.
Das Problem Wohnungsnot ist nicht neu und betrifft viele Gesellschaftsschichten. Was versprecht Ihr euch von der Aktion?
Walter Harings: Mehr Aufmerksamkeit, von den Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Viele Kölnerinnen und Kölner wissen nicht, dass es einen Wohnungsmangel im sozialen Bereich gibt. Wir wollen auch einen Appell an die Verwaltung senden: JA, es ist sehr dringend! Wir müssen jetzt und laut darauf aufmerksam machen, damit etwas passiert. Eine geplante Aktion ist zudem, den Wagen auch einmal durch die Stadt zu schieben. Also nicht mit einem PKW davor. Dann blockiert das natürlich den Verkehr, wenn der Wohnwagen beispielsweise über die Kölner Ringe geschoben wird und erregt Aufmerksamkeit. Das blockiert dann genauso, wie in den letzten Jahrzehnten der soziale Wohnungsbau blockiert wurde. Das Anschieben bedeutet, wir möchten auch etwas anschieben, so wie wir den Wohnwagen anschieben. Etwas in Bewegung bringen. 30% von geplanten Neubauwohnungen sollen in den sozialen Wohnungsbau, wir finden 30% ist zu wenig, viele Wohnungen fallen aus der Sozialbindung raus. Hier muss dringend nachgesteuert werden, weil der Bedarf jetzt schon da ist und immer mehr wächst.
Also nicht nur dringend benötigter sozialer Wohnraum für Flüchtlinge?
Walter Harings: Beides. Ich kenne die Situationen in den Turnhallen. Die Turnhallen sollen freigemacht werden und die Flüchtlinge in neue Hallen in Leichtbauweise umziehen. Ich sage: das sind aber immer noch Hallen! Für mich ist das die schlimmste Katastrophe! Ich war mit meiner Frau und einem Freund vor kurzem in Rodenkirchen und wir haben uns dort mal die Situation vor Ort angesehen. Wir konnten danach drei Stunden nicht mehr miteinander sprechen, so platt waren wir. Dort wohnen 180 Leute in einer Turnhalle. Aber ohne das, was Wohnen ausmacht – wie Zähne putzen, Kaffee kochen oder Freunde empfangen. Es gibt dort keine geschützte oder intime Zelle. Nein, da liegen die Menschen zu Hunderten in der Halle, ohne einen geschützten Bereich für Frauen oder Kinder. Es gibt keine Trennwände oder ähnliches, das Licht brennt immer, es ist immer laut oder Kinder weinen.
Was plant ihr konkret mit der Aktion?
Walter Harings: Wohnen Wagen bedeutet auch, dass man sich andere, neue oder auch kreativere Modelle überlegt, wie man heute noch Wohnraum schaffen und gestalten kann. Unsere Aktion richtet sich aber auch an das Gespräch mit den Bürgern, um auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Wohnungsnot aufmerksam zu machen, nicht nur für Flüchtlinge. Wir erhoffen uns Gespräche mit den Bürgern vor Ort, wenn wir an unserem Wohnwagen stehen, es gibt Kaffee und Tee und vor allem nehmen wir uns die Zeit. Wir haben auch weitere Aktionen geplant, wie die Leerstand-Fahrradtour am 12. November. Da fahren wir in drei Stunden von Ehrenfeld zum Rudolfplatz, um auf die Leerstände in Köln aufmerksam zu machen. Wohnraum, der leer steht. Das gibt es auch in Köln, Leerstände, Zweckentfremdung oder regelrechte Vermietungsfirmen, die so dringend benötigten Wohnraum an Touristen vermieten. Unser Wohnwagen ist dabei immer das große Plakat das wir mitnehmen.
Welche Information bekomme ich als Bürgerin an Eurem Wohnwagen? Man hört immer, viele gute Ideen scheitern an der Bürokratie der Stadt. Und das alles dauert zu lange oder scheitert dann doch an formalen Vorschriften?!
Walter Harings: Wenn beispielsweise eine BürgerIn zu uns kommt und sagt, sie hat ein Zimmer oder eine Wohnung im Souterrain frei. Dann können wir eher den Kontakt herstellen, auch zu der Verwaltung, denn dort sind wir, also die Flüchtlingsinitiativen, sehr gut vernetzt. Ein Beispiel, es gibt einen Freund, der in der Südstadt einen Eritreer betreut. Dieser kann nun endlich in eine Wohnung einziehen. Das Problem: diese ist 60qm und damit zu groß für ihn allein. Nun kommt dessen Familie nach Köln nach. Dann ist die Wohnung für fünf Personen formal wieder zu klein. Für eine Familie aus Eritrea bedeuten 60qm aber sehr viel Platz und die Familie käme damit zurecht. Zumindest für den Anfang. Aber die Vorschriften sagen eben etwas anderes, also kommen in diesem Beispuel Wohnung und Flüchtlinge nicht zusammen. Ein anderes Beispiel: ein älteres Ehepaar hat eine große Wohnung, die Kinder sind aus dem Haus, die Wohnung bleibt weiterhin groß – viel zu groß für zwei Personen. Jetzt haben sie einen Flüchtling aufgenommen, der sitzt dann mit am Küchentisch, spricht mit ihnen und lernt dabei Deutsch. Er hat jetzt sogar einen Ausbildungsplatz bekommen, bei einer befreundeten Fahrradwerkstatt. Er entwickelt sein eigenes Leben, ist aber auch automatisch durch das Wohnen integriert.
Was ich aber auch feststellen muss, alle Behörden in Köln, ob es das Sozialamt in Nippes ist oder die Ausländerbehörde in Kalk, das Jobcenter, der Integrationspoint sie sind alle bemüht und wollen helfen. Man hört ja immer mal den Vorwurf, die MitarbeiterInnen wären alle schlecht drauf oder handeln nicht im Sinn der Bürger. Nein, das kann ich nicht bestätigen. Manchmal denke ich allerdings, die Vorschriften müssten mehr der realen Situation angepasst werden.
An wen wende ich mich, wenn ich Wohnraum zur Verfügung habe, die ich gern Flüchtlingen zur Verfügung stellen möchte?
Walter Harings: Der einfachste Weg ist, sich an Flüchtlingsinitiativen vor Ort zu wenden. Da gibt es einen großen Bedarf, weil viele Flüchtlinge mittlerweile den Status haben, dass sie hierbleiben und auch eine Wohnung beziehen dürfen.
Die Initiative Willkommen in der Moselstraße hat beispielsweise eine AG Wohnungssuche oder AG Wohnungsbetreuung. Dort gibt es ein Konzept, wo die Wege aufgezeichnet sind, die man gehen muss. Dann sind die Ämter natürlich auch froh, wenn es so organisiert läuft. Das wäre der Weg, den wir vorschlagen.
Vielen Dank für das Gespräch.
„WOHNEN WAGEN“
Die Auftaktveranstaltung Wohnen Wagen findet auf dem Rudolfplatz am Freitag, 4. November von 18 bis 20 Uhr statt. Dort wird es eine große Bühne mit verschiedenen Akteuren geben. Der Wagen ist dann das knallbunte, rollende Plakat für Aktion.
Weitere Termine:
Am 8.11. vor dem Rathaus in Rodenkirchen.
Am 12.11. findet die Leerstand-Fahrradtour statt. Treffpunkt 12 Uhr am Bahnhof Ehrenfeld (Ausgang Subbelrather Straße). Gemeinsam werden Orte besucht, die in Köln den Konflikt um den Wohnraum in Köln veranschaulicht. Betroffene und Aktivisten werden in Beiträgen die Situation und Strategien erläutern.
Die Radtour endet um 15 Uhr mit einer Kundgebung am Rudolfplatz.
Die Initiatoren und Mitwirkenden des Projekts Wohnen Wagen, sowie weiterführende Informationen findet Ihr hier www.wohnen-wagen.de
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