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Politik

Uranmunition: Der Staub der Sahara auf dem Fensterbrett

Freitag, 7. Juni 2013 | Text: Christoph Hardt | Bild: Christoph Hardt

Geschätzte Lesezeit: 13 Minuten

Frieder Wagner hat die Zukunft gesehen. Doch seine Kassandra-Rufe stoßen in den Medien meist auf taube Ohren. Seit sich der renommierte Filmemacher aus der Kölner Südstadt eines Themas annahm, das die Menschheit noch in Tausenden von Jahren beschäftigen wird, ist er ein Getriebener. Ob von den Anrufen todkranker Bundeswehrsoldaten oder der Routine, mit der Behörden beschwichtigen. Ihn quält die schreckliche Klarsicht, dass sich strahlende Partikel von Uranmunition inzwischen wie ein unsichtbares Grabtuch über den ganzen Globus gelegt haben.

Auf seinem Fenstersims in der Severinstraße liegt ein feiner Schleier Sand aus der Sahara. Jener Wüste, auf die die NATO noch 2011 Uranbomben auf libysche Panzer abgeworfen haben soll. Zwischen zwei Tassen Kaffee, zwei Grimme-Preisen, einem Kater und Tausenden Büchern sprach er mit „Meine Südstadt“ über das strahlende Vermächtnis der Kriege, Schweigespiralen im Journalismus und Bundeswehrsoldaten, die offenbar skrupellos vergiftet wurden.

Meine Südstadt: Herr Wagner, den Einsatz von Urangeschossen bezeichnen Sie als wichtigstes Thema Ihres Lebens – warum sind die Zeitungen nicht voll davon?
Frieder Wagner:  Das war ja nicht immer so. Bis Januar 2001 war das Thema europaweit in den großen Medien. Ein Monitor-Beitrag von 1999 etwa endete mit dem Kommentar, große Teile des Kosovo könnten mit abgereichertem Uran kontaminiert sein. Die Nato gibt den Einsatz von 10 Tonnen des giftigen Schwermetalls zu. Serbische Militärs, die ich besucht habe, reden hingegen von 30 Tonnen.

Wie hat man sich das vorzustellen – „kontaminiert“?
Bei ihrem Einsatz verbrennen Geschosse aus abgereichertem Uran („Depleted Uranium“, kurz: „DU“) bei großer Hitze zu Nanopartikeln – 100 Mal kleiner als ein rotes Blutkörperchen. Diese legen sich dann überall, auf der Erde, im Wasser, auf Gebäuden nieder, werden von Regen und Schneeschmelze in den Boden getragen, von wo sie dann im Wasser bleiben und Quellgebiete gefährden. Sieben Jahre nach dem Kosovo-Krieg machte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) vor Ort Messungen. Ergebnis: Selbst in einem regenreichen Land wie dem Kosovo sind DU-Partikel immer noch in der Luft nachweisbar.

Wie gefährlich sind diese Partikel denn?
Es handelt sich um ein sogenanntes Alpha-Teilchen – Uran 238 um genau zu sein. Es strahlt zwar nur wenige Millimeter weit, hat es sich aber erst einmal im Lungengewebe eingekapselt, bestrahlt es das Gewebe ringsherum wie eine Sonne mit hoher Energie. Es kann auch in den männlichen Samen oder die weibliche Eizelle wandern. Wenn die Menschen im Kosovo Pech haben, reicht ein einziger Atemzug, um unheilbar krank zu werden – dafür genügt ein einziges dieser Nanoteilchen. Eine permanente Gefahr, denn Uran 238 hat zudem eine Halbwertszeit von 4.5 Milliarden Jahren. So lange existiert in etwa unser Sonnensystem.

Ist den Militärs den nichts über das fatale Vermächtnis dieser Waffen bekannt?
Die wissen das sehr wohl. So produzierte das US-Verteidigungsministerium nach dem Irak-Krieg 1991 einen Aufklärungsfilm über die Gefahren von Uranmunition, der für die Truppen vor der Invasion 2003 gedacht war. Als Golfkrieg-General Schwarzkopf davon Wind bekam, verschwand das Video in der Schublade. Zu groß waren die Befürchtungen, nicht mehr genügend Rekruten aufzutreiben. Mir wurde es in VHS-Qualität zugespielt. Teile davon finden sich in meinem Kinofilm „Deadly Dust – Todesstaub“.

Die Amerikaner hatten in beiden Irakkriegen doch nur geringe Verluste zu beklagen?
Ich will ein paar Zahlen nennen: 560.000 GIs waren allein 1991 im Irak stationiert. Heute sind davon 30.000 tot, weitere 325.000 arbeitsunfähig krank. Die Symptome reichen von Konzentrationsschwierigkeiten über ein geschwächtes Immunsystem, Nieren- und Leberschäden bis hin zu Leukämie und aggressiven Krebs-Formen. Es gibt deutliche Überschneidungen mit dem Golfkrieg-Syndrom. Sicherlich sind von diesen 325.000 Soldaten nicht alle durch Uran erkrankt, auch Impfungen, Dämpfe brennender Ölquellen und die Bombardierung eines Forschungsreaktors mit Plutonium bei Bagdad mögen da mit herein spielen. Ein Waffenlager der Amerikaner bei Doha brannte für eine Woche – da war mit Sicherheit auch Uranmunition dabei.

Kaum hatten Sie Ihre Reportage fertig, da begannen Merkwürdigkeiten?
„Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra“ wurde 2004 in der WDR Sendereihe „Die Story“ einmalig ausgestrahlt und erhielt den europäischen Fernsehpreis. Sonst war es üblich, dass meine Filme noch durch die dritten Programmen gingen. Dieser Film tauchte danach aber nie wieder auf. Mir sagte man, er habe die „Quote“ nicht erreicht, was ich rückblickend als Ausrede betrachte. Außerdem war der ursprüngliche Sendetermin kurzfristig auf den 26. April vorverlegt worden, sämtliche Rundfunkzeitungen konnten somit überhaupt nicht auf ihn hinweisen. Nach der Ausstrahlung bekam ich vom WDR nie wieder einen Auftrag. 2006 entschloss ich mich dann, basierend auf dem Material den Kinofilm „Deadly Dust – Todesstaub“ zu drehen.

Gab es keine Reaktionen in der Presse auf die Ausstrahlung?
Stern, Süddeutsche und Spiegel hatten schon vorher sehr kritische Berichte gebracht. Plötzlich aber ließ der damalige Chefredakteur der „Zeit“, Dr. Theo Sommer schreiben: die Gefahr von Uranmunition sei übertrieben dargestellt worden. Derselbe Dr. Sommer war bereits zuvor,  im Herbst 1999,  von Verteidigungsminister Rudolf Scharping als Sonderbeauftragter zur Untersuchung von Urangeschossen und deren Folgen in eine entsprechende Kommission berufen worden.

Ein Geisteswissenschaftler und Bilderberger sollte physikalischen Untersuchungen vorstehen?
Nach dem Kosovo-Krieg ging es ja Schlag auf Schlag: Todesfälle unter Soldaten in Spanien und Portugal ließen die Frage aufkommen, ob auch unsere Soldaten gefährdet waren. Diese Studie der Gesellschaft für Strahlenschutz – die bis heute die „Dr.-Theo-Sommer-Studie“ heißt – kam daraufhin zu dem Ergebnis: Nie habe für unsere Soldaten eine Gefahr bestanden, die Strahlung durch DU-Partikel sei viel zu gering, ohnehin 10 Tonnen in der Atmosphäre viel zu verdünnt, um ernsthaft zu gefährden. Wissenschaftler haben das Papier inzwischen Stück für Stück zerpflückt.

Wie hat man sich diese Urangeschosse vorzustellen?
Es handelt sich bei den Uranbomben um Metallstäbe mit einem Gewicht von etwa 1,2 Tonnen, die nach vorne hin angespitzt sind. Beim Abfeuern werden sie so beschleunigt, dass sie sich durch sechs Meter Stahlbeton schweißen können. Als die USA am 7. April 2003 mehrere Paläste Saddams direkt am Ufer des Tigris bombardierten, geschah dies mit Cruise Missile-Trägersystemen vom Typ GBU-28 und GBU-30 – sogenannten „Bunkerbustern“ – auch sie trugen Depleted-Uranium-Köpfe.

Woher kommt dieses ganze abgereicherte Uran für die Bomben?
Uran 238 ist ein Abfallprodukt der Atomindustrie, das bei der Herstellung von Brennstäben aus Natururan anfällt. Pro Tonne Brennstäbe entstehen aber sieben bis acht Tonnen abgereichertes Uran als Abfall. Auch ausgemusterte Brennstäbe werden inzwischen für solche Bomben verwendet. Da kein chemischer Vorgang perfekt ist, verbleiben immer Reste von Plutonium und angereichertem Uran in diesen Brennelementen. Weltweit gibt es Berge von dem Zeug. Es ist fast doppelt so schwer wie Blei und hat die Fähigkeit, beim Durchdringen von Hindernissen immer spitzer und dünner zu werden, und der entstehende Reibungsabrieb verbrennt explosionsartig. Bei lasergelenkten GBU-Raketen kann eingestellt werden, wie viele Stockwerke sie durchschweißen sollen, bevor sie im Keller explodieren. Kurzum: Es ist billig, und die Atomindustrie produziert es permanent – auch die deutsche.

Gibt es keine Alternativen?
Die Bundeswehr verwendet Wolfram-Geschosse. Während Urangeschosse fünf hintereinander stehende Panzer durchschlagen können, gehen Wolfram-Projektile nur in den ersten Panzer hinein, nicht aber wieder heraus.

Muss man angesichts von Giftigkeit und Beständigkeit der Uranmunition-Partikel nicht von einer Massenvernichtungswaffe sprechen?
Alle Wissenschaftler, die ernsthaft zu dem Thema geforscht haben, sind sich einig: Uranmunition ist eine Massenvernichtungswaffe. Nach ihrem Einsatz wirkt sie unberechenbar noch für viele Jahrtausende auf Menschen, Umwelt und Tiere, verstößt gegen sämtliche Konventionen – egal ob Haager oder Genfer. Ein Kriegsverbrechen…

…das fortwährend an einem ausgesuchten Abwurfort fortwirkt?
Mit den atmosphärischen Winden vagabundieren diese giftigen Urangeschoss-Partikel um die Erde. Sie kommen überall hin. Ein Beispiel: Der Wüstensand der Sahara. Hier in der Südstadt hat man manchmal einen feinen Staub auf den Fenstern, eine rötlich-helle Schicht. Von der Sahara wurde sie über die Alpen bis zu uns getragen. In München bedeckte sie eines Morgens mein Auto. Ein Kollege warnte mich, ich sollte sie nicht wegwischen, sonst zerkratzten mir die Körnchen den Lack…

Aus jener Wüste, in der 2011 nach Ansicht von Experten wie Christoph Hörstel die NATO Uranmunition gegen Gaddafis Truppen einsetzte… 
Und im Vergleich zu den giftigen, winzigen Nanopartikeln der Urangeschosse besteht Sahara-Sand aus riesigen Felsklötzen. Nach der Bombardierung der Saddam-Paläste 2003 wurden siebzehn Tage später im weit entfernten England erhöhte Werte jenes Uranisotops gemessen, das in diesen Bomben eingesetzt wurde. Die Armee weiß genau, wie gefährlich das ist. Um die Menschen, die Messungen vornehmen wollen, zu irritieren, hat jede Uranbombe noch eine zweite Bombe. Diese hat allein die Aufgabe, den giftigen Dreck möglichst hoch in die Luft zu schleudern, damit er mit Winden fortgetragen wird, und vor Ort nicht mehr nachgewiesen werden kann: Das war eine Uranbombe.

Wo fallen diese Bomben denn?
Nach dem 11. September 2001 hieß es, Osama bin Laden habe sich im Höhlensystem von Tora-Bora südlich von Kabul versteckt. Hier wurde ein Quellgebiet mit Uranmunition bombardiert. Aber auch bei den Luftangriffen auf Kabul kamen diese Waffen zum Einsatz. Ebenso in Dschalalabad sowie 2003 im Dritten Golfkrieg systematisch im Kampf um Basra und Wohngebieten in Bagdad.

Wohngebiete, Trinkwasserquellen, Hauptstädte – geht es hier etwa um etwas ganz anderes als kurzfristige Schlagkraft? Ein Genozid in Zeitlupe, der dem flüchtigen Betrachter unsichtbar bleibt?
So etwas muss man befürchten, weil man ja andere Waffen verwenden könnte. Wolfram-Geschosse beispielsweise sind zwar ebenfalls hochgiftig und krebserregend, nicht aber radioaktiv. Neutrale Wissenschaftler sagen ganz klar: In den nächsten 15 bis 20 Jahren werden alleine im Irak zwischen fünf und sieben Millionen Menschen an Krankheiten wie Krebs oder Leukämie sterben, die nur auf den Einsatz dieser Uranmunition zurückgehen. Hieß es 1991 noch, DU-Geschosse seien nur bei Panzerschlachten in der Wüste zum Einsatz gekommen, weiß man inzwischen: Sie wurden systematisch auch in dicht besiedelten Gebieten eingesetzt – ja, es wurde sogar mit Uranlegierungen experimentiert, um zu testen, wie weit man gehen kann.

Wie weit ging man denn?
Wissenschaftler des Uranium Medical Research Center (UMRC), haben das im Irak und in Afghanistan vor zehn Jahren untersucht und festgestellt: Die eingesetzten Legierungen waren offenbar teilweise um das 20-fache gefährlicher als die Uranmunition, die man 1991 im zweiten Golfkrieg eingesetzt hatte. 2001 experimentierte man mit den Geschossen in Afghanistan, 2003 verschoss man sie in irakischen Städten. Mit Ted Weyman war ich 2003 in Basra. Unsere Bodenproben ließen wir in Frankfurt von Experten untersuchen. In allen wurde Uran 236 festgestellt mit Spuren von Plutonium. Das bedeutet: Es wurden auch Geschosse verwendet, in denen ausgediente Brennstäbe aus Atomkraftwerken verarbeitet wurden. Ted warnte mich davor, nach Kabul zu reisen, dort seien Ortsteile viel höher kontaminiert, als bisher angenommen.

Ist das nicht schon ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung?
Mein afghanischer Kollege Prof. Mohammad Daud Miraki ist seit dem Krieg gegen die Taliban verschiedentlich nach Afghanistan gereist. Dort hat er entsetzliche Fotos im Mutter-Kind-Krankenhaus in Kabul gemacht, die in jedem zweiten oder dritten Brutkasten nicht lebensfähige, von schweren Missbildungen gezeichnete Kinder zeigen. Leider werden die Eltern von den Alliierten – nicht nur von den USA – unter Druck gesetzt, damit nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Unser Verteidigungsminister wiederholt auch seit Jahren stur die Formulierung, es gebe kein einziges Beispiel dafür, dass bestimmte Erkrankungen durch den Einsatz von DU-Geschossen hervorgerufen wurden.

Was kommt da auf die deutschen Soldaten zu?
Ein Blick nach Italien lässt es erahnen: Hier starben von 3.000 Soldaten aus dem Irak-Einsatz bisher 109 an den Folgen von Uranmunition. 16 Familien wagten einen Prozess. Alle haben gewonnen, egal ob in Rom, Genua oder Florenz. Das italienische Verteidigungsministerium wurde zu Sofortwiedergutmachungen zwischen 200.000 und 1,2 Millionen Euro verurteilt. Die Italiener waren auch direkt neben uns Deutschen im Kosovo stationiert, waren mit uns in Afghanistan. Warum haben die Italiener diese Fälle, und wir laut unseres Verteidigungsministeriums angeblich nicht? Und warum melden sich bei mir und meinen Kollegen immer wieder Soldaten der Bundeswehr, die Krebs haben?

Ihnen sind also klar Gegenbeispiele bekannt?
Im ZDF lief unlängst noch ein Bericht über den großen europäischen Truppenübungsplatz in Sardinien. Hier kam es zu Todesfällen: 22 Hirten verstarben an Krebs und Leukämie. Sowohl in ihren exhumierten Knochen als auch den Kadavern zahlreicher Ziegen und Schafe wurden abgereichertes Uran und Thorium gefunden. Abgereichertes Uran hat die Tendenz, sich besonders im Rückenmarkknochen anzusiedeln, die für die Blutbildung verantwortlich sind. Daher kann man es dort sehr gut nachweisen.

Und Beispiele aus Deutschland?
In meinem Film zeige ich den Fall eines Bundeswehrsoldaten aus dem Kosovo. Das Verteidigungsministerium lässt sich da seit über einem Jahrzehnt nicht dazu herab, seine Leiche zur Beruhigung der Eltern noch einmal zu untersuchen. Obwohl wir sagen: Wir haben noch Bartstoppeln von ihm aus einem alten Rasierer. In diesen hat man zwar kein Uran, dafür aber eindeutig Bleiwerte gefunden in einer Höhe, die klar auf eine Bleivergiftung schließen lässt. Trotzdem weigern sich sowohl der jetzige Bundeswehrbeauftragte des Bundestags als auch der Verteidigungsminister, zu sagen: Ja, das sind neue Aspekte, heute stehen uns neue Untersuchungsmethoden wie Massenspektroanalyse zur Verfügung, wir zahlen die Exhumierung – zum Schutz unserer Soldaten. Sie weigern sich nun schon seit zwölf Jahren. Der Junge ist am 31. Januar 2000 in Prizren (südl. Kosovo – Anm. d. Red.) gestorben. Er wurde nur 27 Jahre alt. Ein anderer war 49 Jahre, ein anderer nur 36 – die sterben alle jung.

Was geschah in dem konkreten Fall?
Die Eltern wissen seit zwölf Jahren: Da stimmt was nicht, da ist was faul in dem, was die Bundeswehrärzte verbreitet haben. Sie schreiben von Meningitis-Sepsis als Todesursache. So etwas kommt bei einem kräftigen, sportlichen, jungen Mann normalerweise nicht vor. Fest steht, dass sein Immunsystem zusammengebrochen ist. Morgens um halb acht ging er noch aus eigener Kraft in Prizren ins Feldlazarett, abends um 23:24 war er tot. Ihm war es über Monate nicht gut gegangen. Alles deutet darauf hin, dass er sich bei seiner Arbeit vergiftet hatte. Er hat als Schlosser Panzer repariert, die durch den Kosovo gefahren sind. Diese rollten dann mit Staub beladen in seine Zelt-Werkstatt. Unsere Theorie ist, dass er dabei etwas eingeatmet hat. Über das letzte Jahr wurde er immer schwächer. Man hat ihm vorgeworfen, er simuliere, ihn mit Spritzen und Medikamenten eine Zeit lang wieder hingebogen. Am Tag, an dem er starb, behandelte man ihn wegen einer Magenverstimmung: Paracetamol 1000 und Tee. Mittags kollabierte er, um 17 Uhr kam er auf die Intensivstation. Nichts schlug mehr an. Multiorganversagen. Abgereichertes Uran setzt das Immunsystem erst langsam, dann immer schneller schachmatt.

Aber da gibt es noch eine andere Theorie…
Ja, auch eine Bleivergiftung wird in Betracht gezogen. Bisher haben wir bei keinem der Soldaten, die wir zu Fingernagelproben bewegen konnten, Uran gefunden. Dafür aber hohe Bleiwerte, und zwar ganz klar Kosovo-Blei aus Bergbau-Gebieten, kein Waffen-Blei. Im Sommer wirbelt der Wind den Staub aus den Halden, Hunderte Kilometer weit. Schon vor 60 Jahren war klar, das Kosovo ist mit Bleistaub kontaminiert. Ein Professor fragt nun in seinem Gutachten, ob die Bundesregierung nicht ihre Aufsichtspflicht auf das schrecklichste vernachlässigte, diese deutsche Soldaten dort etwa in Fabriken übernachten zu lassen. Es kann aber durchaus sein, dass wir auch abgereichertes Uran finden, sobald wir eine Knochenstanze machen.

Wie viel Zeit vergeht denn zwischen Einsatz und Erkrankung?
Ich kann das nur an einem Beispiel schildern, das besonders perfide ist, weil unser Verteidigungsministerium immer behauptet, nie sei Uranmunition in Deutschland eingesetzt oder getestet worden. Im Jahre 1983 wurde ein Panzerschütze aus dem Urlaub zurückberufen. Er musste sich in Munster auf dem großen Truppenübungsplatz einfinden. Dort wurden dann zwei Tage lang Schüsse mit einer neuartigen panzerbrechenden Waffe abgegeben. Er bediente die Bordkanone des Panzers, die leeren Kartuschen fielen in den Innenraum. Zwei Tage lang waren diese Männer dem Dampf ausgesetzt. Zur Erinnerung nahm er sich sogar eine leere Geschosshülse mit nach Hause. Er war damals ein gesunder junger Mann, ein Marathonläufer. Nur drei Jahre später konnte er keine 100 Meter mehr gehen, war arbeitsunfähig. Jahrelang prozessierte er, vor dem Sozialgericht, dann Landessozialgericht, bekam in letzter Instanz Recht. Auch, weil in seinen Haarproben abgereichertes Uran, Plutonium und Uran 236 nachgewiesen wurden. Dieselben Isotope fand man in der Kartusche.

Das heißt?
Dass man ausgemusterte Brennstäbe in den Geschossen verwendet hat. Das Landessozialgericht verwies letztlich zurück an das ursprüngliche Gericht zur Festlegung von Entschädigungssumme und Rente, das zog sich dann aber noch ein Jahr hin. Anfang Dezember 2011 verstarb er im Alter von 49 Jahren, ohne dass die Bundesregierung ihm auch nur einen Pfennig gezahlt hätte. Mich erreichen viele weitere Berichte von Soldaten, die Krebs haben, schon operiert wurden, nur noch humpeln können, nicht mehr einsatzfähig sind. Wir haben diese Fälle dem Wehrbeauftragten vorgelegt. Diese Leute sind ohne jegliche Unterstützung.

Was sind ihre nächsten Schritte?
Das Thema muss zurück in die großen Zeitungen. Das Wort, dass da bisher so großes Entsetzen auslöst, ist „Uranmunition“ Wir wollen dahingehend argumentieren, dass Waffen, die hochgiftige, vielleicht sogar radioaktive Schwermetalle beinhalten, verboten werden müssen. Da ist alles dabei von Blei über Quecksilber bis hin zu Uran. Das böse Wort ist also künftig „Schwermetall“. IPPNW – das sind die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – haben im letzten Dezember einen Report vorgelegt, der die Gefahren durch Schwermetalle gut zusammenfasst, ein ganz wichtiger Punkt in diesem Bericht sind Urangeschosse. Wir selbst wollen aber auch die Körper von gestorbenen Soldaten exhumieren und massenspektographisch untersuchen.

Warum sind diese Waffen nach wie vor im Sortiment?
Ich habe den Eindruck, die Alliierten haben derzeit keine effektivere Kriegswaffe im Sortiment. Doch steuern wir darüber früher oder später auf unsere eigene Vernichtung zu: Contergan-Kinder haben später im Erwachsenenalter hundertprozentig normalen Nachwuchs, nicht aber Geschädigte durch abgereichertes Uran. Gendefekte, die auf diese Weise entstanden sind, vererben sich an die Kinder und Kindeskinder weiter – das geht nie wieder raus. In Deutschland ist bisher erst ein solcher Fall dokumentiert.

Es tickt also eine Zeitbombe?
Leukämie-Kurven, Krebsraten – alle gehen sie doch schon in die Höhe. Und in der Atmosphäre mischt sich immer mehr dazu. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, die Experimente mit Wasserstoffbomben (bei denen Atombomben als Zünder dienen – Anm. d. Red.) – das alles ist noch in der Luft. Setzt man Uranbomben nun als Wunderwaffe in allen Kriegen ein, bahnt sich eine Katastrophe an. Zuletzt strengten 155 Staaten im Jahre 2012 einen Versuch an, Uranwaffen zu ächten, die USA, Frankreich, Großbritannien und Israel waren dagegen. Inzwischen hat Belgien ein Gesetz, dass die Herstellung, den Transport oder die Lagerung von Uranwaffen innerhalb der Landesgrenzen verbietet – das ist ein Anfang, auch wenn der Große Bruder diese Waffen offenbar noch braucht.

Gibt es denn keine Rettung?
Rosalie Bertell, eine amerikanische Physikerin, die im letzten Jahr starb, und unter anderem die Bundesregierung beriet, ob das AKW Kalkar ans Netz gehen soll oder nicht, glaubte: Wenn man heute aufhört, dauert es mehrere Tausend Jahre, dann könnte sich die Erde selbst reinigen. Die radioaktiven Nanopartikelchen haben ja eine gewisse Schwere. Früher oder später wandern sie durch den Regen ins Grundwasser, in Bäche, Flüsse, irgendwann das Meer – und dort durch ihr Eigengewicht dann über die Zeit auch an die tiefsten Stellen.

Endlager Marianengraben sozusagen?
Wenn dort keine Fische sind, die wir als Nahrung benutzen. Solange aber Katastrophen wie Tschernobyl oder Fukushima geschehen… Dass in Fukushima in zwei, spätestens drei Jahren furchtbare Missbildungen zur Welt kommen werden, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich wollte, ich hätte Unrecht. Professor Lengfelder, ein Spezialist für Tschernobyl, wurde kürzlich vom ZDF nach Fukushima gefragt. Er sagte, Fukushima sei zwanzig Mal schlimmer als Tschernobyl. Daraufhin rief ich ihn an und fragte: Edmund, meinst Du das wirklich? Er antwortete: Ich hätte sagen müssen, hundert Mal schlimmer als Tschernobyl, aber dann hätte mir wohl niemand geglaubt.

Wir danke Ihnen für das Gespräch.

Text: Christoph Hardt

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