Verschlüsselte Botschaften
Dienstag, 3. Dezember 2013 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Ein Besuch bei Dieter Wellershoff ist etwas Besonderes: Dieser Kölner Schriftsteller kann sprechen wie gedruckt. Da sitzt jeder Satz. Und mit achtundachtzig Jahren sitzt er auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer in der Mainzer Straße (wo es neuerdings auch einen großen Flachbild-Fernseher gibt, aber kein Internet) und spricht über sein jüngstes Buch „Was die Bilder erzählen – ein Rundgang durch mein imaginäres Museum“.
Mehr als 350 Seiten dick – aber nicht eng gedruckt und schwer zu lesen, sondern voll mit wunderbaren Gemälden aus 600 Jahren, von Botticelli bis Neo Rauch. Dazu schreibt Wellershoff kurze Texte, in denen er – und dieses Wort ist ihm wichtig – seine „Anmutung“ zu den Bildern wiedergibt. Subjektive, unaufdringliche Texte sind das, ganz den Werken zugewandt und kein bisschen pädagogisch. Eine Entdeckung, die zwar vierzig Euro kostet, aber jeden Cent wert ist. Heute (04.12.2013) Abend um 19 Uhr stellt Wellershoff das Buch im Wallraf-Richartz-Museum vor – im Gespräch mit Direktor Marcus Dekiert. Und einen schönen O-Ton aus unserem Interview mit Wellershoff finden Sie ganz unten auf dieser Seite als mp3.
Herr Wellershoff, erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit der Kunst?
Ja. Mein Onkel war Bildhauer, aber nicht sehr gesprächsfähig. Ich durfte in seiner Bibliothek lesen, da standen Bücher wie ‚Der schöne Mensch‘. Mein Onkel machte Bilder von seiner Frau, die viel größer war als er, eigentlich eine Schönheit. Und neben seiner schönen, großen Frau, die auch sehr dominant war, da wirkte er wie ein Knoten.
Sagten Sie gerade Knoten?
Ja. Weil er wortkarg war. Irgendwie war er verbittert. Er hat seine Frau wahnsinnig bewundert, weil sie so anders war als er. Aber sie war ungnädig, denn ihre große Liebe war ein Jagdflieger aus dem Geschwader Manfred von Richthofens, und dieser Jagdflieger war abgeschossen worden. Mein Vater, der hätte mit ihm konkurrieren können. Er war Marine-Offizier, und das war die schönste Uniform, die es gab.
Wie haben Sie sich die einzelnen Epochen der Kunst erschlossen?
Einfach im Blättern, in Büchern, in Museen, im Reden. Leger, nicht methodisch. Ich war ja Schriftsteller, und das neue Buch, das ist meine Begegnung mit dem Nachbarmedium.
Was ist das für eine Nachbarschaft?
Kunst ist in meinen Augen Seins-Erschließung. Und Malerei ist Seins-Erschließung durch Abbildung und Darstellung. In der Literatur geht es um den Durchblick auf Motivationen, um Antriebe und Fantasien. Aber die Literatur kann nicht in gleicher Weise die gesehene Welt realisieren, wie das ein Maler kann. Die beiden haben sich bei mir immer getroffen. Und es ist deutlich, dass ich die Bilder mit den Augen eines Schriftstellers deute und sehe: Was geschieht dort? Was vermute ich? Es interessiert mich, den ersten Blick zu werfen. Und der Blick hat sich dann im Nachdenken zu einer inneren Anmutung entwickelt.
Was ist aus Ihrer Sicht ‚Anmutung‘?
Das ist die Berührung mit einer psychischen Energie. Mit einem Verhalten, einer Neugier, einem Gegenüber, das eine verschlüsselte Botschaft zu enthalten scheint. Wie wirkt das auf mich? Was sehe ich denn da? Es gibt Zumutung und Anmutung. Anmutung ist sanfter, emotionaler, unbestimmter. Zumutung ist aggressive Bedrängung.
Wenn Sie über Ihre Literatur sprechen, dann haben Sie immer wieder gesagt, dass jemand vor eine Krise gestellt wird. Haben Sie so eine Krise auch in diesen Bildern gespürt?
Zweifellos. Das allererste Bild für das Buch, das ist der Hopper. Wo man in eine sommerliche, leere Wohnung hineinschaut. Eine Villa am Meer, durchleuchtet von der Sonne, und am Fensterflügel ist das Meer schon bis auf wenige Zentimeter auf Zimmerhöhe (Anm. d. Red: Edward Hopper, „Zimmer am Meer“, 1951). Ich habe das so gedeutet: Die sind schon alle weggelaufen. Das ist der Beginn einer Katastrophe. Das war meine ganz starke Anmutung. Ich dachte, ich komme da rein und rufe: Hallo, ist da noch jemand?
Ich fand den Pegelstand in dem Bild gar nicht so hoch.
Es ist die Entscheidung, es in dieser Richtung zu interpretieren. Dass es nicht nötig ist, das so zu sehen, ist mir klar.
„Den Betrachter ermutigen“ will Dieter Wellershoff.
Ich habe mich gefragt, inwieweit Sie – der Sie ja ein reflektierter Autor und Essayist sind – dem Betrachter genug Freiraum lassen.
Ich gehe von meiner eigenen Sicht aus. Das bedeutet aber nicht, dass es gesetzgebend ist, es so zu interpretieren. Es ist eine Erlebnismöglichkeit, die für mich spontan da war und die den Betrachter ermutigen soll, es sich so anzusehen – oder ganz anders.
Sie schenken dem deutschen Maler Adolph Menzel (1815-1905) viel Raum. Warum beeindruckt er Sie so?
Er wird verkannt und verdrängt. Man sagt ’naja, das ist alte Malerei, das ist zu realistisch‘. Er wird mit einer Epoche zusammengesehen, die ein schlechtes Image hat: mit dem 19. Jahrhundert.
Stimmt das denn?
Es war bourgeois, bürgerlich. Aber das ist ganz verkehrt: Es war auch eine fruchtbare Epoche. Die großen Städte sind gebaut worden, die Eisenbahnen sind eingeführt worden. Es war ein unglaublicher Kraftausbruch – aber ein Kraftausbruch, der mit einem Großmachtproblem zusammenhing, mit dieser törichten, kriegsführenden, uniformierten Oberschicht.
Und Menzel?
In der Kunst gibt es das: dass ein tieferes inneres Defizit schöpferisch überwunden werden muss (Anm. d. Red.: Menzel war nur 1,40 Meter groß). Dieser Mann, wenn der da am Tisch mit seinen Bekannten sitzt (Anm. d. Red.: Wellershoff meint das Bild „Abendgesellschaft“). Menzel kann kaum über die Tischplatte hinwegsehen, aber er ist von all den Leuten haushoch unterschieden, was die Wirkung in der Zeit und in der Kultur angeht. Dieser Maler hat alles gemalt: Die Eisenbahn, die Walzwerke, die Innenräume. Eins meiner Lieblingsbilder ist das von den beiden Herren, die sich eine Landkarte anschauen.
Sie meinen das Bild „Reisepläne“.
Wunderbar, nicht? Da sieht man richtig den Humor und das Selbstgefühl der Leute, die es zu was gebracht haben, aber noch jung sind. Und die Frauen gehen auf der Treppe im Park spazieren, zurechtgemacht als politische Begleiterin, toll. Und dieser kleine Kerl, der hat das gesehen. Das ist nicht einfach nur gut gemalt. Er hat etwas erkannt, auch psychologisch.
Lesen Sie morgen Teil 2 unseres Interviews mit Dieter Wellershoff. Dann geht es um Gerhard Richter und sein Domfenster, um den Kölner Maler Eitel Schwarzer und um den Abschied vom Gegenüber in der Kunst.
Mittwoch, 4. Dezember 2013, 19 – 21 Uhr?
Unter dem Titel: „Was die Bilder erzählen“ sprechen Dieter Wellershoff und Dr. Marcus Dekiert, Direktor des Wallraf-Richartz-Museums, miteinander.
Wallraf-Richartz-Museums
Obenmarspforten (am Kölner Rathaus)?, 50667 Köln
„Was die Bilder erzählen. Ein Rundgang durch mein imaginäres Museum.“
Dieter Wellershoff
Kiepenheuer&Witsch.
368 Seiten.
39,99 Euro.
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