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Kultur

Von der Wahrheit überzeugt

Mittwoch, 13. Juli 2016 | Text: Alida Pisu | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Auch heute noch von zeitloser Gültigkeit: die „Antigone“ des Sophokles. Antigone, tragische Heldin, die gegen das Verbot Kreons, König von Theben, verstößt, den Leichnam ihres Bruders Polyneikes zu bestatten. Sie bestattet ihn, ermöglicht ihrem Bruder somit den Übergang in die Unterwelt, wird dafür aber von Kreon zum Tode verurteilt und stirbt. Milan Sladek inszeniert die Tragödie als Masken- und Pantomimentheater auf der Bühne der Kartäuserkirche. Meine Südstadt traf sich mit Milan Sladek und Pfarrer Mathias Bonhoeffer, zum  Gespräch über das Stück und über Macht – weltliche und göttliche.

Meine Südstadt: Herr Sladek, wie kamen Sie auf „Antigone“? Was verkörpert die Figur für Sie?
Milan Sladek: Als ich angefangen habe, mich über Pantomime und ihre Geschichte zu informieren, habe ich in einem kleinen Büchlein: „Über den mimischen Tanz“ von Lukian (ein bekannter griechischer Satiriker der Antike, d. Redaktion) gelesen, dass die Pantomime im alten Rom unwahrscheinlich populär gewesen ist. Da wurden u. a. bestimmte Mimen erwähnt, die nicht nur mythologische Geschichten dargestellt haben, oft mit Hilfe eines Gesangs und Musikinstrument. Die haben sich auch entschlossen, alleine, nur mit Masken, auch die griechischen Tragödien darzustellen. Gerade in der Zeit, als ich das las, das waren die 60er Jahre in der Slowakei, ist bei uns eine neue, sehr schöne Übersetzung von „Antigone“ erschienen. Da habe ich gedacht: „Das muss man ausprobieren!“ Aber es hat bis 2015 gedauert, bis ich das auf die Bühne bekommen habe. Also ein wirklich unwahrscheinlich alter Wunsch. Ich finde das Thema phantastisch, sehr gegenwärtig. Sie ist praktisch die erste Dame, die sich gegen männliche Machthaber gewehrt hat. Und sie ist eine Person, die so überzeugt ist von ihrer Wahrheit, die sie verkörpert, dass sie bereit ist, sich zu opfern.

 

Sie verkörpern alle Rollen selbst?
Milan Sladek: Ja, weil ich das so bei Lukian gelesen habe. In der römischen Art, wie man Pantomime gemacht hat, hat man die mythologischen Texte gesungen. Sie waren akustische Begleitung zur Pantomime. So ist das wahrscheinlich auch mit der „Antigone“ gewesen. Ich weiß nicht, ob da mehrere Schauspieler die Texte gesprochen haben oder nur einer. Aber die wesentliche Information bei Lukian ist, dass der Mime alle Personen mit Hilfe von Masken dargestellt hat. Das hat mich gereizt.

Mathias Bonhoeffer: Milan hat Solo-Pantomimen, in denen die Geschichte erzählt wird und alles andere arbeitet er mit Masken, die ihm vier Mimen hin halten bzw. die andere Maske führen. Das ist so ein Zwischending zwischen Maskenhalten und Puppenspiel.

Wie ist das denn, eben noch Antigone zu sein und dann in die Rolle Kreons, des Machthabers, zu schlüpfen? Ändert sich damit auch die Sichtweise?
Milan Sladek: Es ist wichtig, sich einen inneren Monolog aufzubauen. In dem Moment, wo ich Antigone spiele und in Kreon gehe, muss ich das schon innerlich vorbereitet haben. Ich muss von einer Atmosphäre, von einer Persönlichkeit in die andere schlüpfen. Das ist ein schneller Wechsel. Dadurch, dass ich das von innen aufgebaut habe, ist es für mich kein Problem, sechs oder sieben Personen darzustellen. Und jede wirkt sehr authentisch.

Mathias Bonhoeffer: Unterstützt wird das durch den Chor, in dem auch die Sprecher der Rollen drin sind. D.h., das was Milan spielt, wird sprachlich unterstützt durch den Dialog. Das findet rechts und links von der Bühne statt, da stehen die zwei, die miteinander reden. Es sind immer nur zwei.

Milan Sladek: Was mir sehr wichtig war, mit den Schauspielern zu erreichen, dass wir die gleichen inneren Monologe sprechen. Ich weiß exakt, wie sie sprechen und sie wissen exakt, wie ich mich darin bewege.

Mathias Bonhoeffer: Letzten Endes ist es eine ganz besondere Art von Synchronsprechen. Und zwar live und in Farbe.

Was haben Sie für eine Rolle?
Mathias Bonhoeffer: Ich bin der Chorführer.
Milan Sladek: Und ganz wichtig: er hat mir den Mut gegeben, nach einem Misserfolg die „Antigone“ auch weiterhin anzugehen…

…Misserfolg?
Milan Sladek: Ja, als Oper, die schon fertig ist, aber das ist nie realisiert worden. Und dann hat Mathias gesagt: „Dann machen wir das hier mit Schauspielern.“ Das wollte ich ja auch ursprünglich so machen.

Was reizt Sie, Herr Bonhoeffer, als Theologen an dem Projekt?
Mathias Bonhoeffer: Aus theologischer Sicht ist es natürlich ganz klar die Frage nach göttlicher Macht und weltlicher Macht. Wer ist der König? Wer darf bestimmen? Und wem gehorche ich? Gehorche ich Gott oder den Menschen? Und da gibt es eine ganz klare theologische Aussage. Ich bin jetzt mal ein bisschen gefährlich. Auch das Christentum hat ja einen Absolutheitsanspruch. Auch das Christentum sagt ja: „Du musst Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

Gibt es so etwas wie eine moralische Pflicht, Widerstand zu leisten?
Mathias Bonhoeffer: Klar gibt es das. Aber bis zu welchem Zeitpunkt und bis zu welchem Punkt? Antigone ist harmlos an der Stelle. Sie sagt zwar, sie erfüllt göttliches Gesetz, muss das auch, tut das und trägt die Konsequenz. Sie sagt zu Kreon: „Du musst tun, was du tun musst und ich muss tun, was ich tun muss.“ Aber Antigone leistet in dem Sinne keinen Widerstand. Sie ist jetzt nicht auf Krawall gebürstet und sagt: „Ich muss die Herrschaft von Kreon zu Fall bringen.“ Das ist nicht ihr Trieb. Ihr Trieb ist, ihren Bruder zu beerdigen und göttliches Gebot zu erfüllen.

Milan Sladek: Sie hatte auch Pflichtbewusstsein. Es gibt bestimmte Gesetze, die kann man nicht in Frage stellen.

Antigone wird von Kreon zum Tode verurteilt und stirbt. Aber in gewissem Sinne ist sie ja bis heute lebendig und einfach nicht totzukriegen.
Mathias Bonhoeffer: Es ist ein absolut zeitloser Stoff, den Sophokles da geschrieben hat, der immer wieder sich an der göttlichen und weltlichen Macht auseinandernimmt. Die Frage an den Sophokles ist schon auch: wer hat den Anspruch auf den Menschen? Und da sagt eben Antigone: das ist Gott oder in diesem Fall die Götter. Kreon steht für die weltliche Macht, die sagt: „Ich habe den Anspruch auf den Menschen.“

Milan Sladek: Ich glaube, seine Bösartigkeit kommt daher, dass er unsicher ist. Deshalb ist er so brutal, wie er ist.

 

Szene aus eine Probe. / Foto: Bodo Bondzio

Woher nimmt Antigone oder auch für uns Heutige: woher nimmt ein Mensch den Mut und die Kraft, für seine Wahrheit einzustehen, gerade wenn er weiß, dass es ihn das Leben kosten kann?
Milan Sladek: Fast würde ich sagen, sie verpflichtet sich, sich zu opfern. Aber mir war wichtig, dass sie überzeugt ist von ihrer Wahrheit. Wenn jemand tot ist, egal wer, der Tod ist eine Grenze und ab da gilt göttliches Recht.

Mathias Bonhoeffer: Ich kann die Frage nicht wirklich gut beantworten. Es ist schon ein Stück Verantwortung für’s Leben. Für mich sind die Zehn Gebote ein übernatürliches, suprastaatliches Gesetz. Sie sind natürlich auslegungswürdig. Aber das ist sozusagen der Zaun. Jenseits dieses Zauns, der sehr weit ist, da ist das Chaos. Und deshalb ist dieser Zaun wichtig. Wo diese Zäune fallen, wo diese Schranken weg sind, herrscht Unmenschlichkeit. Dafür brauche ich die Zehn Gebote. Und wenn man mich letztendlich fragt, dann werde ich Gott mehr gehorchen als dem Staat.

Wie könnte die „Botschaft“ der Inszenierung lauten??

Milan Sladek: Einfach nicht den Mut verlieren, Wahrheiten durchzusetzen. Egal, ob in größerem oder kleinerem Umfang. Das ist für mich ein sehr menschliches Ziel, das man haben soll.

Man kommt ja immer wieder in Situationen, in denen man Stellung beziehen muss…
Mathias Bonhoeffer: Es geht um Stellung beziehen, um Vater – Tochter – Konflikt, es geht um Alt und Jung, das ist immer da. Die Pubertät und die weisen Alten, die wissen, wo’s lang geht. Die Jugend, die dagegen rebelliert. Staat und Gott. Die ganzen Konflikte sind ja Ur-Konflikte. Deswegen funktioniert Antigone ja immer noch. Und daneben es mitzuerleben, dieses Drama, diese Tragödie, wo ja von vornherein klar ist, was passieren wird.

Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch!

 

„Antigone“ nach Sophokles
Von und mit: Milan Sladek
Kartäuserkirche, Kartäusergasse 7a, 50678 Köln
Termine: 25., 26., 27. und 28. August 2016
 

Text: Alida Pisu

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