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Kultur

Von Vorurteilen, Identität und Illusionen

Mittwoch, 22. Juni 2016 | Text: Lisa Stiemer | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Die zwei Frauen auf dem Foto lächeln, die Vertrautheit ist in ihrer Umarmung und Mimik spürbar. „Diese beiden hätten sich gar nicht kennengelernt, sich nicht gefunden, wenn sie nicht aus ihren jeweiligen Ländern hätten fliehen müssen“ erzählt Hans-Günther Lindner. „Jede für sich hat viel hinter sich, aber in dem Bild spiegelt sich wider, dass sie gemeinsam etwas Positives erlebt und geschaffen haben.“

Seit dem 14.06. und noch zum bis 30.06.2016 zeigt die TH Köln in der Claudiusstraße die Fotoausstellung „Erste Flüchtlingsakademie der Freien Künste“ (EFFK). Zu sehen sind elf großformatige Fotografien des Künstlers Andreas Pohlmann und des Professors Hans-Günther Lindner. Beide begleiteten die erste Aktion der „First Refugee Academy of Arts and Culture“ im November 2015 im Notaufnahmelager Köln Porz-Eil mit der Kamera, bei der auch das Bild der beiden Frauen entstand. Besonders sind nicht nur die mit der Kamera eingefangenen Momente, die Bilder sind auf ihre Weise einzigartig und individuell – nicht reproduzierbar.

Woher das kommt? Während der Aktion „Sichtkontakt“ der EFFK zur ART COLOGNE im April 2016 wurde ein Kontaktabzug aller Bilder der ersten Aktion mit einer Länge von 14 Metern auf dem Barmer Platz in Köln-Deutz ausgestellt. Aber nicht hängend an Wänden – sie wurden auf dem Boden liegend präsentiert. Die Passanten und Passantinnen sollten sogar über Bilder zu laufen, um so ihre ganz eigenen Spuren zu hinterlassen. Jedes Werk, durch Abdrücke und Wettereinflüsse einzigartig, schmückt nun noch bis zum 30.06.2016 das historische Treppenhaus der TH Köln.

 

Die Ausstellung eröffnete Sylvia Heuchemer, Vizepräsidentin für Lehre und Studium der TH Köln. Sie erklärte, warum gerade die TH Köln an diesen Bildern interessiert ist: „Als Hochschule müssen und wollen wir zur Integration von Flüchtlingen beitragen. Deshalb unterstützen wir unter anderem die von Hermann Josef Hack und Andreas Pohlmann gegründete ‚Erste Flüchtlingsakademie der Freien Künste‘.“ Die Studierenden sollen zu einem Denkprozess über Fragen wie: „Brauchen wir neue Bildungsformate? Was kann Bildung zur besseren gegenseitigen Verständigung und Integration von Geflüchteten beitragen? Und was ist deutsch?“ angeregt werden. Bestenfalls entwickelt sich daraus ein Diskurs unter den Studierenden und in der Öffentlichkeit.

Die Bilder, die die Geflüchteten während des ersten Projekts der EFFK anfertigten, sind nicht zu sehen. Sie sind derzeit eingelagert und sollen zusammen mit weiteren Bilder, die Flüchtlinge im Libanon malten, im Reichstagsgebäude in Berlin ausgestellt werden. Der Antrag dafür läuft.

 

Pohlmann und Hack, die die Akademie 2015 gründeten, beschäftigen sich schon seit Jahren mit dem Thema der Flucht, bedingt durch Klimawandel oder Kriegszustände. Hack rief bereits 1991 das „Global Brainstorming Project“ ins Leben, ein globaler Think-Tank, der sich mit Fragen des sozialen Wandels in Zeiten der Globalisierung, beschäftigt.

 

Weitere Projekte dieser Art in Sri Lanka, Peru und dem Libanon folgten und mündeten im September 2015 in der Gründung der EFFK in Deutschland. Die Akademie versteht sich als Kunst- und Leuchtturmprojekt. Ideen sollen aufgegriffen und multipliziert, der öffentliche Diskurs zur Flüchtlingsdebatte dabei angeregt werden.

„Kultur ist niemals ein Verlustgeschäft“, so Pohlmann. Die Mischung von Kulturen bringe Dynamik in eine Gesellschaft. Als Kunsthistoriker denkt er dabei auch an die geschichtliche Entwicklung von Kulturen und ihre immerwährende Veränderung, die es schon immer gab und weiterhin geben wird. Die Akademie selbst ist dabei mehr ein „Spiel zwischen virtuell und real“, erklärt Pohlmann.

Bewusst wird auf institutionelle Strukturen verzichtet. Das Wort Akademie kommt schließlich aus dem griechischen und wurde nach einem Hain bei Athen, in dem Platon lehrte, benannt. Eine Philosophenschule also. Im Fall der EFFK kein Ort an dem Wissen von einem Lehrer an Schüler übermittelt, sondern in gemeinsamen Projekten auf Augenhöhe agiert und diskutiert wird.

Der Austausch unter den Geflüchteten soll gefördert werden. Die Kunst dient dabei als Medium, das „per se keine Grenzen kennt und an jedem Ort der Welt die Möglichkeit zur Entfaltung haben muss. Aus Erfahrung mit ersten Pilotprojekten konnten wir belegen, wie Kunst in ihrer Übersprachlichkeit das schnellste und unkomplizierteste Kommunikationsmedium bietet“, so Pohlmann.

Das kann auch Ghufran Ayar bestätigen. Sie ist 20 Jahre alt, 2015 aus Aleppo in Syrien nach Deutschland geflüchtet und erklärt, dass die Akademie vor allem Vorurteile abbauen kann. Bevor sie nach Deutschland kam, studierte sie Architektur und hofft, auch hier bald das Studium fortsetzen zu können. Während der Projekte an der EFFK merkte sie schnell, dass auf Seiten der Deutschen viele falsche Vorstellungen über Flüchtlinge herrschen.

 

Die Frage, ob Ghufran wisse, was ein Smartphone sei, blieb ihr besonders im Gedächtnis. Heute kann sie darüber nur lachen, da sie weiß, dass nicht nur sie in diesem Land viel Neues lernen muss, sondern auch die Menschen aus Deutschland viel über die Geflüchteten. Sie ist der Meinung, dass die EFFK eine gute Möglichkeit bietet, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen: „It is a fun and clever way to connect with people.“

 

Während der Führung durch die Kunstmesse ART COLOGNE im April 2016, als eine Aktion der EFFK, wurde andersherum deutlich, dass auch die Flüchtlinge oftmals falsche Vorstellungen von Menschen aus der westlichen Welt besitzen. Faszinierend für die Besucher war der Anblick eines sehr realistisch nachgebildeten Frauenakts – auf den ersten Blick nicht von einer lebenden Frau zu unterscheiden –Faszinierend aber auch für die Geflüchteten, dass genauso die Europäer vom Anblick dieses Aktes gebannt waren. „Die Akademie ist auch ein Ort, an dem Illusionen aufeinandertreffen“, beschreibt Pohlmann dieses Phänomen.

Interessant ist die Geschichte des „Sichtkontaktabzuges“ – der Kontaktabzug aller Bilder, die während der ersten Aktion der EFFK aufgenommen wurden. Das Original hängt zurzeit im Notflüchtlingslager Köln Porz-Eil und sollte für die Ausstellung auf dem Barmer Platz im April diesen Jahres abgenommen werden. Die Geflüchteten erhoben Einspruch. Sie empfinden das Banner als Zeichen der Freude. Das Werk blieb hängen. Für die Aktion „Sichtkontakt“ zur ART COLOGNE wurde ein Abzug hergestellt, der nun, durch Spuren der Besucher erweitert, in der TH Köln zu sehen ist. Das Beispiel zeigt, dass die Akademie auch Identität stiften und Hoffnung geben kann.

Als nächstes plant die EFFK ein langfristig angelegtes Projekt, das am 17.06.2016 in Siegburg startete. Die Akademie ruft jeden dazu auf, als Zeichen von Aufgeschlossenheit einen Schlüssel als Symbol zu tragen. Für die beiden Künstler ist wichtig, dass sich viele Menschen beteiligen um zu signalisieren, „dass man keine Angst hat und bereit ist, auf fremde Menschen zuzugehen und diese bei uns willkommen zu heißen.“

Mehr im Netz
www.erstefluechtlingsakademie.de

 

Text: Lisa Stiemer

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