Welche Südstadt wollt Ihr?
Montag, 14. März 2011 | Text: Doro Hohengarten | Bild: Dirk Gebhardt / DesignWork
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Ist euch was aufgefallen im Veedel? Habt ihr die Enddreißigerinnen in feinen Lederstiefeln bemerkt, die neuerdings ihre Bugaboo-Kinderwägen über den Ubierring schieben? Seht ihr die Männer in Anzügen und Barbour-Jacken, die vor Massimo auf der Alteburger Straße ihre SUV-Geländelimos in zweiter Reihe parken? Habt ihr die hippen Boutiquen und Cafés à la Café Brause wahrgenommen, in denen sich neben Musikern und Fensterputzern jetzt auch Laptop-Arbeiter und Design-Mamis treffen? Gehört ihr vielleicht sogar dazu, zu diesen „neuen“ Südstädtern?
Die Südstadt ist anders geworden. Das, gähn, ist eine Binsenweisheit. Man hört sie in jedem Jahrzehnt genau aus dem Mund derjenigen, die gerade auf dem absteigenden Ast sitzen. „Früher war alles besser“, sagten schon die Alt-Kölschen, als sich in den 60ern die Türken und Italiener entlang der Mainzer Straße und am Zugweg ansiedelten. Die sagten wahrscheinlich dasselbe zu den Hippies und Häuserkämpfern der 70er und 80er, die dann selbst älter wurden und die kluge Erkenntnis an Studenten weitergaben, die Anfang der 90er hier her zogen. Jetzt sind die Studenten etabliert, wundern sich über die neusten Entwicklungen und schreiben Sätze wie „Die Südstadt ist anders geworden“. Dabei ist das Kommen und Gehen doch normal, Stadt ist immerwährender Wandel, und Wandel ist gut.
Oder ist die Südstadt in den letzten Jahren anders anders geworden? Lässt sich das Gefühl in Zahlen belegen, dass sie nicht nur von Jahr zu Jahr edler, teurer, sauberer wird, sondern dass sie das schneller, umfassender tut als bisher? Dass sich die Mischung in unserem Stadtteil, die geliebte Vielfalt gerade extrem verändert? Ist die Südstadt dabei, endgültig „gentrifiziert“ zu werden?
Das Wort „Gentrifizierung“ benutzen Stadtplaner, Architekten und Soziologen, um einen spannenden Prozess zu beschreiben: Die Veredelung eines Stadtteils. „Gentry“ ist Englisch und bedeutet niederer Adel. Am Anfang steht ein zentral gelegener Stadtteil – zum Beispiel die Südstadt der frühen 70er Jahre. Dieser Stadtteil ist ziemlich runtergekommen und hat einen Anteil an sozial schwachen Bewohnern (oft auch Migranten), der gemeinhin als „ungünstig hoch“ bezeichnet wird. Kurz: so eine Art ein sozialer Brennpunkt. Dieser Stadtteil lockt wegen billiger Mieten für Altbauwohnungen, Leerstand und der Lage erstmal Künstler, Studenten, Kreative an. Er bietet Gestaltungsraum z.B. auch für die Schwulenszene. Die „erste Garde“ der Gentrifizierer macht den Stadtteil attraktiv: Sie begründet mit Theatern, Kunstevents, Galerien, Musik, kleinen Geschäften und Kneipen eine lebendige Subkultur.
Dadurch gewinnt das Viertel an Attraktivität – für Besucher, Gewerbetreibende und Wohninteressierte. Die Nachfrage nach Wohn- und Arbeitsraum steigt, die Mieten ziehen nach – erst langsam, dann immer schneller. Im Laufe der Jahre wird parallel dazu aus Teilen der einst mittellosen ersten Garde eine bemittelte Mittelklasse. Sie kann sich höhere Mieten leisten oder sogar Wohnungen kaufen. Für Hausbesitzer lohnt sich dank höherer Mieteinnahmen bald die Investition in ihre Häuser, es wird renoviert und saniert.
Die allgemeine Aufwertung hat Folgen: Der Stadtteil zieht kaufkräftigere Bewohner an, die Geld nicht nur in die Subkultur, sondern auch in neu entstehende Geschäfte und Lokale tragen können. Bald beginnt das Immobiliengeschäft zu boomen – Wohnungen und Häuser werden als Wertanlage um-, aus- und neu gebaut: Rheinauhafen, Kartäuserhöfe, Waidmarkt, Alteburger Straße, Titusstraße.
Die Kehrseite der Medaille: Durch die Aufwertung können sich sozial Schwächere das Leben in diesem Stadtteil oft nicht mehr leisten. Kinderreiche Familien, Arbeiter oder Arbeitslose, Rentner, Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen, Multijobber, viele Migranten, Schauspieler – für sie (und ironischerweise auch für zahlreiche Mitglieder der „ersten Garde“) wird erschwinglicher Wohn- und Arbeitsraum knapp. Wenn sie ausziehen müssen, ziehen sie in einen anderen Stadtteil.
Geht es nach Andrej Holm und Christoph Twickel, dann sind wir längst verloren. Die beiden Autoren, die in Deutschland die Bücher über oder besser gegen Gentrifizierung geschrieben haben, sind sich einig: Die Kölner Südstadt gilt als Musterbeispiel für eine (auch noch öffentlich geförderte) Veredelung inklusive Verdrängung.
Stimmt das so? Sind wir längst eine Art besseres Lindenthal geworden? Und wenn ja: Wäre das so schlimm? Wir verfügen über eine Handvoll beliebter Theater und Clubs, die Kinderoper, ein Bürgerhaus, ein Dutzend Galerien. Wir können durch drei Parks und Biosupermärkte flanieren, von der indischen Samosa bis zum wallonischen Wachtelei alles essen, was das hungrige Herz begehrt. Wir können bei sympathischen Einzelhändlern buntgefleckte Teebecher, handgeschöpftes Papier und Röcke in Kleinstauflagen erstehen. Die Bürgersteige sind breiter geworden, der Staub des U-Bahn-Baus hat sich gelegt. Wir haben KiTas und Schulen, zu denen sogar Nippeser und Marienburger ihre Kinder karren. Definitiv begrüßen wir, dass Menschen in der Südstadt nicht mehr in Bruchbuden leben müssen. Am Stollwerck und auf der Elsaßstraße gibt es sozialen Wohnungsbau, auf der Annostraße ein Riesenheim für Obdachlose. Auf den Straßen bewegt sich ein bunter Ethno-Mix.
Gefällt uns die Südstadt so wie sie ist – oder wollen wir sie anders? Wie hat sie sich in den letzten Jahren verändert – wer und was verändert sie im Moment? Wollen wir sie erhalten – aber wie? Wenn wir sie so mögen, wie sie ist – wer gefährdet, dass sie so bleibt? Wie können wir sie selbst mitgestalteten – und wollen wir das überhaupt?
Das alles sind Fragen, denen wir in den kommenden Wochen auf „Meine Südstadt“ nachgehen wollen – für und mit euch. „Eine Südstadt für alle!“ heißt unsere mehrwöchige Themenreihe, die mit diesem Artikel auf „Meine Südstadt“ startet.
Morgen (Donnerstag) werdet Ihr lesen, was Stadtführer Jo Firmenich über den Wandel der Südstadt denkt. Und nächste Woche gehen wir der Frage nach: Was kostet Wohnen in der Südstadt? Wie hat sich die Bevölkerung verändert?
Diskutiert mit – denn der Name ist Programm! Ihr seid die Stadt!
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