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Kultur

Wenn der Mob mordet

Mittwoch, 18. Oktober 2017 | Text: Alida Pisu | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Blut ist geflossen, viel Blut sogar, das wird schon beim ersten Blick deutlich. Wenn man den blutüberströmten, weißen Schlachtblock sieht, in dem eine Axt steckt. Wer aber als Opfer zum Schlachtblock geführt wurde und wer zugeschlagen hat, das verrät das Bühnenbild nicht. Doch es wird schnell klar, als Fassbinders Stück „Katzelmacher“ ausgerechnet mit einem Kirchenlied „Großer Gott, wir loben dich.“, seinen Auftakt nimmt, um irgendwann im Massenwahn und mit einem Gewaltexzess zu enden. Mit der Verfilmung des Stoffes gelang Fassbinder vor knapp fünfzig Jahren der künstlerische Durchbruch. Es war eine Zeit, in der Gastarbeiter als „Spaghettifresser“, „Kümmeltürken“ oder eben auch „Katzelmacher“ verunglimpft wurden und der Fremdenhass sich in der Zivilgesellschaft zumeist auf verbale Entgleisungen beschränkte.

Heutzutage zeigt er sich auch in weitaus brutaleren Varianten. So ist es nur folgerichtig, dass in der aktualisierten Version, die am „Theater Der Keller“ Premiere feierte, nicht der griechische Gastarbeiter Jorgos, sondern die afrikanische Flüchtlingsfrau Akilah (Davina Donaldson) im Mittelpunkt steht. Sie, die vom Arbeitsamt als billige Arbeitskraft zur Metzgerin Elisabeth (Thekla Viloo Fliesberg) geschickt wurde. Deren wuchtig körperliche Präsenz wird noch unterstrichen durch einen blutbesudelten Kittel und die Kraft, mit der sie die Axt schwingen oder auch Bruno (Paul Behrens) auf den Leib rücken kann. Bruno, in den sie hoffnungslos verliebt ist, der aber nur noch Augen für Akilah hat.

 

„Aller Augen starren sie an“ / Foto: Meyer Originals

Elisabeth und Bruno sind Teil einer Clique junger Leute, die sich regelmäßig trifft. Paul (Markus J. Bachmann) und Helga (Katharina Abel) sind ein Paar. Helga ist schwanger, Paul lehnt das Kind ab, will eine Abtreibung. Oder Helga ermorden. Zimperlich ist er wirklich nicht. Ingrid (Tatjana Poloczek) will unbedingt als Sängerin Karriere machen. Kneipenwirtin Gunda (Lina Spieht) wartet auf Kundschaft und hat sich ein Akkordeon umgeschnallt, mit dessen Tönen sie das Geschehen kommentiert. Der Kölsch sprechende Franz (Gareth Charles) und der lässige Erich (Jan-Niklas Stephan) komplettieren die Clique. Sie lehnen nebeneinander an der Wand, zünden sich mit synchronen Bewegungen ihre Zigaretten an, sehen furchtbar gelangweilt aus, rauchen –  und plötzlich steht ihnen eine farbige Frau gegenüber. Aller Augen starren sie an, erst ängstlich, schließlich unverhohlen lüstern, ihre Bewegungen vereinen sich, sie sind nur noch Mob-Masse, weichen zurück, wenn Akilah auf sie zugeht. Mit Fremden will man nichts zu tun haben. Man kennt sie nicht, weiß nichts über sie, aber egal, dann setzt man halt Gerüchte in die Welt. Und bald weiß es dann jeder, was sie für eine ist. Eine Schlampe und Nutte, die es mit Bruno treibt.

Wo fängt die Vernichtung eines Menschen an? Vielleicht hat sie viel mit Grenzen zu tun. Wollen wir es der doch mal zeigen, die es gewagt hat, über die Grenze zu kommen, um sich hier festzusetzen. Der Mob überschreitet permanent verbale und körperliche Grenzen, bedroht, betascht, bedrängt Akilah. Ebenso Bruno, der als „Negerficker“ immer mehr zum Außenseiter wird. Der Mob setzt aber auch massive Grenzen. Beim Friedensgruß in der Kirche schütteln sich alle die Hände, einzig Akilah, die verzweifelt versucht, dazu zu gehören, wird ausgegrenzt. Ihr reicht niemand die Hand. In dieser Inszenierung sind auch räumlich die Grenzen stets eindeutig: da die Afrikanerin, hier wir. Ein gemeinsames Wir? Nicht einmal denkbar. Es hat schon etwas Aberwitziges, das selbst das Christentum als Botschaft des  Friedens es nicht schafft, Grenzen zu überwinden, sondern als heuchlerische Phrase daherkommt. Denn: „Der Flüchtling muss weg!“, so heißt es bald.

 

Ein gemeinsames Wir? / Foto: Meyer Originals

Gewiss könnte man sich mit Grausen von diesen Mob-Menschen abwenden und sie als nur monströs sehen. Allerdings übersieht man dabei, dass sie alle auch in ihren Grenzen gefangen sind. In ihren Leben passiert nichts Aufregendes. Obwohl noch so jung, haben sie kaum noch etwas vom Leben zu erwarten. Sie können sich hinein träumen in ein Leben als gefeierte Sängerin oder ein Leben in Liebe an der Seite Brunos, nach dem Elisabeth sich verzehrt. Aber man weiß; außer dumpfer Verzweiflung wird Helga, wird Elisabeth, wird Bruno nichts bleiben. Diese Brüche werden erst sichtbar durch Akilah, durch die schöne Fremde, die mit ihrer Fremdheit alles in Frage stellt. Die die Männer geil und die Frauen neidisch macht. Sie, die so unbedeutend sind, dass sie sich nur im Mob stark und mächtig fühlen.

Was schockierend ist: die Aktualität und Brisanz, die ein fast fünfzig Jahre altes Stück heute noch hat. Doch auch die Gewalt, die sich immer ungezügelter Bahn bricht. Auch wenn Akilah nicht getötet wird, sondern überlebt und die Stadt verlässt. Sie, um die sich alles drehte, hatte so gut wie keine Stimme, musste zusehen, erleiden, über sich ergehen lassen, kam als Opfer und blieb auch Opfer. Kalt ist es in Deutschland, viel kälter als in Afrika.

Die Elisabeths, Pauls und wie sie alle heißen, können wieder an der Wand lehnen, sich eine Zigarette anzünden. So, als wäre nichts geschehen.
Nils Daniel Finckh hat eine durchchoreographierte Inszenierung geschaffen, die Schlag auf Schlag getaktet ist. Tempo, Aggression, Gewalt. Es gibt kaum zarte Momente. Sie schimmern nur dann durch, wenn die jungen Leute aus der Clique einander ihre Nöte anvertrauen. Fast könnte man dann mit ihnen fühlen und sie bedauern, aber nur fast. Das homogene Ensemble besteht aus Schülern der Schauspielschule, die alle miteinander in der Darstellung der inneren Zerrissenheiten und des „böse Seins“ überzeugen konnten.  

Bravorufe und donnernder Applaus beenden einen Abend über ein Lehrstück zu Hass und Gewalt.

 

„Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder
Regie: Nils Daniel Finckh
Mit: Katharina Abel, Markus J. Bachmann, Paul Behrens, Davina Donaldson, Thekla Viloo Fliesberg, Tatjana Poloczek, Lina Spieth, Jan-Niklas Stephan, Gareth Charles

Theater der Keller, Kleingedankstraße 6, 50677 Köln??

Weitere Termine: 21. Oktober, 01., 03., 15., 28. November, 03., 12., 23. Dezember 2017

Text: Alida Pisu

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