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Kolumne

Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!

Mittwoch, 21. September 2011 | Text: be süd

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Man glaubt man weiß wer man ist. Schließlich kennen wir uns selbst länger als alle anderen. Doch dann stellen wir überraschend fest, dass es mehr „Ichs“ gibt als wir dachten…
Als Bi hat man es nicht leicht. Man ist „weder noch“ und doch „sowohl, als auch“. Ich bin beides. Ich bin bi. Nein, nicht bisexuell, sondern bimobil! Ich fahre sowohl Auto als auch Fahrrad.

Man glaubt man weiß wer man ist. Schließlich kennen wir uns selbst länger als alle anderen. Doch dann stellen wir überraschend fest, dass es mehr „Ichs“ gibt als wir dachten…
Als Bi hat man es nicht leicht. Man ist „weder noch“ und doch „sowohl, als auch“. Ich bin beides. Ich bin bi. Nein, nicht bisexuell, sondern bimobil! Ich fahre sowohl Auto als auch Fahrrad.
Mein liebstes Gefährt im Viertel ist das Fahrrad. Ich liebe es, gelassen durch die Südstadt zu fahren. Es könnte alles so schön sein, wenn ich nicht ständig von Autoidioten zum Bremsen gezwungen werden würde. Manche Fahrer haben ein Rad ab! Letzte Woche erlebte (überlebte) ich drei Geisterfahrer am Eierplätzchen. Zwei Kölner, die eine Abkürzung suchten (das Eierplätzchen ist ja sooo groß!) und einen Imi, der das Eierplätzchen nicht als Kreisverkehr erkannte.
Was ist eigentlich los auf unseren Straßen? Täglich werde ich von den Autofahrern geärgert. Auf der Teutoburger Straße fährt ein Auto so nah hinter mir, dass ich den Atem des Fahrers im Nacken spüre. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Flucht auf den Bürgersteig zu ergreifen. Auf der Bonner Straße schneiden sie mir immer wieder den Weg ab, und an Zebrastreifen scheinen viele zu glauben, diese wären Kunst. Wo sind unsere Straßenmanieren geblieben? Wären alle Bifahrer, hätten wir vielleicht weniger Probleme…
Des deutschen liebstes Kind ist….. das Auto! Sie sind teuer, aber wir pflegen sie, als wären sie unsere eigenen Babys. Wir müssen zwar Parkscheine kaufen, aber das gibt uns das Gefühl, wir gehören hierhin! Gestatten, wir finden nach 19:00 keinen Parkplatz mehr und müssen unsere Ehrenrunde drehen: Das nehmen wir in Kauf. Wir kriegen Knöllchen, weil wir falsch geparkt haben: tja, Schwund ist überall. Autos bedeuten für die meisten: Freiheit! Schnelligkeit! Macht! So schreibt uns es die Werbung vor.
Wenn man mich fragt, wie ich fahre, sage ich, „Super!“ Ich habe meinen Führerschein seit Jahren und habe noch nie einen Unfall gehabt (wie viele ich verursacht habe, weiß ich nicht). Ich bin ein begeisterter Autofahrer. Ich bin auch talentiert. Ich kann, während ich meine Mailbox abhöre, mit meinen Oberschenkeln fahren! Ich gehöre auf gar keinen Fall zu den Autoidioten – ich doch nicht!
Doch kürzlich passierte etwas, was mein Bild über mich und meine Fahrtalente sehr veränderte. Ich sollte beruflich nach Holland. Vergiss die Benzinpreise, vergiss den Stau, vergiss meinen Hund, mein Auto ist mein bester Freund! Es gibt nichts Schöneres für passionierte Autofahrer als die deutschen Autobahnen! Es werden sogar Autobahntouren für japanische und amerikanische Touristen angeboten, die einmal im Leben ohne Tempo-Limit fahren wollen.
Ich steige ins Auto und fühle mich geborgen. Als erstes mache ich das Radio an. Die Musik beflügelt mich, und während ich mich anschnalle und lautstark singe (es gibt „Duschsänger“, ich aber bin ein „Autosänger“) hole ich einen Kollegen ab und wir fahren los.
An einer roten Ampel, kurz vorm Verteiler, schaue ich rüber zum Fahrer auf der benachbarten Spur. Plötzlich passiert etwas Sonderbares. Wie in Zeitlupe lecke ich meine Lippen und drehe meinen Kopf Richtung Fahrbahn. Mein Blick erstarrt, meine Finger suchen den Radioknopf, die Musik wird lauter, meine Hände greifen das Lenkrad noch fester, so fest, dass meine Fingergelenke weiß hervortreten. Mein Mund zieht sich zu einem geraden Strich. Das Adrenalin strömt durch meinen ganzen Körper, bis es schmerzt. Während ich krampfhaft versuche, mit meinem Blick, die rote Ampel grün werden zu lassen, stehen mir wie bei einem Kampfhund die Nackenhaare zu Berge. Mein Herz schlägt schneller! Meine Nasenflügel pumpen. Extrem heiße Luft verlässt meinen Körper. Mein Fuß befindet sich in der Startposition und fühlt sich schwer wie Blei an. Ich drehe den Kopf nochmal langsam Richtung Kontrahent, unsere Blick treffen sich, es ist alles klar, er befindet sich im gleichen Film: Es kann nur einen geben. Mann gegen Mann! Auto gegen Auto! Ich habe nur einen Gedanken, ich muss gewinnen!
Die Ampel bleibt eine gefühlte Ewigkeit rot. Ich werde immer steifer…. dann, auf einmal, wird es grün, und mit quietschenden Reifen, fahren wir los. Meine Blechbüchse ist besser und schneller. Ich vergesse die Straßenregeln und fahre wie ein Henker, Spuren wechselnd in Richtung Auffahrt. In diesem Moment bin ich der Chef, ich fühle mich unbesiegbar. Ein angenehmes Kribbeln strömt durch meinen Körper und ich genieße die Macht. Ich schaue in den Rückspiegel und sehe ihn hinter mir und dann…oh nein: Vor meinen Augen mutiere ich von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde!
Wieso eigentlich? Ist das normal? Was passiert in unserem Gehirn, sobald wir in einem Auto sitzen? Wieso werde ich von einem freundlichen Fahrradfahrer zu einem rasenden Auto Depp?
Da bezahlen wir eine Menge Geld für unseren Fahrunterricht, verbringen Monate damit, die Theorie zu lernen, fahren mustergültig, aber sobald wir den Schein in der Tasche haben, rasen wir los und werden Straßenterroristen! Man könnte meinen, wir hätten unseren Führerschein im Sonderangebot gekauft! Mit Schrecken stelle ich fest, dass ich genau einer von denen bin, die ich immer so beschimpfe. Hilfe – ich bin eine Gefahr für die Allgemeinheit! Wieso werde auch ich zum rasenden Straßen-Asi?
Forscher haben herausgefunden, dass es mehrere Gründe für unser aggressives Fahrverhalten gibt – ein allgemein steigender, gesellschaftlicher Druck, steigende Leistungsforderungen bei der Arbeit, Angst um den Arbeitsplatz, steigende Wohnkosten, Existenzängste, Umweltgefahren, wirtschaftliche Not und das böse S-Wort (Stress)! Durch den Druck auf das Gaspedal, das Abdrängen oder Überholen anderer, wird der Stress abgebaut. Außerdem fühlt sich der Autofahrer im schützenden Bleigehäuse anonym….
Was kann ich dagegen tun? Dr. Jörg- Peter Schröder, Arzt und Coach aus dem rheinland-pfälzischen Bubenheim , der Autor mehrerer Bücher über Stressmanagement, rät: „ Ein Ventil für ihre Gefühle finden Betroffene, indem sie zum Beispiel laut schreien oder einen Anti-Stress-Ball drücken. Zudem sollten sie tief durchatmen und versuchen, Abstand zur Situation zu bekommen“ (www.gesundheitsnews.imedo.de)
Gut, wer mit dem Oberschenkel fahren kann, kann auch einen Anti-Stress-Ball beim Fahren drücken und lautstark singen sowieso. Aber so schlimm bin ich doch nicht. Oder? Ich fahre von der Autobahn ab und merke, dass mein Beifahrer seit Stunden nichts mehr gesagt hat. Ist er eingeschlafen? An einer Ampel schaue ich ihn an und staune: Er sitzt kreidebleich und stocksteif neben mir! Was ist, frage ich ihn, hast du einen Geist gesehen? Er entspannt sich langsam, sehr langsam und dann höre ich wie er sagt: „Du, ich fahre lieber zurück!“
Tja, wer im Glashaus sitzt, sollte wohl lieber nicht mit Steinen werfen…

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