Wir hätten auch gern Sex
Montag, 5. Februar 2018 | Text: Reinhard Lüke
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Reden wir mal über Sex. Ganz pragmatisch. Wir von »Meine Südstadt« wollen endlich auch Opfer von sexuellen Übergriffen finden. Gern einen Täter gleich dazu. Das Ganze möglichst exklusiv. Wo sich alle Zeitungen, boulevardeske TV- Formate und Online-Pattfomen derzeit einen absurden Wettstreit liefern, die nächsten Missbrauchsopfer aus der Filmbranche zu präsentieren, wollen wir als kleines Lokalmedium nicht weiter hintanstehen. Also meldet euch, ihr Südstadt-Frauen, die ihr irgendwann Opfer von sexueller Gewalt geworden seid! Aber jetzt bitte nicht irgendwelche Nobodys, die keine Sau kennt. Ein gewisser VIP-Status muss schon sein. Auch Südstadtgröße reicht da nicht. Nun gut, mit Filmstars ist unser Veedel nicht übermäßig gesegnet. Aber wie wäre es denn, wenn uns Mariele Millowitsch mal exklusiv schildern könnte, wie sie einst von Regisseur Kaspar Heidelbach zum Vorsprechen im Bademantel empfangen wurde? Umgekehrt ginge natürlich auch. Würde unsere Klickzahlen vermutlich gigantisch steigern. Schweinisch menschenverachtendes Kalkül? Genau.
Bitte keine Zimmermädchen
Aber so sieht´s doch derzeit aus. Zumindest habe ich nicht den Eindruck, dass der ganze Hype um #MeToo und Typen wie Weinstein, Spacey und Wedel dazu angetan ist, Fragen der Sexualität im Allgemeinen und solche der sexuelle Gewalt im Besonderen zu erörtern, sondern es vornehmlich ums Schlüsselloch-Geifern nach pikanten Promi-Fehltritten geht. Heike-Melba Fendel, Betreiberin der Kölner Schauspieler-Agentur Barbarella hat neulich im Radio erzählt, dass bei ihr derzeit täglich mehrere Redakteure durchaus seriöser Zeitungen nachfragen, ob sie aus ihrer Kundenkartei nicht noch irgendein halbwegs prominentes Missbrauchsopfer zu bieten habe. Bevor jetzt ein Sturm der Entrüstung losbricht: Es geht mir nicht darum, die fraglos üblen Übergriffe zu relativieren sondern um die lüstern-voyeuristische Berichterstattung, die sich vielfach auch noch das Deckmäntelchen der Betroffenheit überwirft. Erinnert sich noch wer an Dominique Strauss-Kahn? Der damalige IWF-Boss hatte sich 2011 in einem New York Hotel einer Frau höchst ungebührlich genähert. Sorgte ja vorübergehend auch für einigen Wirbel. In erster Linie, weil die Amis sich erlaubt hatten, den prominenten Schwerenöter vorübergehend einzubuchten. Aber der mediale Hype war dann auch schnell wieder vorbei. Könnte mit dem VIP-Satus des Opfers zu tun gehabt haben. War nur ein Zimmermädchen.
Ran mit Verwegenheit
Aber was soll´s. Ist ja erstmal Karneval. Und da ist man doch vor derlei Unbill sicher. Obwohl. „Hast du zum Küssen Gelegenheit, Mensch dann geh´ ran mit Verwegenheit…“. Ist das noch pc oder landet Jupp Schmitz´ Gassenhauer demnächst womöglich auf dem Index? Wo inzwischen in Manchester Jahrhunderte alte Gemälde wegen Sexismusverdachts aus Museen entfernt werden, in Berlin aus demselben Grund ein wahrlich schweinisches Gedicht (auf Deutsch: „Alleen/Alleen und Blumen/ Blumen/ Blumen und Frauen/ Alleen/ Alleen und Frauen/ Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“) auf einer Hauswand übermalt wird und Menschen allen Ernstes fordern, alle jemals von Weinstein produzierten Filme für immer unzugänglich zu machen, muss man ja mit allem rechnen. Werden demnächst auch wieder Bücher verbrannt? Mit Houllebecq anfangen? Die Schriften von Catherine Millet auch? Ist doch ne Frau.
Meteorit im Anmarsch
Aber wird schon alles nicht so schlimm werden. Stürzen wir uns erstmal in das närrische Treiben und gehen davon aus, dass Aschermittwoch wieder alles vorbei ist. Und Schmitz´ Texter Hans Jonen war ja immerhin so clever, nicht Männer sondern Menschen zum verwegenen Rangehen zu animieren. Das Lied ist also unisex. Mich überkommt im Zusammenhang mit Aschermittwoch allerdings regelmäßig die Frage, was eigentlich wäre, wenn es da nicht nur mit Humbahumba sondern mit allem vorbei wäre. Aus, Ende. Mal angenommen, da wäre nach Auskunft zuverlässiger Quellen ein dicker Meteorit im Anmarsch, dessen Einschlag in fünf Tagen der Erdball nicht überstehen würde. Apokalypse mit Ansage sozusagen. Was wäre da los im Veedel? Denke nicht, dass da bei NeuLand noch irgendwer ein Apfelbäumchen pflanzen würde. Der erste Schritt wäre vermutlich der zum Bankautomaten. Alle verfügbare Kohle abräumen. (Die Sparkassen selbst blieben vermutlich geschlossen.) Dann hoffen, dass noch irgendwelche Angestellten sinnlos Supermärkte am Laufen halten, damit man sich mit Futter und Alk (Vermutlich reicht Alk) für den Rest des Lebens eindecken könnte. Konventionell oder Bio? Irre Frage. Sollten die Läden zu haben, müsste man halt plündern. Verboten? Haha.
Baccantisches Gerammel?
Würde Rheinenergie noch Strom liefern, der FC weiterhin gegen den Abstieg trainieren und würden Busse und Bahnen fahren? Kaum. Und wer sich zum Flughafen aufmachte, um sein letztes Stündlein in sonnigeren Gefilden zu erleben, kämen wohl auch nicht mehr in die Luft. Wer sollte warum noch freudlose Jobs machen? Das Internet würde nach Stunden unwiderruflich kollabieren. Bei Stromausfall kein Problem. Handy noch rechtzeitig geladen? Gäbe es da noch redliche Polizeibeamte ohne Streikrecht, die sich um Recht und Ordnung sorgten? Müssten dabei wohl von der Schusswaffe Gebrauch machen. Stiege die Suizidrate? Machten Ärzte, Krankenhäuser und Bestatter in der Situation noch Sinn? Kirchen ja. Müssten die Pfaffen ihren ratlosen Schäfchen vermutlich rund um die Uhr wieder einmal erklären, dass die Wege des Herrn unergründlich sind. So doch noch Strom da wäre, sendete der WDR womöglich ein Notprogramm, in dem Intendant Tom Buhrow in Endlosschleife erklärt, warum er wesentlich mehr verdient (hat) als die Kanzlerin und zwischendurch spielt das Rundfunksymphonie-Orchester irgendwas was aus „Titanic“. Teleshopping bliebe auch auf Sendung. Da bin ich mir sicher. Und wir Normalsterblichen? Fallen wir dann aufs Bonobo-Stadium zurück, ergehen uns unverhütet in bacchantischer, sexueller Raserei, rammeln, pinkeln, kotzen, wo uns gerade danach ist? Aber ist ja kein Meteorit in Sicht. Also Aschermittwoch wie immer. Bis dahin erfreue ich mich an den immer skurriler werdenden Kämpfen um „Bunt im Block“ und an dem Umstand, dass zunehmend mehr Menschen dem Convenience-Food abschwören und auf Selbstversorgung umstellen. Die Zahl der deutschen Jagdschein-Besitzer ist auch im vergangenen Jahr wieder deutlich gestiegen.
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