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„Wir läuten vom Wesentlichen“

Dienstag, 24. Mai 2011 | Text: Sonja Alexa Schmitz | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Eigentlich wollte ich darüber berichten, dass Sankt Severin und die Lutherkirche ihr Haupt erneuert haben. Die Lutherkirche hat einen neuen Eichenholz-Glockenstuhl bekommen, da der alte aus Stahl durchgerostet war. Die Severinskirche hat, wie monatelang zu sehen war, ihren Turm restauriert, sprich: alle Mauerfugen ausgefräst und neu verfugt, die Turmöffnungen des Glockenstuhls mit neuen Schalljalousien versehen, die äußere Fassade mit Mauerankern statisch gesichert und das Schieferdach neu gedeckt. Zudem wurde das Kreuz restauriert.

 

Darüber könnte man sehr ausführlich berichten. Ich nahm mir vor, das zu tun, aber dann, im Gespräch mit Pfarrer Hans Mörtter von der Lutherkirche, kam alles anders. Eigentlich war es eine Art Predigt, die er mir hielt. Eine schöne. So eine, bei der man Gänsehaut bekommt. Ich hatte mir vorgenommen, nach der Bedeutung der Glocken für die Kirche zu fragen, und gehofft, er würde nicht nur mit einem Satz antworten. Ich brauchte nicht mal zu fragen…

 

Aber erst zu den Fakten: Die Glocken der Lutherkirche sind von 1922. Im Krieg, am 13. Oktober 1944, wurde zwar der Turm zur Hälfte zerstört, so dass er von 68 auf 35 Meter geschrumpft ist, aber die Glocken blieben unversehrt. Der stählerne Glockenstuhl, der damals eingebaut wurde, hielt nicht so lange wie erhofft. Rost hat ihn bis heute so stark beschädigt, dass im letzten Jahr nur noch zwei der drei Glocken geläutet wurden. Mörtter: „Zwei Glocken ist fimmschig. Wenn der Bass fehlt, ist das nix!“

 

 

Drei Monate lang schwiegen die Glocken komplett, bis nun in einer aufwändigen Aktion der neue 68.000 Euro wertvolle Eichenholz-Glockenstuhl eingebaut wurde. Das Geld dafür kommt aus Kirchensteuergeldern. Einige Anwohner haben sich wohl gefreut, drei Monate lang Ruhe vor dem Glockenläuten zu haben. Sie haben wohl nicht verstanden, was mir heute noch mal bewusst gemacht wurde.

 

Glockenläuten hat mich bis heute immer eher leicht, friedvoll, festlich gestimmt. Warum das so ist, kann ich mir nur teilweise beantworten. Pfarrer Mörtter erklärt mir: „Glocken erinnern dich daran innezuhalten. Wenn sie mittags um zwölf läuten, dann heißt das: Mach ’ne Pause! Setz dich hin, trink ’nen Cappuccino! Wenn Sie am Abend um 19 Uhr ertönen, dann um dir zu sagen: Halt an! Nimm dir jetzt Zeit für dich! Für deinen Partner! Sieben Uhr ist außerdem die Zeit, zu der viele Kinder zu Bett gehen. Es ist ein Ritual für sie, sich mit dem Glockenläuten bettfertig zu machen. Und am Samstag abend läuten sie, um dich auf den Sonntag vorzubereiten. Am siebten Tag sollst du das Leben wahr nehmen!“ Die Glocken bedeuten Sicherheit. Sicherheit durch Kontinuität. Und Sicherheit durch das Gefühl, hier wird dir geholfen. „Wenn du in der Scheiße steckst, dann ist hier ein Ort, an den du gehen kannst“.

 

Kontinuität steckt auch in der Geschichte. Als der Turm im Krieg zerstört wurde, wollte man ihn wieder auf seine 68 Meter aufbauen. Die Kirche sagte nein. Der Turm soll ein Mahnmal sein. Man sieht noch die Einschläge, der Turm ist verletzt, die Glocken läuten weiter. Einmal hat ein Anwohner einen Zettel in den Kirchenbriefkasten gesteckt. Darauf stand: „Wenn Ihr die Glocken nicht abstellt, dann trete ich aus der Kirche aus!“ Mörtter antwortete: „Dann trete lieber sofort aus, denn bald werden da sogar sechs Glocken läuten.“

 

Das ist der Plan: Der schon seit jeher für sechs Glocken vorgesehene Glockenstuhl soll endlich seine sechs Glocken bekommen. Aber es wird dann nicht lauter, sondern harmonischer und weicher im Klang. Dafür ist kein staatliches Geld vorgesehen. Das muss die Lutherkirche alleine aufbringen. Dafür heckt Mörtter bereits Pläne aus: Es soll eine CD entstehen mit dem sechsglockigen Läuten. Dazu Musik, improvisiertes Singen. Es wird ihm schon was einfallen, wie er die Menschen begeistern kann von seinem Traum. Wenn dann jemand kritisiert, ob das Geld nicht für sinnvollere Zwecke genutzt werden solle, dann hat er schon eine Antwort parat: „Das eine schließt das andere nicht aus.“  Wenn eines Tages alles zusammen gespart ist und der Auftrag an die Glockengießerei gegeben werden kann, dauert es ein ganzes Jahr bis die Glocken gebaut sind.

 

Ich gehe ziemlich beschwingt aus dem gemütlichen Büro des Pfarrers. Wenn ich demnächst Glocken läuten höre, egal ob von der Lutherkirche oder der Severinskirche oder sonst einem Gotteshaus, dann verstehe ich einmal mehr, was sie mir sagen wollen. Dann gehe ich einen Cappuccino trinken, und denke darüber nach, dass es gar nicht selbstverständlich ist, dass die einfach so läuten. Dahinter stecken Menschen, Überlegungen, Gelder und vor allem ein Gefühl: Geborgenheit.

Text: Sonja Alexa Schmitz

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