„Wir leben alle in Blasen“
Montag, 12. Juli 2010 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Petra Johson
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Die Kölner Künstlerin Petra Johnson stellt auf der Weltausstellung EXPO 2010, die zur Zeit in Shanghai stattfindet, im Liverpool Pavillon die interaktive Skulptur „KIOSK/Xiaomaibu“ vor. Die Idee dahinter beruht auf einer so einfachen wie erstaunlichen Beobachtung: In beiden Städten gibt es eine ausgeprägte und ganz ähnliche Büdchenkultur. Warum also, dachte sich Petra Johnson, versucht man im Zeitalter der Globalisierung nicht, beide Städte auf dieser Ebene miteinander zu vernetzen. Dafür installierte sie in je einem Kiosk in Köln und in Shanghai Webcams. Seit Mai könne sich nun Betreiber und Kunden über tausende Kilometer hinweg zu Einkaufsgepflogenheiten, Warenqualität, Alltagsthemen und großen und kleinen Problemen austauschen. Vom 13. Juli bis zum 1. August 2010 wird das Projekt auf der EXPO auf einer Außenbühne präsentiert. Mit Petra Johnson sprach Nora Koldehoff.
Warum sind Büdchen Kunstorte?
Der Anstoss kam vom Kulturamt Koeln. Liverpool hatte Koeln als Partnerstadt angesprochen mit der Bitte fuer ein Konzept das Koeln in den Liverpool Pavillon auf der EXPO in Shanghai einbringen koennte. Da es bekannt ist, dass ich Verbindungen nach Shanghai und nach England habe, wurde ich angesprochen. Das Konzept stand dann überraschend schnell, und es fühlte sich gut an. Das Brief aus Liverpool schlug vor, dass der Bezug zu ihrer Stadt sein sollte: zu den zwei Kathedralen, den Beatles und so weiter. Die Kathedralen in Shanghai stehen auf Grund der Kolonisierung, in den Kathedralen in Europa hat man früher vor allem Latein gesprochen, Es war da eine Exklusivitaet, die mich herausforderte. Ich suchte einen Bezug zum Alltag in den jeweiligen Städten. So kamen ich und Alexandre Ouairy (ein Kuenstler mit dem ich das Konzept zusammenausgearbeitet habe) auf das Büdchen, das auch den Vorteil hat, dass es die jeweilige Lokalsprache noch pflegt. Das Grundkonzept, das wir aus Geldgründen noch nicht in der Form haben verwirklichen können, beruht auf drei Bausteinen. Das eine ist der Ton, die Sprache, der Dialekt: Kölsch, Scouse und Shanghaihua. Den wollte ich festhalten, bevor es ganz verschwindet. In Shanghai sind innerhalb von vier Jahren sechs, sieben Millionen Bewohner dazugekommen, die Mandarin sprechen, so dass die Lokalsprache immer schneller verschwindet. Dadurch verändert sich auch das Strassenbild. Die beiden anderen Bausteine sind der Videostream, in dem man voneinander lernen und sich austauschen kann, und ein Austausch von Darbietungen und Objekten.
Wenn der Dialekt ein Auswahlkriterium für Ihr Projekt war, könnten also auch andere Städte infrage kommen?
Nein, das betrifft vor allem diese drei, die sozusagen das Grundmodell darstellen. Gestartet ist das Projekt nun mit einer Köln-Shanghai-Leitung. Liverpool ist involviert, indem dort im Bluecoat Art Centre die erste Verknüpfung präsentiert und beobachtet wurde. Jetzt haben wir dort einen festen Partner, Yellow House. George McCain, der schon seit 25 Jahren für Teenager mit Schulproblemen Informal Learning Methoden, aber auch Theater- und Filmprojekte anbietet, will nun in Liverpool einen mobilen Kiosk bauen. Dort gibt es keine Kioske mehr, weil die Geschäfte längere Öffnungszeiten haben. Selbst der traditionelle Cornershop wird immer seltener.
Auch in Köln wird das Geschäft schwieiger, manche Kioskbetreiber arbeiten zusätzlich noch woanders, um ihr Büdchen Kiosk in Gang zu halten. Auch bei uns haben einige Supermärkte ja jetzt bis 0 Uhr geöffnet, da fallen gleich mal etwa 200 Einkommen für die Kioske weg. Sie sind also auch hier bedroht.
Es geht ja um den Austausch von Alltag. Wie oft findet der Livestream statt?
Der Livestream erfordert einiges an Vorbereitung, darum findet er bislang noch nicht jede Woche statt.
Wie haben Sie die Kioske ausgesucht – warum gerade Ehrenfeld?
Das war mehr oder weniger Zufall. Zunächst hatte ich den Kontakt zu einem anderen Kioskbesitzer, der auch sofort von dem Projekt begeistert war. Aber seither hat der Besitzer dreimal gewechselt was auch ein Zeichen für den schweren Stand ist, den viele Büdchen haben. Der neue Besitzer war dann eher skeptisch, empfahl uns aber dann den Kiosk in der Körner Strasse, der einfach ideal ist, sowohl in seiner Architektur und Inneneinrichtung als auch wegen Mahira Ygit Hahn, die ein sehr wichtiger Teil dieses Projektes ist und ihn mit Panache und Charm ausfuellt .
In Shanghai standen wir vor ähnlichen Problemen. Der Betreiber des Kiosks, den wir ausgesucht hatten, hatte im letzten Jahr einen Herzanfall, und das Büdchen musste geschlossen werden. Da mussten wir sehr schnell einen anderen finden.
Irgendwann soll das Projekt aber sehr viele Städte umfassen.
Ja, im Moment bin ich in China mit jemandem im Gespräch, der gern sehr groß denkt und 200 bis 300 Kioske im ganzen Land einbeziehen will. Es ist aber sicher von Vorteil, dass wir mal erst sehr klein angefangen haben. Jetzt, da es angelaufen ist, kommt das Konstrukt gut an und man kann etwas prominenter werden.
Was verbindet Köln-Ehrenfeld denn konkret mit Shanghai?
Der Kiosk in erster Linie. Wir hatten bei der Eröffnung sehr viele Leute auf beiden Seiten. Das war etwas stressig, vor allem für die Kiosk-Besitzer, aber auch sehr lustig. Beim zweiten Livestream haben wir niemanden eingeladen, das war etwas ruhiger. Die Besucher der Kioske wie auch die Kiosk Besitzer unterhielten sich über Ruhestand in Deutschland, in China, die Qualität des Wassers, die Produkte in den Kiosken. Dann machten wir einen dritten Livestream mit einem Kiosk, der von einer achtzigjährigen Frau betrieben wird, die sich damit aktiv halten will. Das war wieder ganz anders. Diesmal waren viele Kinder an beiden Orten, es wurde viel gewunken. Das Projekt soll eigentlich eine Plattform für die Magie des Alltags sein und den Ausdruck Wort Banalitaet hinterfragen.
Also kann man sich den Kiosk auch an jedem anderem Ort vorstellen.
Ja, genau.
Sie haben in Shanghai und England gelebt. Warum leben Sie jetzt in der Südstadt?
Privater Zufall.
Und was bewegt Sie sonst zur Zeit?
Der Kiosk an sich. Die Unterhaltungen und der Austausch, die dort stattfinden. Die Interpretation der Fakten, die dort ausgetauscht werden, sind so unterschiedlich. Zum Beispiel erzählte jemand von einem Straßenfest in der Körnerstrasse. Eine Frau in Shanghai antwortete, dort müsse man um für ein Straßenfest Erlaubnis fragen. Das muss man hier bei uns auch. Aber die Antwort der Frau in Shanghai sagte vor allem: „Bei uns geht so etwas nicht, da müsste man ja um Erlaubnis fragen“. Ein anderes Beispiel: Hier bei uns trinkt man Leitungswasser, dort nicht. Mich würde interessieren, ob die chemische Qualität so unterschiedlich ist, oder nur die Ansprüche andere sind. So geschieht ganz automatisch eine Interpretation von Aussagen, die dann aber auch sofort wieder infrage gestellt werden. Und das ist auch Sinn des Projektes. Wir leben alle in Blasen.
Mehr dazu unter www.expo2010-deutschland.de/erleben/events/performance-und-tanz/
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