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Kultur

„Wir leisten uns, Dinge aus der Taufe zu heben“

Donnerstag, 29. November 2012 | Text: Susanne Finken | Bild: Barbara Siewer

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

– Inken Kautter und Gerhard Seidel, die neuen Leiter des FWT.
Am 15. November 2012 ging eine Ära zu Ende, und bekanntgegeben wurde diese Tatsache ganz unspektakulär per E-Mail. Nach mehr als 30 Jahren unter der Leitung von Ingrid Berzau und Dieter Scholz übernehmen Inken Kautter und Gerhard Seidel das FWT, das Freie Werkstatt Theater, beide am Haus bekannt und beschäftigt.

Die Kölner Theaterszene ist sich nicht ganz einig, ob dieser Schritt eine völlige Überraschung oder eigentlich abzusehen war. Die Kommentare zur Übernahme, sagt Seidel, halten sich in dieser Beziehung ungefähr die Waage. Auf jeden Fall aber verdient diese Übergabe Respekt: Da können zwei loslassen, haben sich Zeit gelassen und Mühe gemacht, genau die Nachfolger zu finden, denen sie ihre Lebenswerk anvertrauen möchten, und ermöglichen damit Kontinuität in der Theaterarbeit.

Das FWT, das Freie Werkstatt Theater am Zugweg, ist ein Kind der 1970er Jahre. Entstanden 1977 aus einem bundesweiten Modellversuch Schüler und Künstler – und aus dem Impuls heraus, ein emanzipatorisches Theater zu wagen, gesellschaftliche Beteiligung auf der Bühne einzufordern. Damals im Theaterkollektiv dabei: Dieter Scholz. Für drei Jahre standen Projektgelder zur Verfügung – Scholz machte weiter, bald unterstützt von Schauspielkollegin und Partnerin Ingrid Berzau. An unzähligen Theaterabenden begrüßten die beiden ihr Publikum persönlich, erlebten die Reaktionen der Zuschauer, standen für Gespräche zur Verfügung. Ihr eigentliches Betätigungsfeld, die Schauspielerei, kam dabei manchmal zu kurz.

 

 

Das wilde Kommunenleben mündete, wie an so vielen Orten der Bundesrepublik, bald in ruhigere Bahnen. Das FWT erhielt seine jetzige Verwaltungsform: Die Vorsitzenden des Trägervereins bilden zugleich die Leitung des Theaters; das sorgt für kurze Entscheidungswege und verhindert nachvollziehbarer Weise Dissonanzen zwischen Träger und Leitung. 1994/5, im Zug der Südstadtsanierung, wurde das FWT großzügig saniert und umgebaut, 2005 folgte eine weitere Umbauphase – der bauliche Zustand des Hauses ist, O-Ton „nicht gut, sondern hervorragend.“ Das bedeutet: Auf die neue Leitung kommen – hoffentlich, voraussichtlich – keine versteckten Kosten für Umbauten, Renovierungsstaus etc. zu. Sie übernehmen ein solide geführtes, erstklassig in Schuss gehaltenes Theater mit regem Publikumszuspruch und gutem Leumund. „Das FWT gilt als sehr zuverlässig, strukturiert, solide, gewissenhaft. Das ist uns ein Anliegen, das haben uns Ingrid Berzau und Dieter Scholz vorgelebt, da wollen wir hinterher“, erklärt Seidel.

Solide, zuverlässig – so sehen das die zuschussgebenden Institutionen Stadt und Land. So sehen das auch die Zuschauer. So sieht das immer wieder die Jury des Kölner Theaterpreises, die aktuell die Eigenproduktion „Wegschließen – und zwar für immer?“ für den Theaterpreis und für den Kurt-Hackenberg-Preis für politisches Theater nominiert hat.

Bekannt war das FWT in den letzten Jahren vor allem für seine Romanadaptionen. „Die Entdeckung der Currywurst“, „Die Go-Spielerin“, „Das Wüten der ganzen Welt“, mit dem Kölner Theaterpreis bedacht, oder „Das war ich nicht“, Kristof Magnussons Blick auf die Finanzkrise, erwiesen sich als Publikumsrenner und fanden kritischen Beifall. Als Dramaturg war Gerhard Seidel vielen Bearbeitungen verbunden, überhaupt ist er mit 15 Jahren Mitarbeit am Haus, in Fest- und in Freianstellung, der naheliegende Kronprinz für eine Thronübergabe. Nichtsdestotrotz hat er sich ein Jahr Zeit gelassen für die Übernahme der neuen Aufgabe – ein Jahr, um abzuwägen: „Was geb ich auf, was bekomm ich“.

 

 

Inken Kautter, Jahrgang 1978 und somit noch deutlicher eine neue Generation, will den Werkstattcharakter des Freien Werkstatt Theaters gestärkt sehen; die letzte von ihr betreute Produktion, „Wegschließen – und zwar für immer?!“ behandelt die umstrittene Praxis der Sicherungsverwahrung von Straftätern. Ein Thema also, das in den Medien und am Stammtisch heiß diskutiert wird. Genau da soll sich Theater zu Wort melden und gesellschaftlicher Auseinandersetzung Raum geben – damit knüpfe man an die Tradition des Hauses an, bemerkt Seidel und erinnert sich an einen heiß diskutierten Theaterabend „Doktorspiele“ 1989 über Euthanasie im Dritten Reich. Werkstatt, ergänzt Kautter, heißt auch „etwas erdenken, entwickeln, erarbeiten – auch für andere Künstler“.

Die beiden sind auf der Suche nach langfristiger Zusammenarbeit mit Regisseuren, beispielsweise mit Rafael Sanchez, Nico Dietrich, Dominik Petzold, die am Haus gute Visitenkarten hinterlassen haben. Oder mit Ulrich Hub, der nicht nur spielen und Regie führen, sondern hinreißend doppelbödige Stücke schreiben kann – siehe „Faustrecht der Freiheit“. Wie fast alle freien Theater kann das FWT kein festes Ensemble finanzieren; viele Schauspieler spielen aber, soweit es besser bezahlte Verpflichtungen erlauben, immer wieder gern am Haus.

Die Weichen für die Zukunft am Zugweg sind jetzt also gestellt. Zwei Dramaturgen werden den Spielplan eines der vier großen Privattheater Kölns gestalten, recherchieren, Stücke entwickeln, Produktionen betreuen – und gesellschaftlich „heiße Eisen“ auf die Bühne bringen. Der nächste Theaterabend, „Deutlich weniger Tote“, Probenbeginn ist im Dezember, wird sich mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr befassen – Inken Kautter arbeitet noch am Text.

Ingrid Berzau und Dieter Scholz gehen dem FWT übrigens dann doch nicht ganz verloren: Nach wie vor leiten sie das Altentheater, (das FWT war 1979 das erste deutsche Theater mit eigenem Altentheaterensemble) – und haben nun wieder mehr Zeit, selber zu spielen.
Und wir wünschen den gewesenen wie den aktuellen FWT-Verantwortlichen „toitoitoi“ für die Zukunft.

 

Text: Susanne Finken

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