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Gesellschaft Politik

„Wir nehmen niemandem die Butter vom Brot!“

Mittwoch, 4. Januar 2012 | Text: Wassily Nemitz | Bild: Karsten Schöne

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Seit mehr als 30 Jahren setzt sich die Seniorenvertretung für die Belange älterer Kölnerinnen und Kölner ein. Gerade eben, im November, sind ihre Mitglieder wieder neu gewählt worden. Aber was genau macht diese Einrichtung? Wer sind die Menschen dahinter? „Meine Südstadt“ hat sich mit zwei Vertretern getroffen.

Gudrun Kleinpaß-Börschel ist 70 Jahre alt, hat vor zehn Jahren angefangen als Seniorenvertreterin zu arbeiten. Sie ist soeben in ihre dritte Amtszeit gestartet. Ihr Sohn ist der Kölner SPD-Politiker Martin Börschel, ihre Tochter Theologin bei der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn und ihr Adoptivsohn Performance-Künstler. Früher war sie in der Kinder-/Jugend- und Familienarbeit tätig und kommt ursprünglich aus der Lüneburger Heide. Seit 40 Jahren lebt sie in Köln. Wir treffen sie im Bezirksrathaus Innenstadt am Laurenzplatz.

Eduard Mermagen ist 80 Jahre alt, hat mit 70 Jahren, also ebenfalls 2001, mit seiner Arbeit in der Seniorenvertretung begonnen. Er ist für den Stadtbezirk Rodenkirchen aktiv und gehört keiner politischen Partei an. Mit Mermagen treffen wir uns bei ihm zu Hause in Köln-Raderthal bei selbstgebackenem Kuchen und Kaffee. Wir haben beide Interviews zu einem zusammengefasst.

 

Frau Kleinpaß-Börschel, Herr Mermagen, wie sind Sie zur Seniorenvertretung gekommen?
Mermagen: Das war eine komische Geschichte! Ich habe in der Werbezeitschrift meiner Versicherung gelesen, dass Seniorenvertreter gesucht würden – da habe ich mich zu den Wahlen gemeldet.

Kleinpaß-Börschel: Ich wurde 2001 60 Jahre alt – damals fanden Wahlen zur Seniorenvertretung statt. Mein Sohn überzeugte mich damals, als Seniorenvertreterin zu kandidieren. Vorher war mir die Arbeit der Seniorenvertretung kaum bekannt…

…so wie es Ihnen damals ging, geht es mir heute – ich habe von der Seniorenvertretung vorher ehrlich gesagt noch nie viel gehört. Wie sieht Ihr Alltag als Seniorenvertreterin aus?
Kleinpaß-Börschel: Wirklichen Alltag gibt es eigentlich nicht, die Arbeit ist dafür viel zu abwechslungsreich.

Was haben Sie heute in Ihrer Funktion als Seniorenvertreterin gemacht?
Kleinpaß-Börschel: Heute fand unser „Arbeitskreis Zeitzeugen“ statt. Darin berichten ältere Menschen Jugendlichen aus ihrem Leben. Ich habe den Sitzungsraum vorbereitet, Kaffee gekocht und mein Bestes gegeben, dass es schön wird. Es kamen immerhin 20 Menschen zusammen. Wir als Seniorenvertretung fungieren als Multiplikatoren, wir sind die Lobby der älteren Menschen hier in Köln. Heute habe ich außerdem die Briefe, die hier eintreffen gesichtet und den „Arbeitskreis Familie“, der sich zum Ziel gesetzt hat, das Zusammenleben zwischen Jung und alt zu verbessern, vorbereitet.

Ganz generell: Welche Befugnisse und Rechte hat die Seniorenvertretung?
Kleinpaß-Börschel: Wir haben Beratungs- und Anhörungsrecht in den Bezirksvertretungen, jedoch kein Stimmrecht. Außerdem sind wir in mittlerweile acht Ausschüssen des Stadtrats vertreten.

Die Seniorenvertretung wird auf fünf Jahre gewählt, Ihre dritte Amtszeit hat gerade begonnen – wie genau läuft die Wahl ab?
Kleinpaß-Börschel: Bei den Wahlen zur Seniorenvertretung dürfen alle Kölner ab 60 Jahren mitmachen. Es handelt sich um eine reine Briefwahl, alle Kandidaten müssen 20 Unterstützerunterschriften vorweisen, damit sie zur Wahl zugelassen werden. In jedem Stadtbezirk sind fünf Personen wählbar, man kann seine Stimme also auf mehrere Kandidaten verteilen.

Spielt die Parteizugehörigkeit der Kandidaten eine Rolle?
Kleinpaß-Börschel: Nein, absolut gar nicht. Wir arbeiten konstruktiv und über die Parteigrenzen hinweg zusammen. Alle Fraktionen im Stadtrat sind an unserer Arbeit sehr interessiert und unterstützen uns, so gut es geht.

Mermagen: Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich keiner Partei angehöre. Deshalb ?können meine Anträge beziehungsweise Anregungen oder Wünsche für die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen ab 60 auch nicht als Politik einer Partei gewertet werden.

Was haben Sie in Ihrer Zeit als SeniorenvertreterIn konkret verbessern können?
Kleinpaß-Börschel: In meiner Zeit haben wir zusammen mit der Kölner Bank die so genannten „Notfallkarte“ eingeführt. Darauf finden sich alle wichtigsten Infos über den Besitzer der Karte, zum Beispiel Allergien, Vorerkrankungen, Kontaktdaten der Angehörigen und so weiter. Benötigt die Person beispielsweise medizinische Hilfe, kann der Notarzt direkt sehen, welche Medikamente er zum Beispiel nicht geben kann.

Mermagen: Ich habe mich zum Beispiel bei der KVB dafür eingesetzt, dass die Linie 12 barrierefrei ausgebaut wird. Das war sicherlich nicht alleinig mein Verdienst, allerdings war die Situation vorher sehr schlecht, da alte Fahrzeuge mit hohen Einstiegen verwendet wurden. Für ältere Menschen war eine Mitfahrt ohne Hilfe häufig praktisch unmöglich. Mir ist aber die eigene Person unwichtiger als die Seniorenvertretung an sich, das meiste haben wir zusammen geschafft.

Was sind Projekte, die Sie in der neuen Wahlperiode angehen wollen?
Kleinpaß-Börschel: Die sind sehr vielfältig. Beispielsweise haben wir zusammen mit der KVB die Stelle „Mobil im Alter“ eingerichtet. Wir sind in regelmäßigem Kontakt mit der KVB, um die Barrierefreiheit und Sicherheit für die älteren Fahrgäste zu erhöhen. Außerdem möchten wir die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei noch weiter ausbauen, um ältere Menschen über Trickbetrügereien und Gefahren im Alltag aufzuklären.

Mermagen: Auch bei mir ist das eine ganze Latte an Projekten. Das Thema KVB steht aber auch bei mir ganz oben auf der Agenda. Die Planung der Busstrecken beispielsweise ist insbesondere für ältere Menschen nachteilhaft.  Ich denke, der Bus sollte nicht nur eine Zubringerfunktion zur Stadtbahn wahrnehmen, sondern auch Direktverbindungen gewährleisten. Gerade abends, zum Beispiel auf der Linie 133, ist das schwierig. Für ältere Menschen ist das Umsteigen häufig sehr beschwerlich. Die Buslinien könnten dem Missstand, dass die „Erreichbarkeit“ des schienengebundenen ÖPNV oft zu weit ist, durch ihre Linienführung entgegenwirken. Dies ist besonders in den Randgebieten unserer Stadt notwendig. Nutznießer wäre nicht nur die ältere Generation.

Ist der demographische Wandel eine Herausforderung auch für die Seniorenvertretung?
Kleinpaß-Börschel: Selbstverständlich. Wir bauen unsere Angebote, auch aufgrund der gestiegenen Nachfrage, weiter aus. So gibt es in vielen Stadtteilen ein Seniorennetzwerk, das Senioren dazu anregen soll, selbst aktiv zu werden – zum Beispiel fahren die älteren Menschen gemeinsam Rad oder spielen zusammen. In der Südstadt gibt es ein solches Netzwerk beispielsweise am Karl-Berbuer-Platz, anfangs mussten wir von der Seniorenvertretung ein bisschen Starthilfe geben – aber inzwischen läuft es ganz von alleine. Mit dem demographischen Wandel steigt natürlich auch die Nachfrage nach altersgerechtem Wohnraum – das ist eine große Herausforderung auch für uns. Wir stehen mit der städtischen Wohnungsgesellschaft GAG in guter Verbindung und überlegen, wie wir zum Beispiel das Mehrgenerationenwohnen stärken können.

Warum engagieren Sie sich in der Seniorenvertretung?
Kleinpaß-Börschel: (überlegt) Wieso engagiere ich mich eigentlich hier…(überlegt) Ich war eigentlich schon immer engagiert – heute möchte ich mich für all diejenigen einsetzen, die nicht mehr so aktiv sein können wie ich es glücklicherweise bin.

Mermagen: Bei mir ist es ganz ähnlich. Ich habe mich schon früher engagiert und war als Leiter für Jugendgruppen aktiv. Jetzt habe ich die Möglichkeit, mich für meine gleichaltrigen Mitbürger einzusetzen – und das tue ich gerne!

Das Verhältnis zwischen Jugendlichen und Senioren ist häufig von Vorurteilen und Klischees geprägt – inwiefern arbeiten Sie mit Vertretern von Jugendorganisationen zusammen?
Kleinpaß-Börschel: Wir haben sehr gute Kontakte zur Bezirksschülervertretung und kooperieren in verschiedenen Bereichen und Projekten. Ich selbst habe noch nie wirklich negative Erfahrungen mit Jugendlichen gemacht, in der Bahn bekomme ich fast immer den Sitzplatz angeboten. Ich glaube, dass es auf den gegenseitigen Umgang ankommt.

Mermagen: Diese Vorurteile sind einfach absoluter Blödsinn! Was mich aber schon stört, ist, wenn ich im Fernsehen junge Leute sehe, die behaupten, wir Alten nähmen ihnen die „Butter vom Brot“. Da kann ich mich wirklich sehr drüber aufregen! Wir sind doch diejenigen, die das Land hier mit aufgebaut haben, wir haben jahrelang eingezahlt – wir nehmen wahrlich niemanden die Butter vom Brot. Aber die ganzen Klischees, auch die der Älteren gegenüber?den Jugendlichen, sind einfach nur Unsinn.
 

Text: Wassily Nemitz

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