Zeit allein heilt keine Wunden
Donnerstag, 24. Januar 2013 | Text: Jasmin Klein | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Am kommenden Sonntag gibt es die 20. Ausgabe des Talk-Gottesdienstes in der Lutherkirche. Diesmal erwartet Pfarrer Mörtter um 11:15 Uhr einen ganz besonderen Gast: Detlef Korczak. Der psychologische Berater wurde als Kind in den Sechzigern von einem Presbyter der Gemeinde jahrelang sexuell missbraucht. Nach Jahrzehnten des Schweigens und der Scham ging er mit seinem Schicksal 2010 an die Öffentlichkeit. Im STERN berichtete er mit weiteren Betroffenen anderer Kirchen von unfassbaren sexuellen Übergriffen, mit deren Folgen die Opfer bis heute zu kämpfen haben.
Pfarrer Mörtter versteht den kommenden Talk-Gottesdienst als einen Auftakt, in Zukunft einander frei zu begegnen, zu hören, wahrzunehmen, daraus zu lernen. Wir möchten einen mutigen Raum freiheitlicher Begegnung und Wachsamkeit in unserer Gesellschaft eröffnen. An der Lutherkirche sind wir bereit dazu und gespannt, was daraus erwachsen wird. Es wird Zeit, dem Umgang der evangelischen Kirche mit den Missbrauchsopfern nachzugehen.
Wir treffen den heute sechzigjährigen Detlef Korczak in seiner Praxis in der Innenstadt zu einem Interview. Als knappes Recherche-Interview für einen Hinweis auf die Veranstaltung am Sonntag gedacht, entwickelt sich das Gespräch zu einer langen und intensiven Auseinandersetzung mit dem unglaublichen Vorgehen des Täters und dem Umgang der evangelischen Kirche mit den Opfern.
Ein Auszug aus dem Interview mit Detlef Korczak, das in den kommenden Tagen erscheinen wird: Er war Diplompsychologe mit Doktortitel und damals einer, der die Mündel bekam: alle Kinder, die irgendwo untergebracht werden sollten, zogen erst mal bei ihm ein und wohnten mit ihm, bis sie in andere Familien oder Heime weitervermittelt wurden. Die sind alle von ihm missbraucht worden. (…) Das wusste die Kirche, obwohl sie es abgestritten hat, und das wusste auch der Pfarrer, der ihm trotzdem einen Job in einem Kinderheim in Riehl vermittelt hat. Dort war er jahrelang Leiter und hat Missbrauch begangen. Später hat man ihm die Leitung in Michaelshoven übertragen, dort hat er es dann auch mit behinderten Menschen getan. Er ist nie strafrechtlich verfolgt worden. Das Tragische ist, jetzt, nachdem die Kirche bereit war, zu schauen, ob ich nicht lüge, hat man festgestellt, dass es damals eine Sozialarbeiterin in der Kirche gab, die zum Kirchenvorstand ging und meldete, das dort zwischen ihm und den Kindern eine homoerotische Atmosphäre besteht, und ob man da nicht mal genauer hinschauen sollte. Diese Information gibt es heute noch als Notiz, aber es wurde nicht weiter beachtet, denn er war in der Kirchenhierarchie weiter aufgestiegen, er war ein Star.
Wir fragen Pfarrer Mörtter, wie es zu diesem Talk-Gottesdienst kam?
Vor ungefähr anderthalb Jahren hörte ich von Korczaks Schicksal und habe sofort Kontakt zu ihm aufgenommen. Stadtsuperintendent Rolf Domning (ein Freund, den ich sehr schätze), bat mich aber, mich nicht einzumischen, weil er sich kümmern würde. Das geriet dann aber auf die langen Mühlen unserer Landeskirche. Als ich das durch Detlef Korzcak mitbekam, hatte ich ihn im Juni 2012 in das Bezirkspresbyterium der Lutherkirche eingeladen, wo wir ihm drei Stunden zuhörten und mit ihm redeten. Wir haben dann bewirkt, dass das Gesamtpresbyterium unserer evangelischen Gemeinde Köln ihn einlädt, für ihn nachhaltig energisch gegenüber der Landeskirche eintritt und ihm unabhängig von landeskirchlichen Zahlungen 5.000,- Euro Schmerzensgeld zahlt, was im Oktober 2012 geschehen ist. Wegen der Schwerfälligkeit und Angstbesetzung im gesamtkirchlichen Prozess war mir dann im November 2012 klar, dass wir unbedingt mit Herrn Korzcak einen Talk-Gottesdienst machen müssen.
Auszug aus dem Interview mit Detlef Korczak:
Wenn man Missbrauch erlebt, dann bleibt das ein begleitendes Gefühl bis zum Lebensende. Es ist die Frage: wie kann ich damit umgehen? Wann fange ich an, zu lernen, zu begreifen, warum es war? Wenn ich ganz viel Glück habe – und zu den Menschen gehöre ich anscheinend – dann werde ich plötzlich feststellen, dass aus Missbrauch Stärke erwachsen kann. Das ist aber ein Prozess, der dauert. Bei mir hat er fast 40 Jahre gedauert, und er dauert weiter an. (..)
Es gibt auch heute noch Tage, an denen die Bilder einfach da sind. Heute kann ich damit umgehen, jahrelang konnte ich es nicht. Ich habe bewusst versucht, etwas zu verändern, und es ist mir in einem guten Maße gelungen, freier und leichter damit umzugehen. Zwei Therapien, die ich in der Hoffnung besucht habe, dass sich etwas verändert, haben mich nicht wirklich weitergebracht. Der Therapeut war mit diesem Thema deutlich überfordert und hat sich eher an sein Wissen aus dem Lehrbuch gehalten als sich wirklich auf den Menschen mit seinen vielfältigen Problemen einzulassen und ihn auf der Gefühlsebene zu erreichen, damit er die Chance einer Veränderung wahrnehmen kann. So konnte das nicht funktionieren.
Meiner Frau habe ich erst nach 15 Jahre Ehe gesagt, dass ich sexuell missbraucht wurde. (…) Für mich ist es manchmal heute noch schwierig, wenn mich ein Arzt abhört und berührt. Da muss ich mich sehr entspannen, tief atmen, damit ich keinen Schweißausbruch bekomme, und ich bin jetzt 60. Und wenn jemand behauptet, dass sich dieses Thema von alleine löst, dann kann ich nur warnen: Dieses Thema kann nur dann in das Leben integriert werden, wenn ich mich innerlich damit auseinandergesetzt habe und bereit bin, mich ihm immer wieder zu stellen. Nur so kann ich ein Gefühl der inneren Freiheit erzielen.
Hans Mörtter: Im Umgang unserer Kirche mit Detlef Korzcak vermisse ich sehr, sehr viel. Da wünsche ich mir mehr Angstfreiheit und mutige Offenheit. Aber das wird kommen. Und wir leisten an der Lutherkirche unseren Beitrag dazu.
Talk-Gottesdienst am Sonntag, 27.01.2013 um 11:15 Uhr in der Lutherkirche, Martin-Luther-Platz 4, 50677 Köln.
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