Zurück blieb nur sein Name im Wind – „Kohlhaas“ im Comedia Theater
Samstag, 8. Januar 2011 | Text: Stephan Martin Meyer | Bild: Meyer Originals
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Michael Kohlhaas? Martin Luther? Die Bauernkriege? Warum müssen wir uns denn ein solches Stück antun? Schließlich leben wir in einer Demokratie, in der jeder vor dem Gesetz gleich behandelt wird. Die Willkür ist schon lange ad acta gelegt, mit Pferden handelt sowieso kaum noch jemand, und nicht zuletzt ist Deutschland spätestens seit 1990 ein Land, in dem untergeordnete Grenzen keine Rolle mehr spielen. Also: Warum sollen wir uns mit diesem Thema noch beschäftigen?
Franco Melis steht allein auf der Bühne. Er ist der Erzähler einer Geschichte, die an Aktualität leider nichts verloren hat. Zugleich ist er Darsteller aller zentralen Figuren der Handlung. Er tritt an den Richtblock, der wie eine Ahnung dessen, was ihm geschehen wird, in der Mitte der Bühne steht von oben kalt beleuchtet. Die Ausweglosigkeit der Situation ist vom erstem Moment manifest. Michael Kohlhaas hat keine Chance, seinem Schicksal zu entkommen.
Wofür lohnt es sich in unserer Gesellschaft zu kämpfen? Ist es die Blockierung eines Castor-Transportes? Oder die Verhinderung eines völlig aus der Ruder gelaufenen Bahnhofsneubaus? Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, in der es kaum noch Themen gibt, die uns aus dem Tritt bringen. Doch wenn wir genau hinsehen, dann eröffnet sich uns ein bunter Blumenstrauß an Ungerechtigkeiten, die denen des Michael Kohlhaas entsprechen.
Melis erzählt von Kohlhaas, er spielt ihn, steigt ganz in die Emotionen eines Mannes ein, der mit dem Konflikt zwischen dem Idealbild seines Lebens und der Wirklichkeit konfrontiert wird. Hat er es doch zu Erfolg gebracht, eine wunderbare Frau an seiner Seite, zwei Kinder, ein hervorragend laufendes Unternehmen. Was soll ihm schon geschehen? Kohlhaas rechnet nicht mit der Willkür der Rechtsprechung seiner Zeit. Ihm wird nach und nach alles genommen. Und darob geht ihm die Galle über. Er gerät in einen Strudel aus Gewalt und Selbstjustiz, die ihn handeln lässt wie seine bisherigen Widersacher.
Es sind immer die Menschen, die leiden. Kriege und Revolten, grundlegende Umbrüche und politische Entscheidungen treffen immer die schwächsten Glieder einer Gesellschaft. Am Ende der Kette stehen die, über die entschieden wird. Es sind die, die keine Lobby haben, weder zu Zeiten von Michael Kohlhaas, noch heute.
Wenn Melis mit einer kleinen Geste, mit einem angedeuteten Dialekt oder einer typischen Körperhaltung in eine Figur einsteigt, dann wechselt er auch innerhalb von Sekundenbruchteilen in die Gefühlslage der Figuren. Er ist ein Meister der Darstellung emotionaler Zustände. Er braucht dazu keinen Kostümwechsel, keine Maske oder musikalische Untermalung. Ihm reicht seine Stimme, die phantastische Körperbeherrschung und ein wenig Licht. Durch seine Arbeit wird ´weniger ist mehr´ erlebbar.
Bei uns ist es der Umgang mit sozial Schwachen. In China sind es ganze Volksgruppen. Im Iran ist es jeder, der anders denkt. Keiner von ihnen hat sich sein Schicksal gewählt. Wer am Kölnberg aufwächst, hat per se keine Chance auf einen Ausbildungsplatz. Wer in Tibet lebt, wird in von seiner Kultur abgeschnitten. Und wer gar in Teheran auf die Idee kommt, seinem Unmut eine Stimme zu geben, sich als unangepasste Frau, die nicht mit dem Mann zusammen zu leben will, der ihr vor die Nase gesetzt wird, zu Wehr setzt oder sich als schwul outet, der findet sich schnell in einem Gefängnis wieder, das unseren schlimmsten Vorstellungen eines dunklen Lochs entspricht. Der im Theaterstück präsente Richtblock entspricht der Lebensrealität nicht weniger Iraner.
Doch Michael Kohlhaas ist nicht nur ein Opfer der Umstände. Er macht sich auch zum Täter. Auch er greift zu Mitteln, die willkürlich sind. Er ist nicht gerecht. Er ist von seiner eigenen Ungerechtigkeit getrieben. Das ist hochgradig menschlich. Er ist gebeutelt von den gesellschaftlichen Umständen und seinem Schicksal. Aber die Wege, die er beschreitet, sind nicht akzeptabel. Wenn er sich dann jedoch am Ende des Stückes entscheidet, sein eigenes Leben der Idee von Freiheit und Menschlichkeit zu opfern, dann wird er wieder zu einer Sympathiefigur.
Es sind im wesentlichen drei Gründe, die dafür sprechen, sich auch heute noch mit einem Stück vom Anfang des 19. Jahrhunderts zu beschäftigen. Wenn wir heute in einer scheinbar gerechten Welt leben, so ist dies das Ergebnis einer historischen Entwicklung, zu der auch Figuren wie Michael Kohlhaas (oder der reale Hans Kohlhaase) einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Wir können unsere Gesellschaft nur verstehen, wenn wir unsere Geschichte kennen. Darüber hinaus gibt es auch heute noch unzählige Länder, in denen Gerechtigkeit nach unserer Vorstellung keine Selbstverständlichkeit ist. Und nicht zuletzt sind wir hier, heute, in Köln, in der Südstadt, umgeben von Umständen, die einer dringenden Veränderung bedürfen. Jeder Protest lohnt sich.
So ist die Arbeit von Franco Melis und seiner Regisseurin Andrea Gronememeyer, die für diese Produktion aus Mannheim zu ihren Theaterwurzeln in das Comedia Theater zurückkehrte, wichtig und richtig und dringend nötig. Wenn das Ergebnis dann auch noch so sehenswert ist, dann wünscht man sich mehr solcher Stücke. Vielleicht lernt der eine oder andere Besucher, vor allem die jungen, für die es ja in erster Linie aufgeführt wird, dabei etwas über sein reales Lebensumfeld.
„Kohlhaas“ – Ein Stück für Menschen ab 13 Jahre
Weitere Aufführungstermine in der Comedia Theater:
11. Januar, 19 Uhr
21., 22., 23., 24. März, jeweils 11 Uhr!
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