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Gesellschaft

Zusammenwachsen und zusammen wachsen

Freitag, 20. Januar 2017 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Wie Mahdi aus Kabul in seine neue Familie in Köln fand:

„Hm. Ein bisschen viel Nudeln werden hier in Deutschland gegessen.“  Mahdi muss ein bisschen nachdenken, bevor ihm etwas einfällt, das er in seiner neuen Heimat nicht gut findet. Ansonsten gibt es aus seiner Sicht nicht viel Negatives: „Hier gibt es keine Taliban. Man kann sagen, was man denkt, und alles Mögliche machen.“ Mahdi ist dreizehn Jahre alt, kommt aus Kabul und ist einer von etwa 500 unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, die in Köln leben. Seit fast einem Jahr wohnt er hier in einer Gastfamilie.

Ausgelöst hat das unter anderem ein kleiner Zeitungsartikel, in dem davon berichtet wurde, dass die Stadt Köln Pflegestellen für geflüchtete Minderjährige sucht. „Das hat in uns gearbeitet“, erzählt Mahdis Gastmutter Stefanie Ruffen. „Zumal wir schon eine Weile überlegt hatten, dass wir gern beitragen würden – über das Spenden von Kleidung, Gebrauchsgegenständen und Geld hinaus. Auch von unseren Söhnen, die jetzt elf und fünfzehn Jahre alt sind, kam die Frage, was man denn noch tun könnte. Und so haben wir das dann erst mal unter uns besprochen. So eine Entscheidung muss schon von allen gemeinsam gefällt und getragen werden.“ Von der Idee und der Bereitschaft bis zum Einzug Mahdis vergingen einige Monate. Keine Monate der Untätigkeit allerdings, denn das Jugendamt, das für die minderjährigen Geflüchteten rechtlich zuständig ist, möchte, wie bei allen anderen Pflegekindern auch, sicherstellen, dass die Kinder in den Gastfamilien gut aufgehoben sind. Darum stand nicht nur das Ausfüllen diverser Formulare an, sondern vor allem persönliche Gespräche mit Betreuern und auch ein Schulungsseminar, das die Gastfamilien speziell im Hinblick auf die Asylsituation, Jugendrecht und Ausländerrechte informierte.

Zusammenfinden

Gleichzeitig wurden Gespräche mit den Kindern und Jugendlichen geführt, für die eine Familien-Unterbringung hilfreich und geeignet schien, denn nicht jeder geflüchtete Jugendliche wünscht sich die Unterbringung in einer Familie. Diese Schnittstelle ist eine besonders sensible, weil die Familien und die Jugendlichen zusammenpassen sollten, auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Erwartungshaltungen. Eine Familie mit noch so gutem Willen kann aus ganz verschiedenen Gründen für ein bestimmtes Kind trotzdem nicht die richtige sein.

 

Stefanie Ruffen hat durch ihren Kontakt mit anderen Gasteltern ganz unterschiedliche Geschichten gehört: „In den meisten Familien ist das Konzept gut aufgegangen, aber es gibt natürlich auch Fälle, in denen es dann doch nicht passt“, erzählt sie. „Und manchmal stellt sich das dann erst im Laufe der Zeit heraus. Wenn es gar nicht funktioniert, dann gibt es aber natürlich immer die Möglichkeit, auch die Reißleine zu ziehen – für beide Seiten. Und es ist auch schon von beiden Seiten aus vorgekommen. Meist aber läuft es gut, auch durch die Vorbereitungsphase mit ausgiebigem Kennenlernen. Wir haben Mahdi mal erst in seiner Wohngruppe persönlich kennengelernt. Er hatte sogar einen Kuchen gebacken, nach Rezept von seiner Mutter. Danach haben wir alle zusammen verschiedene Sachen gemeinsam unternommen, die Jungs waren auch noch einmal dort zu einem Fußballturnier. Da bekommt man dann im Laufe der Zeit schon ein Gefühl dafür, ob es passt. Das tat und tut es bei uns.“ Und das ist beiden Seiten auch deutlich anzumerken.

Ein neuer Alltag

Kurz nach dem schon gemeinsam gefeierten Karneval konnte Mahdi einziehen. Das Zusammenleben wird auch weiterhin in „Hilfeplangesprächen“ mit dem Amtsvormund und den Betreuerinnen vom Jugendamt begleitet – und auch hier stimmt die Chemie.

Dank des Unterrichts in der Vorbereitungsklasse und des Umstands, dass Mahdi schnell lernt, funktionierte die Verständigung recht gut – und mit der Zeit immer besser. Doch da die Zuteilung der Jugendlichen auf die Schulen nach dem Zufallsprinzip erfolgt, bemühte sich Stefanie Ruffen bald um einen Schulwechsel. „In der neuen Schule ist Mahdi besser aufgehoben“, erzählt sie. „Er ist vor kurzem auch aus der Vorbereitungsklasse ,rausgeflogen‘, weil er dafür zu gut Deutsch spricht, und besucht nun eine Regelklasse auf einem Gymnasium.“

Doch bei allem Schönen ist klar, dass Mahdis eigene Familie weit weg ist und es bis auf weiteres auch bleiben wird. Wegen ihrer liberalen Einstellung und Lebensweise in Afghanistan von den Taliban bedroht, floh die Familie gemeinsam in den Iran. Beim Versuch, zusammen mit anderen Flüchtenden die iranisch-türkische Grenze zu überqueren, wurde die Familie getrennt. Mahdi schloss sich einer Gruppe an, die über die Balkanroute weiterzog, doch seine Eltern und die vier jüngeren Geschwister blieben im Iran, wo sie immer noch leben. Erst nach und nach erzählt Mahdi Bruchstücke dieser Erlebnisse, und so setzt sich das Puzzle für Stefanie Ruffen mit der Zeit immer deutlicher zusammen.
Ein regelmäßiger Kontakt ist immerhin dank des Internets täglich über Skype möglich. Und lässt sogar so etwas wie virtuelle Nähe entstehen, denn über die digitale Zuschaltung kochten Mutter und Gastmutter auch schon zusammen Mahdis Lieblingsgericht „Bolani“.

Im gemeinsamen Alltag gilt es nun, Mahdi nicht nur ein neues Zuhause, sondern auch seiner Heimat-Kultur Raum zu geben und nach passenden Lösungen zu suchen, wo es nötig ist. Bei der Beschaffung eines eigenen Gebetsteppichs etwa, oder der Einhaltung des Ramadans in einer deutschen Familie, die nicht selbst fastet, und einem Umfeld, das auch insgesamt nicht darauf ausgerichtet ist.

Gemeinsam Lösungen finden

Doch praktikable Wege zu finden, ohne die eigenen Wurzeln zu verlieren, gelingt der erweiterten Familie gut. „Mama und Papa – also meine deutschen Mama und Papa“ nennt Mahdi seine Gasteltern und fasst damit auch die Vertrautheit und die Selbstverständlichkeit, die sich im Miteinander entwickelt haben, zusammen.  Und auch für uns alle ist das Zusammenleben bereichernd“, resümiert Stefanie Ruffen. „Ich sage immer wieder – ich mache das hier aus reinem Egoismus, es macht mir Spaß.“

In seiner Freizeit geht Mahdi seinen Hobbys nach, allem voran dem Fußballspielen. Aber auch das Chorprojekt „Grenzenlos“, bei dem er seit Februar dabei ist, liegt ihm sehr am Herzen. Sein allerliebster Berufswunsch, Profifußballer zu werden, scheint Mahdi durch eine besondere Schwierigkeit verwehrt zu sein: Um in Deutschland einen Spielerpass in einem Fußballverein des DFB wie zum Beispiel Fortuna Köln zu bekommen, bräuchte es eine Freigabe vom Fußball-Landesverband in Afghanistan. Ein Anliegen, das für Geflüchtete wohl nicht viel Aussicht auf Erfolg hat. Die Ruffens bemühten sich um einen alternativen Verein, doch eine Profikarriere scheint allzu utopisch. Mahdi lächelt ein bisschen verlegen – so ganz mag er die Hoffnung auf den Traumberuf noch nicht aufgeben.
 

Text: Nora Koldehoff

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