„Das Leben ist eine riskante Angelegenheit“ (I)
Dienstag, 8. Februar 2011 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
„Das bin ich“, sagt Dieter Wellershoff ohne Eitelkeit. „Das hab ich gemacht, dafür bin ich viele Schritte gegangen.“ Wir stehen im Wohnzimmer in der Mainzer Straße und der Kölner Schriftsteller gewährt „Meine Südstadt“ eine zweistündige Führung durch seine „Wohnhöhle“, seinen „Unterschlupf in der Welt“, wie er die 146-Quadratmeter-Altbauwohnung nennt. „Das bin ich“: Damit meint er sein eigenes Werk.
Im Leben von Dieter Wellershoff steht es derzeit 28:16 für die Mainzer Straße. Das heißt: 28 Bücher hat er hier geschrieben, seit er in den Siebziger Jahren mit seiner Familie hierher gezogen ist. Die übrigen stammen aus der Zeit davor. Bei unserem Rundgang durch die Wohnung werden wir immer wieder kurz von Maria Wellershoff begleitet, seiner Frau. Sie liefert fröhlich Details des gemeinsamen Lebens nach – hat sie doch die Manuskripte ihres Mannes viele Jahre lang abgetippt, bevor sie selbst ein Buch schrieb, über ihre Kindheit in Pommern.
Dieter Wellershoff, 85, preisgekrönter Schriftsteller, Essayist und Autor des höchst erfolgreichen Romans „Der Liebeswunsch“. Wellershoff stammt aus Neuss, wuchs in Grevenbroich auf und überlebte den Zweiten Weltkrieg als Soldat „eher zufällig“, wie er sagt. Er promovierte in Bonn über Gottfried Benn und begann zu schreiben – zum Beispiel Hörspiele -, bevor er Lektor bei Kiepenheuer&Witsch wurde. „Das Leben ist riskant, wenn man eine fünfköpfige Familie ernähren muss“, erzählt er. „Die Arbeit als Lektor war für mich eine Pflicht.“ Lektoriert hat Dieter Wellershoff unter anderem die Werke von Heinrich Böll. Von der Arbeit als Schriftsteller kann er seit Anfang der Achtziger Jahre leben. Wenn er spricht, klingt das wie gedruckt: Dieter Wellershoff ist ein Mann, dem man gern zuhört, vielleicht gerade weil er vollkommen unprätentiös erzählt, vom Leben, vom Schreiben, von sich und seiner Familie.
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LottaDoch eins nach dem anderen. Wir stehen im Wohnzimmer und schauen auf ein hohes Bücherregal: Vier Reihen sind gefüllt mit Wellershoffs eigenen Werken. In der obersten stehen die Taschenbuchausgaben und die ersten sechs Bände der Gesamtausgabe. Band sieben, acht und neun kommen bald heraus. In der zweiten Reihe stehen die 16 Bücher aus der Zeit vor der Mainzer Straße, danach die 28, die er in der Südstadt geschrieben hat, bis hin zu seinem letzten Roman „Der Himmel ist kein Ort“ über einen Landpfarrer, der in eine Sinnkrise gerät. „Das hat ein großes Echo in der Kirche hervorgerufen“, sagt er. „Ich habe Dinge gesagt, die gesagt werden mussten, zum Beispiel über die Kluft zwischen ererbter Metaphysik und dem heutigen Leben. Sehen Sie, auf keinem anderen Planeten gibt es eine Bibel. Das ist eine sehr irdische Geschichte.“ Dieter Wellershoff selbst ist in einem protestantischen Haushalt aufgewachsen und später aus der Kirche ausgetreten.
In Reihe drei im Bücherregal wird es international: Hier stehen die Übersetzungen, hier steht Wellershoff in den skandinavischen Sprachen, oder Wellershoff auf Russisch, Französisch und Ungarisch. Der Schriftsteller zieht behutsam ein Buch mit asiatischen Schriftzeichen heraus: „Schauen Sie mal, diese koreanische Ausgabe von ‚Der verstörte Eros‘. Die ist wirklich toll gemacht“. Bleibt noch Reihe vier: Hier stehen Bücher über Wellershoff – zum Beispiel Doktorarbeiten und Essays. „Ich selbst bin ein selektiver Leser“, sagt er. „Das Leben ist zu kostbar, um ein schlechtes Buch zu lesen.“ Seine eigenen Werke liest er nur selten: „Wenn jemand einen besonderen Blick auf eines meiner Bücher hat, dann lese ich es noch einmal, sonst nicht.“
Neben dem Wohnzimmer zeigt bei den Wellershoffs auch die Küche nach vorn hinaus auf die Mainzer Straße. Hier hängt ein Bild mit vielen kubistischen Formen in Schwarz-Weiß: Es zeigt eine der chaotischen Merz-Wohnungen des Dadaisten Kurt Schwitters. Gemalt hat es die Künstlerin Jack Ox, die eine Zeit lang gegenüber in der Mainzer Straße wohnte. „Unsere Wohnung hat meine Frau für uns gefunden“, erzählt Dieter Wellershoff. „Ich habe damals gerade an meinem Roman ‚Die Schönheit des Schimpansen‘ geschrieben. Wir wohnten noch in der Nähe des Hermeskeiler Platzes, die Heizung dort war miserabel. Meine Frau ist dann immer herumgefahren und hat sich lauter ungeeignete Wohnungen angesehen. Bis sie auf eine Annonce stieß, in der es ‚Nähe Südpark‘ hieß. Das war aber falsch, denn gemeint war der Römerpark. Und diese Wohnung, das war dann genau das Richtige, auch wenn die Mainzer Straße und die Gegend hier ziemlich heruntergekommen waren.“ Er lächelt. „Meine Frau und meine älteste Tochter wurden beide von Männern angesprochen. Die fragten dann, ob man sie zu einem Kaffee einladen dürfe. Auch ein Domina-Studio gab es damals, da hat man in der Nachbarschaft immer die Schmerzschreie der Kunden gehört.“
Wir kommen in den langen Flur, der tief in die Wohnung hineinführt: An der Wand rechts hängen zwei römische Ansichten von Luigi Rossini aus dem 19. Jahrhundert. Sie zeigen den Claudius-Tempel und das Pantheon. Dazu erzählt Maria Wellershoff eine spektakuläre Geschichte. „Die jüngste Schwester meines Vaters arbeitete bei Kaiser Wilhelm dem Zweiten, als Erzieherin von Viktoria-Luise. Als es aber Knatsch gab, fragte der Kaiser sie, ob sie vor ihrem Weggang einen Wunsch habe. Da meinte sie, sie hätte gern die Stiche von Rossini, und zwei von denen habe ich dann später bekommen.“
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Die Wagenhalle – außergewöhnliches Gasthauserlebnis in historischem AmbienteDann ist wieder Dieter Wellershoff an der Reihe: Wir stehen vor einem Bild der Leipziger Nikolaikirche. „Ich habe damals 1989 an den Wende-Gottesdiensten teilgenommen“, berichtet er. „Das war ein fantastisches, ein unglaubliches Ereignis. Egon Krenz hat die zunächst abgesagte Einladung für einen Austausch zwischen NRW und der DDR wieder zugesagt.“ Man spürt, wie tief dieses Erlebnis den Autor berührt hat: „Jeder konnte in der Kirche laut beten, das hatte eine ungeheure Aktualität. Dann kam der Umzug durch die Stadt, vorbei an der Stasi-Zentrale, und viele Leute riefen der Menge zu ‚Keine Gewalt‘. Ich sollte selbst in Leipzig lesen, aber ich wollte damals auch erst einmal darüber sprechen, was jetzt gerade geschah. In den Kneipen kam man dann ins Gespräch. Für mich ist das Ende der DDR das zweite bedeutende Datum der deutschen Geschichte – neben dem Ende des zweiten Weltkriegs.“
Wir nähern uns dem Allerheiligsten, dem Arbeitszimmer des Autors ganz hinten am Ende der Wohnung. Auf dem Weg dorthin führt der Flur vorbei an drei Schränken, die Dieter Wellershoff selbst bemalt hat, für seine Kinder. Seine älteste Tochter arbeitet heute beim ZDF, die jüngste beim „Spiegel“, und sein Sohn ist Arzt in Berlin. Auf die Schränke der Kinder hat der Vater einst Papageien gemalt, und einen roten Kakadu, einen Löwen, außerdem Affen, Frösche, Schnecken und Käfer.
Ein Zimmer weiter hängen noch mehr Bilder: „Die habe ich nach meinem letzten Roman gemacht. Ich wollte das Wildeste malen, was es gibt.“ Also hat er sich Afrika nach Hause geholt und Löwen, Hyänen, Zebras, Krokodile, Elefanten und Nashörner gemalt. Dann endlich stehen wir in seinem Arbeitszimmer. Und was Dieter Wellershoff uns dort über sein Leben als Schriftsteller erzählt, lesen Sie bald hier bei „Meine Südstadt“.
Lesen Sie auch Teil II der Reportage – „Literatur als simulationsraum – Interview mit Dieter Wellershoff“
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